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Hanoi City_Highway
Mit all seinen Hochhäusern und Autobahnen ist Hanoi nach 22 Jahren kaum wiederzuerkennen. © Marc Tornow
11.05.2016 - von Marc Tornow

Wiedersehen mit einer Unbekannten

Das nächtliche Kunstlicht-Funkeln ist nur der Vorbote für eine andere Welt: die vietnamesische Hauptstadt Hanoi hat sich binnen weniger Jahre völlig neu erfunden. Und zur unglaublichsten Wendung dieses Wandels gehört neben riesiger Infrastrukturprogramme der Ausbau von Hochhaussiedlungen im Schatten ehrwürdiger Altstadtgassen.


Verloren wirken die schmucken Neuwagen auf der breiten Autobahn, die jetzt den Flughafen mit dem Zentrum verbindet. Zum Teil über 16 Spuren rollt der Verkehr. Es ist erst 22 Jahre her, dass dieselbe Strecke vom „Airport Noi Bai“ in die 34 Kilometer entfernte Innenstadt in einem aus dem Leim gehenden, rostigen Lada genommen worden war. Das improvisierte Taxi schwankte über eine einspurige Dorfstraße der Hauptstadt entgegen.

Von dieser ländlichen Szenerie mit drahtigen Feldarbeitern beiderseitig der Trasse ist nun nichts mehr geblieben. Die Wegstrecke ist unter dem neuen Highway verschwunden – und mit ihr auch das entbehrungsreiche Tagesgeschäft im Reisanbau.

Die neue Generation ist angetreten und sitzt nun mit Schlips und Kostüm in all den sprießenden Bürotürmen von Hanoi. Ein Meer aus gesichtslosen Apartmenthäusern bietet jetzt vielen Leuten komfortablen Wohnraum. Diese Entwicklung ist beachtlich – die absolute Armut und ihre Bettler sind aus der Hauptstadt verschwunden. Ein bemerkenswerter Fortschritt, der vom wachsenden Wohlstand des Landes kündet. Dieser kaum zwei Dekaden dauernde Prozess besiegelte aber auch das Ende einer bis dahin dörflich-verträumten Kapitale am Ufer des Roten Flusses und ihre sonderbare Beschaulichkeit.

Die Hauptstadt hat sich binnen weniger Jahre nach Fläche und Einwohnerzahl verfünffacht. Dieses neue Hanoi gibt sich mystisch und hüllt sich in Nebel. Für die nostalgischen Gemüter ein hilfreicher Umstand, der allzu augenfällige Neuerungen und architektonische Überraschungen inmitten einer ursprünglichen, von kolonialen Villen geprägten Stadtlandschaft verbirgt.

Auf einen zweiten Blick und beim Gang durch die Straßen wirkt all das Facelifting trotzdem unvollendet. Im Herzen nämlich bleibt die Kapitale ein Provisorium aus kleinen Läden für alle möglichen Sorten von Waren, für mobile Restaurants, in denen köstliche Gerichte zubereitet werden, für rollenden Stände mit Obst oder Gemüse, für fliegende Händler mit duftenden Blumengebinden.

Hinter dem blätternden Putz, den engen Geschäftshäusern, den im subtropischen Klima schimmelnden Fassaden, ist dieses Hanoi erstaunlich dicht dran an früheren Eindrücken. Auch das Wasserpuppentheater, der alte Tempel auf der kleinen Insel im Hoan Kiem-See, die verrostete Long Bien-Brücke über den Roten Fluss und die mehrmals täglich rollenden Züge mit den verbeulten alten Dieselloks – viele verloren geglaubten Szenen von früher existieren doch noch in diesem neuen, bekannt-unbekannten Hanoi.