„Wenn er nicht gestorben wäre, hätten wir niemals fliehen können“
Seit 2011 terrorisiert die islamistische Gruppierung der Boko Haram den Nordosten von Nigeria, genauso wie die benachbarten Staaten Niger und Kamerun. Millionen von Menschen müssen aufgrund von Gewalt und Ausbeutung ihre Heimat verlassen und fliehen. Tausende Mädchen wurden in den vergangenen Jahren von bewaffneten Männern entführt, vor allem in nördlichsten Bundesstaat Nigerias; in Borno, kam es zu einer Vielzahl von gewaltsamen Entführungen. Im Jahr 2014 machte der Kindesraub von 300 Schulmädchen Schlagzeilen. 113 gelten bis heute als vermisst.
Salima*, 21, ist aus dem Norden des Landes. Dort hatten sie und ihr Ehemann ein kleines Haus mit Wellblechdach. Er führte einen Laden, während sie sich um den Haushalt kümmerte. Im Oktober 2014 erreicht die beiden die Nachricht, dass die Boko Haram-Kämpfer ihrer Stadt immer näher kommen.
Boko Haram: “Die westliche Bildung ist Sünde”
Als die schwerbewaffneten Männer auf ihren Pick-up-Trucks und Motorrädern ihre Stadt erreichen, erschießen sie Männer mit ihren Maschinengewehren, stehlen alle Habseligkeiten der Bewohner und brennen Banken, Kirchen und Schulen nieder. Kämpfer der Boko Haram, was übersetzt etwa so viel heißt wie “die westliche Bildung ist Sünde”, wollen eine westliche Erziehung verhindern und zerstören deswegen vor allem Bildungseinrichtungen.
Salima und ihr Mann fliehen aus ihrer Heimatstadt, um ihr Leben zu retten. Ihre Flucht soll sie nach Süden führen, wo ihre Eltern in einem kleinen Dorf wohnen. Als Salima noch ein Kind war, half sie ihnen bei der Arbeit auf den Feldern. Als sie heiratete, zog sie mit ihrem Mann fort
“Er hat einfach sein Leben gerettet.”
Die Boko Haram-Kämpfer brauchen lediglich einen Tag, um auch das Dorf von Salimas Eltern zu erreichen. Sie brechen in das Elternhaus Salimas ein, mit Macheten und Gewehren bewaffnet und auf der Suche nach Bräuten. Zunächst versucht Salimas Vater noch seine Töchter zu beschützen, doch schließlich gibt er auf. Salima nimmt ihm das kaum übel: “Er hat einfach sein Leben gerettet.”
Die Männer verbinden die Augen der Schwestern und nehmen sie mit. Salima ist zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt, ihre Schwester Jessica gerade einmal 14.
Salima wird dazu gezwungen, mit einem der Männer und zwei weiteren Frauen zusammen zu leben. Sie bekommt zwar ein eigenes Zimmer mit einem Bett, einem Tisch und einer Garderobe, darf aber nie das Haus verlassen. Nur wenn das Militär in ein benachbartes, besetztes Dorf eindringt, dürfen die Frauen die Kämpfer begleiten. “Immer wenn ich die Kampfflugzeuge der Armee hörte, betete ich dafür, dass sie endlich die Boko Haram-Kämpfer besiegen”, erinnert sich die junge Frau.
Nach einiger Zeit wird Salima schwanger
Salima verbringt ihre Zeit mit Kochen und Putzen. Immerhin bekommt sie genug Wasser und Nahrung und der Mann, mit dem sie zusammenleben muss, kümmert sich gut um sie. Dennoch ist sie eine Gefangene. Die Boko Haram-Kämpfer erzählen ihr nicht, wo ihre Schwestern sind oder ob es ihnen gut geht. Nach einiger Zeit wird Salima schwanger.
Nachdem sie schon viele Monate in Gefangenschaft lebt, erlaubt der Mann, der sie gefangen hält, ihr neuer “Ehemann”, dass sie ihre Schwester Jessica im benachbarten Dorf besuchen darf. Bei ihrem Aufeinandertreffen machen die beiden Frauen Fluchtpläne, obwohl ihre bewaffneten Männer sie während der gesamten Zeit nicht aus den Augen lassen.
Salimas Besuch bei ihrer Schwester ist den anderen Boko Haram-Kämpfern ein Dorn im Auge. Sie verstehen nicht, warum ein Kämpfer seiner Frau so viel erlauben sollte. Die Dschihadisten sperren daher Salimas Mann ein. Wochen vergehen, in denen Salima keine Informationen darüber erhält, wie es ihm geht. Dann erreicht sie die Nachricht, dass er erschossen worden ist. Ihm war unterstellt worden, dass er Pläne schmiedete, Boko Haram zu verlassen, um in Frieden mit seinen Frauen leben zu können. Bevor er starb, äußerte er die Bitte, dass seine Frauen zum befehlenden Offizier gebracht werden sollen, damit für sie gesorgt wird.
Die einzige Chance, ihrer ungewissen Zukunft zu entfliehen
Salima, ihre Schwester und die anderen beiden Frauen reisen einige Tage gemeinsam mit einem jungen Kämpfer umher. Ihm war die Aufgabe übertragen worden war, die Frauen zum befehlenden Offizier zu bringen. Als sie durch einen Wald wandern kollabiert Salima plötzlich. Sie ist mittlerweile im vierten Monat schwanger. Der junge Kämpfer rennt sofort los, um Hilfe zu holen. In diesem Moment realisiert Salima, das dies vermutlich die einzige Chance bleibt, um ihrer ungewissen Zukunft entfliehen zu können. Also nimmt sie ihre verbliebenden Kräfte zusammen und rennt gemeinsam mit ihrer Schwester los. Nachdem sie einige Stunden ziellos umherirren, treffen sie auf nigerianische Soldaten.
Wenn Salima heute über ihre Gefangenschaft spricht, erklärt sie ruhig: “Ich danke Gott, dass dieser Mann erschossen wurde. Wenn er nicht getötet worden wäre, hätten wie niemals die Chance bekommen zu fliehen.” Trotzdem: Sie wird niemals die Zeit vergessen, die sie bei den Boko Haram-Kämpfern verbringen musste. Und während sie ihre Geschichte erzählt, schaut sie traurig auf ihren einjährigen Sohn Issaka herunter, den Sohn eines Terroristen.
“Die schwierigste Aufgabe steht uns noch bevor“
“Die schwierigste Aufgabe steht uns noch bevor. Wir müssen den Menschen Hoffnung für die Zukunft geben”, sagt Elizabeth Joel Maiyaki von Plan International Nigeria.
Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, dass Kinder um sichere Orte wissen, wo sie das sein können was sie sind: Kinder. Um das zu erreichen, schafft Plan International kinderfreundliche Umgebungen, in denen Mädchen und Jungen aufeinandertreffen, miteinander spielen, malen und singen und so Kummer und Leid bewältigen können.
*Namen wurden verändert, um die Identitäten der Personen zu schützen