Die andauernde Krise in der Tschadsee-Region hat massive Folgen für heranwachsende Mädchen. Seit jeher sind sie von Armut und Diskriminierung betroffen. Wie sie selbst in einer Befragung angeben, hat die langjährige, von multiplen Ursachen geprägte Krise ihr Leben noch drastisch verschlechtert. Angst vor Überfällen und Entführungen durch Aufständische, sexueller und physischer Gewalt in den Straßen, aber auch im häuslichen Umfeld, bestimmen ihren Alltag. Jedes fünfte Mädchen zwischen zehn und 19 Jahren gab in einer Befragung an, im vergangenen Monat geschlagen worden zu sein. Nahezu alle Mädchen berichteten, keinerlei Einfluss auf ihr Leben zu haben. Hinzu kommt die Angst, keinen Zugang zu Bildung zu haben. „Viele Mädchen hier brechen die Schule ab, weil sie verheiratet, schwanger oder vergewaltigt werden“ berichtet ein 18-jähriges Mädchen aus Kamerun in dem Report „Heranwachsende Mädchen in der Krise: Stimmen aus der Tschadsee-Region“ der Kinderhilfsorganisation Plan International.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass Mädchen, die am stärksten von der Krise betroffenen sind, durch alle Netze fallen“, sagt Hussaini Abdu, Länderdirektor von Plan Nigeria. „Sie haben ein Recht darauf, über ihr Leben zu entscheiden. Zum Beispiel ob, wann und mit wem sie Kinder haben möchten. Genauso wesentlich für ihre Zukunft ist es, dass sie zur Schule gehen können.“ Der Zugang zu Bildung beeinflusst maßgeblich, ob ein Mädchen frühverheiratet wird oder nicht: Die Gefahr, minderjährig verheiratet zu werden, ist in der Region bis zu viermal so hoch, wenn sie keinen Schulabschluss haben. Die Folge sind Frühschwangerschaften mit hohen gesundheitlichen Risiken: Die Tschadsee-Region hat eine der höchsten Müttersterblichkeitsraten weltweit.
Plan International Deutschland fordert daher von der deutschen Bundesregierung, Bildung als lebensrettende Maßnahme in der humanitären Hilfe anzuerkennen und finanzielle Mittel dafür bereitzustellen. Maike Röttger, Geschäftsführerin von Plan International Deutschland:
„Bildung leistet einen wesentlichen Beitrag, Mädchen vor gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Gebildete Mädchen kennen ihre Rechte und haben eine größere Chance, sich im Leben durchzusetzen. In Niger werden drei von vier Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Die Chance, diesem Schicksal zu entgehen, steigt mit jedem Schuljahr, das sie absolvieren.“
Plan International hat ein länderübergreifendes Programm in Niger, Nigeria und Kamerun, das vor allem Kinder und Jugendliche sowie von Gewalt betroffene junge Frauen im Fokus hat. Sie bekommen psychosoziale Betreuung sowie Unterstützung, um sich ein Einkommen zu schaffen. Da Schulen bevorzugte Ziele von Terrorakten sind, führt Plan auch das Pilotprojekt „mobile Schulen“ durch, bei dem Lehrkräfte in entlegene Dörfer fahren, um dort Kinder zu unterrichten, deren Schulen zerstört wurden oder deren Schulwege zu gefährlich sind. So soll verhindert werden, dass Mädchen und Jungen über Jahre Bildung verloren geht.
In dem Report „Adolescent Girls in Crisis: Voices from the Lake Chad Basin“ werden heranwachsende Mädchen in Nigeria, Niger und Kamerun zu ihrer persönlichen Sicht auf die Krise befragt. Der Report erscheint parallel zur internationalen Konferenz zur Tschadsee-Region am 3.-4. September in Berlin.
Den Report sowie Fotos zum Download und weiteres Material finden Sie online in unserem Pressebereich unter: www.plan.de/presse
Ein Interview mit Hussaini Abdu, Länderdirektor von Plan Nigeria, in Berlin ist möglich.
Ergebnisse aus dem Report:
• Jedes dritte befragte Mädchen zwischen 10 und 19 Jahren fühlt sich im häuslichen Umfeld nicht sicher.
• Laut Aussage der Mädchen sind sie seit der Krise einem noch größeren Risiko ausgesetzt, vor ihrem 18. Geburtstag zwangsverheiratet zu werden. Über die Hälfte der verheirateten Mädchen in der Region ist bei der Hochzeit zwischen 14 und 15 Jahre alt.
• Mehr als die Hälfte der Mädchen gab zudem an, in letzter Zeit hungrig ins Bett gegangen zu sein, weil es nicht genügend Lebensmittel gibt.
• Besonders kritisch ist die Situation für Mädchen, die von ihren Familien getrennt wurden: Um ihr Überleben zu sichern, arbeiten sie oft als Hausangestellte in sklavenähnlichen Verhältnissen. Viele von ihnen berichten, von ihren Arbeitgebern sexuell missbraucht oder vergewaltigt worden zu sein.
• Fast ein Zehntel der Mädchen gab an, kürzlich sexualisierte Gewalt erlebt zu haben.
• Der Report zeigt nicht nur auf, wo die Probleme liegen, er gibt den Mädchen auch eine Stimme, um ihre Träume und Bedürfnisse zu beschreiben. So wünscht sich ein Großteil von ihnen Berufstrainings, um die Familie finanziell unterstützen zu können. Gleichzeitig war den meisten Mädchen der Besuch einer Schule sehr wichtig.