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23.05.2022

Menstruation in Deutschland: Teuer und noch immer voller Tabus

Menstruation in Deutschland ist zu teuer. Es fehlt an guter Aufklärung zum Thema, und Tabus sind noch immer weitverbreitet. Das sind die zentralen Ergebnisse einer repräsentativen Befragung der Kinderrechtsorganisation Plan International Deutschland. Der Bericht „Menstruation im Fokus. Erfahrungen von Mädchen und Frauen in Deutschland und weltweit“, der in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Organisation WASH United zum Weltmenstruationstag entstanden ist, liefert erstmals umfassende Erkenntnisse zum Umgang mit der Periode in Deutschland. An der bundesweiten Befragung nahmen jeweils 1.000 Frauen und Männer zwischen 16 und 45 Jahren teil.

Jede zweite Frau in Deutschland würde sich demnach besser mit Tampons und Binden versorgen, wenn diese weniger Geld kosteten. Altersübergreifend hat fast jede vierte in Deutschland finanzielle Mühe, sich mit Hygieneprodukten während der Periode zu versorgen. Jede zehnte gibt an, den Wechsel von Binden, Tampons oder Slipeinlagen wegen Geldmangels hinauszuzögern. Auch fehlte vielen Mädchen bei der ersten Periode das nötige Wissen. 21 Prozent der Teilnehmerinnen gaben an, dass sie gar nicht wussten, was mit ihnen geschah, als sie ihre erste Periode bekamen. Jede zehnte kannte sich nach eigenen Angaben in dieser Situation auch nicht mit Hygieneprodukten aus. Das zeigt, dass mehr Informationen zu diesem Thema vermittelt werden müssen. Vor allem Schulen sind hier in der Pflicht. 79 Prozent der weiblichen und 60 Prozent der männlichen Befragten wünschen sich, dass diese besser über die Menstruation aufklären.

Kathrin Hartkopf, Sprecherin der Geschäftsführung von Plan International Deutschland: „Wir sind noch weit davon entfernt, eine vorurteilsfreie, aufgeklärte und periodenfreundliche Gesellschaft zu sein. Selbst in einem reichen Land wie Deutschland gibt es viele Mädchen und Frauen, die sich ihre monatliche Regelblutung schlichtweg nicht ‚leisten‘ können. Die monatlichen Kosten für Periodenprodukte sind gerade für die junge Zielgruppe eine hohe finanzielle Belastung. Die sogenannte ‚Periodenarmut‘ ist also auch in Deutschland Realität. Die Politik ist daher gefordert, dringend zusätzliche Mittel für kostenlose Hygieneartikel in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen sowie öffentlichen Gebäuden bereitzustellen.“

Thorsten Kiefer, Mitgründer und CEO von WASH United: „Jedes fünfte Mädchen in Deutschland weiß bei seiner ersten Periode nicht, was mit ihm geschieht, fühlt sich hilflos und überfordert. Das ist schockierend, angesichts der Defizite bei der Menstruationsaufklärung an Schulen aber wenig überraschend. Um dieses Problem anzugehen, veröffentlicht WASH United ‚Emmas Welt‘, einen Leitfaden für Aufklärungs-Workshops an Schulen. ,Emmas Welt‘ ist kostenlos, einfach umzusetzen und garantiert nicht peinlich. Auch Tabus und Stigma sind noch immer erschreckend weit verbreitet. Die neue Regierung ist gefordert, den starken Bekenntnissen zum Thema Geschlechtergerechtigkeit nun Taten folgen zu lassen. Das Thema Menstruation gehört hier unbedingt dazu. Sowohl in Deutschland als auch in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe.“

Tabus und Stigmata rund um die Periode sind also auch 2022 noch an der Tagesordnung. Rund ein Drittel der Befragten fühlt sich aufgrund der Menstruation „unrein“. 97 Prozent der befragten Mädchen und Frauen empfinden Blutflecken auf der Kleidung als „Worst Case“-Szenario. Und die Männer? 79 Prozent haben schon mal einen „blöden“ Spruch über die Periode gemacht oder eine solche Bemerkung bei einem Freund mitbekommen.

Weitere Themen sind Begleiterscheinungen der Menstruation und dadurch bedingte Einschränkungen: 72 Prozent der Mädchen und Frauen haben Unterleibsschmerzen und Krämpfe und 39 Prozent nehmen Schmerzmittel gegen die Beschwerden. Das bleibt nicht ohne Folgen: 62 Prozent der Mädchen und Frauen sagen Aktivitäten aufgrund von Schmerzen ab, empfinden das jedoch als unangenehm oder sehr unangenehm und stoßen in ihrem Umfeld auf zu wenig Toleranz. Am größten ist die Sorge bei Krankmeldungen in Job, Schule, Ausbildung oder Universität: 23 Prozent befürchten hier Unverständnis oder negative Konsequenzen, wenn sie aufgrund von Periodenbeschwerden fehlen. Ein weiterer Ausweis für eine tief verwurzelte Benachteiligung der Betroffenen in der deutschen Gesellschaft. Großen Handlungsbedarf gibt es schließlich auch in öffentlichen Gebäuden: 42 Prozent der Mädchen und Frauen in Deutschland sind mit der dortigen Hygienesituation unzufrieden.

Die über die Umfrage gewonnenen Ergebnisse zeigen deutlich, dass eine Zusammenarbeit zwischen Interessengruppen und Institutionen wie Politik, Gesellschaft und Schulen aber auch Frauen und Männern unumgänglich ist – für mehr Aufklärung, Offenheit, Toleranz und Rücksicht. In der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe ist Menstruationshygiene und -gesundheit ein zentrales Thema, weil sie die Basis für Bildung und ein selbstbestimmtes Leben bildet. Dafür muss von der Politik mehr Geld für die Arbeit von NGOs zur Verfügung gestellt werden, um Mädchen und Frauen weltweit einen sicheren und würdevollen Alltag während ihrer Periode zu ermöglichen und sie so vor Benachteiligung zu schützen, so die Forderungen von Plan International Deutschland und WASH United.

Kathrin Hartkopf: „Das Thema Menstruation ist gerade in der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe von hoher Bedeutung, weil die Art des Umgangs mit ihr das Ausmaß der Benachteiligung von Mädchen und Frauen offenlegt. Die angemessene Versorgung dieser Gruppe ist in unseren Projektländern in Afrika, Asien und Lateinamerika auch aufgrund der ausgeprägten Stigmata oft sehr schwierig. Mädchen gehen dort während ihrer Periode aufgrund fehlender sanitärer Einrichtungen oft nicht in die Schule. Und im Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung wie in Venezuela, Äthiopien oder der Ukraine ist die Versorgung sogar noch deutlich schwieriger.”

Fotos und Grafiken: https://www.plan.de/menstruation-im-fokus/downloads.html


Interviews, weitere Informationen und Bewegtbild:

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