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Gender und Finanzierung
02.07.2020 - von Lara W. aus dem Plan-Jugendbeirat

Wir können nicht noch 257 Jahre auf Gleichberechtigung warten!

Wie Deutschland bisher in weltweite Gleichberechtigung investiert und was sich ändern muss:

Die Bundesregierung hat in der aktuellen Corona-Krise viel Geld in die Hand genommen, um die Folgen der Pandemie abzufedern. Ende der Woche entscheidet der Bundestag über den zweiten Nachtragshaushalt mit dem die Ausgaben des Bundes auf rund 509,3 Milliarden Euro steigen sollen. Für das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung  (BMZ) sind dabei rund 1,5 Milliarden Euro zusätzliche Gelder für das laufende Haushaltsjahr vorgesehen. Aber achtet die Bundesregierung auch darauf, Geschlechtergerechtigkeit zu berücksichtigen? Weil Mädchen und Frauen weltweit besonders von der Pandemie betroffen sind, muss Deutschland darauf achten, in seiner Entwicklungs- und Außenpolitik ihre Rechte zu stärken, damit diese Krise nicht auch noch zu einer Krise der Gleichberechtigung wird.

Dass die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht nur ein Akt von Gerechtigkeit ist, sondern auch essentiell dazu beiträgt, die großen Probleme der heutigen Zeit zu lösen und nachhaltige Entwicklung überhaupt erst möglich macht, sollte eigentlich mittlerweile weitreichend bekannt sein. Schließlich ist es doch einfach logisch: Wir können keine wirklichen Fortschritte machen, wenn wir Mädchen und Frauen von gesellschaftlicher Partizipation ausschließen und damit ungefähr 50% der Weltbevölkerung zurücklassen.

Aber dennoch: Laut einer Studie des World Economic Forums aus 2019 sind wir weltweit gesehen noch 257 Jahre davon entfernt, dass Gleichberechtigung am Arbeitsplatz herrscht. 257 Jahre! Selbst wenn ich annehme, dass ich hundert Jahre alt werde, muss ich also davon ausgehen, dass frühestens meine Ur-Ur-Enkel:in in einer gleichberechtigten Gesellschaft aufwachsen wird.

Gerade jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie laufen wir zudem in die Gefahr Rückschritte in der Geschlechtergerechtigkeit zu machen. Häufig sind es zum Beispiel immer noch Frauen und Mädchen, die den Löwinnen-Anteil der Haus- und Pflegearbeit verrichten – und dies meist unbezahlt.  Fast 1,3 Milliarden Kinder und Jugendliche gehen aktuell wegen der Corona-Krise nicht zur Schule. Mädchen haben ein höheres Risiko nicht in die Schule zurückzukehren als ihre männlichen Altersgenossen. Damit bleibt ihnen das Recht auf Bildung verwehrt und sie haben nur geringe Chancen später einen gut bezahlten Beruf zu finden und finanziell unabhängig zu sein. Auch ein Grund, weshalb weniger Mädchen in die Schule zurückkehren ist Frühverheiratung. Die wirtschaftliche Not von Familien kann Eltern dazu bringen, ihre Töchter noch als Minderjährige zu verheiraten, weil sie nicht mehr für sie sorgen können. Und aus der Ebola-Epidemie wissen wir zudem, dass Mädchen- und Frauenhandel und sexuelle Ausbeutung zunehmen wird.

Es ist also höchste Zeit, endlich in Gleichberechtigung zu investieren! Wenn ich nun Entscheidungsträger:innen, zum Beispiel aus unserer Bundesregierung, frage, ob sie sich für weltweite Gleichberechtigung einsetzten, wird vermutlich niemand von ihnen mir direkt ins Gesicht sagen, dass sie nichts davon halten, Diskriminierung von Mädchen und Frauen zu beenden. Deutschland hat sich ja auch dazu verpflichtet, sich für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen, indem es eine Reihe internationaler Abkommen unterzeichnet, wie unter anderem die Agenda 2030 der Vereinten Nationen oder die Frauenrechtskonvention CEDAW und das Thema bei seiner Präsidentschaft der G7 und G20 Gipfel auf die Agenda gesetzt hat.

Aber was geschieht wirklich? Setzt sich Deutschland genug für Gleichberechtigung weltweit ein?

Um das herauszufinden, müssen wir ein bisschen genauer hinschauen. Sich anzuschauen, für was wie viel Geld ausgegeben wird, ist da immer ein guter Anhaltspunkt. Ob unser Bundesregierung etwas wirklich wichtig ist, lässt sich weniger an schönen Worten festmachen,  als  daran sehen, ob sie Geld in die Hand nimmt, um den Worten auch Taten folgen zu lassen..

Deshalb schauen wir uns an, wie viel Geld die Bundesregierung für Gleichberechtigung in humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ausgibt.

Die öffentlichen Gelder, die im Rahmen der humanitären Arbeit und der Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben werden, werden unter dem Begriff Official Development Assistance, kurz ODA zusammengefasst. Die Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)  berichten an den Entwicklungsausschuss der OECD (DAC), wie viel Geld  sie für die ODA ausgeben und in welche Bereiche das Geld geht.

Dabei unterscheidet man zwischen bilateralen und multilateralen Entwicklungsgeldern. Bilaterale Gelder sind die Gelder, die zwischen zwei Ländern fließen, also zum Beispiel wenn Deutschland mit Burkina Faso zusammenarbeitet. Von multilateralen Geldern spricht mensch, wenn Gelder auf mehr Länder verteilt sind oder an internationale Akteure gehen, wenn also zum Beispiel deutsche Entwicklungsgelder an UN Women gehen. Wenn sich  die bilaterale ODA , verschiedenen Bereichen zuordnen lässt, spricht mensch auch von der bilateral sektoral aufteilbaren ODA. Zum Beispiel kann mensch schauen, ob das Geld dazu eingesetzt wird, Gesundheit, Klimaschutz oder eben Gleichberechtigung zu fördern. Kosten, die zum Beispiel für die Verwaltung entstehen können nicht eindeutig in so einen Bereich eingeordnet werden und gehören daher zwar zur ODA, aber nicht zur bilateral sektoralen aufteilbaren.

Soweit so gut, aber wo kommt jetzt die Gleichberechtigung ins Spiel? Nun, durch die an die OECD berichteten Daten, lässt sich anhand der bilateral aufteilbaren ODA nachvollziehen, in welche Bereiche die Mitgliedsländer Gelder investieren und in welchen eher weniger. Dafür gibt es im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit die sogenannten GG-Marker. GG1 steht für Projekte, die Geschlechtergerechtigkeit als Nebenziel verfolgen. GG2 steht für Projekte, die Gleichberechtigung als Hauptziel verfolgen. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, regelmäßig der OECD Bericht zu erstatten darüber, wie viel Geld sie für GG1 und GG2 Projekte aufwenden. Das zumindest macht Deutschland schon mal gut. Es wendet die GG-Marker auf 99,3% der Projekte, die zur bilateral aufteilbaren ODA gehören an, was ein TOP-Wert unter den Mitgliedstaaten der OECD ist.

Allerdings liegt hier auch direkt das erste Problem: Denn was genau sagen die Marker über die Projekte aus? Ein Projekt, das unter den GG1-Marker fällt, muss Gleichberechtigung nur als Nebenziel haben. Es kann aber durchaus passieren, dass dieses Nebenziel dann in der Projektumsetzung eben vernachlässigt wird, weil das Hauptaugenmerk auf einem anderen Thema liegt. Außerdem wird in den Markern der Faktor Alter nicht mit berücksichtigt, da es keinen eigenen Marker für Alter gibt. Wir wissen also nicht, ob nur Erwachsene von einem Projekt profitieren oder auch Kinder und Jugendliche. Aber gerade Mädchen erfahren oft doppelte Diskriminierung, aufgrund ihres Geschlechts und aufgrund ihres Alters – das muss berücksichtigt werden.

Mit dem im Kopf kommen wir direkt zu Problem zwei: Schauen wir uns nun die Zahlen an, sehen wir: Deutschlands Investitionen in Gleichberechtigung sind viel zu gering! 2018 gab Deutschland 44, 7% seiner bilateral aufteilbaren ODA für Projekte mit Gleichberechtigung als Haupt- oder Nebenziel aus. Aber insgesamt wurden nur 1,6% davon für Projekte ausgegeben, die Gleichberechtigung tatsächlich als Hauptziel haben!

Jetzt könnte das Argument kommen: Ja, aber Mädchen und Frauen profitieren aber doch auch von anderen Projekten. Ja, wenn es gut läuft schon, aber so bewirken wir keinen grundlegenden Wandel hin zu einer gleichberechtigten Welt. Die Bedürfnisse von Mädchen und Frauen werden oft übersehen oder ignoriert und sie werden so an der gleichberechtigten Teilhabe gehindert. Ein sehr ernstes Beispiel ist dafür der Umgang mit sexualisierter Gewalt in humanitären Krisen. Gerade in Krisenzeiten steigt die Gefahr, dass Frauen und Mädchen Opfer sexualisierter Gewalt werden, beispielsweise weil sexualisierte Gewalt in Konflikten als Kriegswaffe eingesetzt wird oder weil Frauen und Mädchen aus wirtschaftlicher Not in die Hände von Menschenhändler:innen gelangen. Gerade in der Corona-Krise sehen wir ja auch, wie die häusliche Gewalt in vielen Orten ansteigt. Aber die Bedürfnisse der Überlebenden sexualisierter Gewalt zum Beispiel die medizinische Versorgung und die Einrichtung von Schutzräumen, kommen in der Reaktion auf humanitäre Krisen oft zu kurz. 2018 wurden beispielsweise knapp 15 Millionen Mädchen und Frauen zwar als schutzbedürftig identifiziert - aber sie erhielten keine humanitäre Hilfe durch Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt und Folgebehandlungen. Etwas mehr als 26 Mio Frauen und Mädchen wurden zwar in diesem Bereich von internationaler humanitärer Hilfe unterstützt, aber nur mit 46 Mio $ - das wären nur 1, 76$ pro Person! Möglicherweise haben einige Mädchen und Frauen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen waren,  auch von  allgemeinen Maßnahmen  im Gesundheitssektor profitiert,  tauchen aber dieser Statistik nicht auf. Aber das verdeutlicht genau das Problem: Mädchen und Frauen werden insbesonderer im Bereich der humanitären Hilfe viel zu selten als eigene Zielgruppe mit eigenen Rechten und Bedürfnissen berücksichtigt, geschweige denn an der Planung, Umsetzung und Evaluierung von Maßnahmen beteiligt. Um sicherzugehen, dass ihren Rechten, Vorstellungen und Bedürfnissen entsprochen wird und sie nicht vergessen werden, müssen wir Mädchen und Frauen als eigene Gruppe berücksichtigt und beteiligen und in den Statistiken sichtbar machen!

Die Bilanz, die wir ziehen müssen, zeigt, dass Deutschland sein Engagement für Gleichberechtigung noch verbessern kann. 1,6% der öffentlichen Entwicklungsgelder für Projekte, um die Gleichberechtigung von ca. 50% der Weltbevölkerung explizit zu fördern, ist einfach nicht genug.

Was kann also getan werden?

Deutschland muss mehr Mittel für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Dabei kann es sich an Kanada orientieren. Kanada hat eine feministische Außenpolitik beschlossen und einen Stufenplan aufgestellt, nach dem die Mittel für Projekte, die Geschlechtergerechtigkeit als primäres Ziel fördern, bis 2021/2022 auf mindestens 15% ansteigen sollen. Außerdem sollen 80% der Mittel von Kanadas ODA in Projekte gehen, die Gleichberechtigung zumindest sekundär fördern. Neben Kanada liegen auch Schweden, die Niederlande und Großbritannien deutlich weiter vorne als Deutschland, wenn es um die relativen Anteile der Förderung von Gleichberechtigung in der ODA geht. Das zeigt: Es ist möglich es besser zu machen! Deutschland muss jetzt vorangehen und zum Champion von Gleichberechtigung werden! Wir fordern, dass Deutschland 85% seiner ODA für Projekte ausgibt, die Gleichberechtigung hauptsächlich fördern (GG2) oder zumindest als Nebenziel haben (GG1). Und langfristig sollten 20% der ODA in Projekte mit dem Hauptziel Gleichberechtigung fließen. Wir können nicht noch weitere 257 Jahre auf Gleichberechtigung warten, denn die Welt braucht jetzt die Energie, Gestaltungskraft, Ideen und Träume von Mädchen und jungen Frauen um eine bessere Gesellschaft zu gestalten. Wirklich visionäre Politik für die Zukunft wäre Gleichberechtigung ganz vorne auf die Agenda zu setzen und Mädchen ihr Potential entfalten zu lassen!

Quellen:

https://www.tagesspiegel.de/politik/noch-257-jahre-bis-zur-gleichberechtigung-am-arbeitsplatz-bericht-zur-weltweiten-gleichberechtigung-deutschland-holt-auf/25345742.html

https://www.rescue.org/sites/default/files/document/3854/whereisthemoneyfinalfinal.pdf

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/internationale-gleichstellungspolitk/gleichstellungspolitik-der-g7-staaten/multilaterale-gleichstellungspolitik-der-g7--und-g20-staaten/136224

https://www.plan.de/news/detail.html?tx_news_pi1%5Bnews%5D=1556&cHash=cbf85a78ee6f081aaf1ad84c326477b6

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw27-de-nachtragshaushaltsgesetz-701728

Studie der Open Consultants GbR “Die deutschen ODA-Beiträge zur Gleichberechtigung der Geschlechter im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit”, 08.05.2020