KENIA: STELLA RADELT IN EINE BESSERE ZUKUNFT
von Leah Missbach Day
Lebensfroh und mit großen Zielen – so könnte man Stella beschreiben. Die 19-Jährige geht noch zur Schule, auf die Sekundarschule „Our Lady of Peace” im Westen Kenias. Vor drei Jahren hätte sie – und vermutlich auch niemand aus ihrem Dorf – nicht daran geglaubt, dass sie eines Tages noch ihren Schulabschluss machen würde. „Kurz vor dem Abschluss der Grundschule kam meine Tochter zur Welt. Um sie zu stillen, musste ich zu Hause bleiben“, erinnert sich Stella. Sie brach die Schule ab. Auch die Situation innerhalb ihrer Familie war schwierig. „Mein Vater war Alkoholiker und hatte mehrere Frauen. Meine Stiefmutter war ihm wichtiger als meine Mutter.”
Ohne die Aussicht auf einen Schulabschluss sank Stellas Hoffnung auf ein besseres Leben für sich selbst und ihre Tochter. Fest entschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, wiederholte Stella die Prüfungen, bestand und setzt ihre Schullaufbahn nun an einer weiterführenden Schule fort.
Als alleinerziehende Mutter kümmert sie sich weiterhin jeden Tag um ihre mittlerweile 2-jährige Tochter – und bereitet sich gleichzeitig gerade auf die Prüfungen für den Abschluss der unteren Sekundarstufe vor.
Aber für eine bessere Zukunft musste Stella nicht nur gegen Vorurteile kämpfen und soziale Grenzen überwinden. Auch die Entfernung zur Schule war in großes Hindernis. In ihrer Klasse ist Stella diejenige mit dem weitesten Schulweg. 12 Kilometer pro Strecke muss die junge Frau zurücklegen, bevor sie am Unterricht teilnehmen kann.
Um diese Entfernung zu Fuß zu überwinden, musste Stella jeden Tag um drei Uhr morgens aufstehen. Nicht nur um ihre Tochter zu versorgen, sondern auch um ihren häuslichen Pflichten nachzukommen: Wasser holen, aufräumen, Geschirr spülen, wie es von Mädchen in Kenia und weiten Teilen Afrikas erwartet wird. Erst wenn diese Arbeit erledigt ist, kann Stella sich auf den langen Weg zur Schule machen. Dort kam sie häufig schon völlig erschöpft an.
ENTFERNUNG ALS HINDERNIS FÜR BILDUNG
Letztes Jahr war Stella eines von 150 Mädchen an ihrer Schule, die im Rahmen des Bildungsprogramms BEEP (Bicycles for Educational Empowerment) ein Buffalo-Fahrrad erhalten haben. Entwickelt wurde das Buffalo-Rad von der internationalen Hilfsorganisation World Bicycle Relief in enger Zusammenarbeit mit Menschen im ländlichen Afrika. Herausgekommen ist ein Transportmittel, das an die Bedürfnisse der Menschen vor Ort zugeschnitten ist: Ein robustes, langlebiges und wartungsarmes Lastenrad.
Über das BEEP-Programm werden die Fahrräder an Schülerinnen und Schüler verteilt. 70 Prozent der Fahrräder sind hierbei grundsätzlich für Mädchen reserviert, denn diese sind ganz besonders gefährdet, die Schule abzubrechen. Zu den wichtigsten Gründen hierfür gehören die weite Entfernung zur Schule, zeitliche Einschränkungen durch Übernahme häuslicher Pflichten oder frühe Schwangerschaften.
Um ein Buffalo-Rad zu bekommen, unterschreiben alle Schülerinnen und Schüler einen sogenannten „Study-to-own“-Vertrag, mit dem sie sich verpflichten, das Fahrrad zu nutzen, um täglich am Unterricht teilzunehmen. Erst wenn die Jugendlichen die Schule erfolgreich abgeschlossen haben, geht das Rad offiziell in ihren Besitz über.
Stellas Tag beginnt immer noch sehr früh. Aber weil sie jetzt zur Schule radeln kann, spart sie jeden Tag zwei Stunden Zeit und kommt pünktlich und weniger müde an.
SICHER ANKOMMEN
Für Stella ist das neue Fahrrad aber mehr als nur ein Transportmittel oder ein Mittel um Zeit zu sparen. Es gibt ihr auch mehr Sicherheit. Der tägliche Weg zur Schule ist für Mädchen und junge Frauen gefährlich, vor allem früh am Morgen und spät abends. Im Dunkeln nach Hause zu laufen machte Stella häufig Angst. „Mein Schulweg führt an einer Gruppe von Motorradtaxi-Fahrern vorbei. Sie sprechen uns Mädchen an, fragten nach meiner Nummer oder wo ich wohne. Ich wollte nie mit ihnen reden.”
Die Annährungsversuche der Motorradtaxi-Fahrer beginnen oft mit dem scheinbar harmlosen Angebot ein Mädchen kostenlos mitzunehmen. Im Gegenzug erwarten die Männer dann allerdings sexuelle Gefälligkeiten. Laut einer Studie gehören solche Situationen zu den Faktoren, die zur Zunahme von HIV-Infektionen und ungewollten Teenagerschwangerschaften beitragen. 46 Prozent der HIV-Neuinfektionen werden in Kenia bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 15 bis 24 Jahren registriert. Mädchen und junge Frauen sind besonders betroffen.
„Mit dem Rad fühle ich mich sicher“, sagt Stella. „An den Motorradtaxis radel ich jetzt einfach vorbei und habe keine Angst, dass sie mich anhalten.”
SELBSTBEWUSST IN EINE BESSERE ZUKUNFT
Schulgebühren stellen viele arme Familien vor eine große Herausforderung. Auch für Stella sind sie ein Problem. Das neue Fahrrad hat Stella inspiriert, wie sie sich ein wenig Geld dazu verdienen kann: Die junge Frau transportiert nun überschüssiges Obst und Gemüse aus ihrem Garten zum Markt und holt Wasser für ihre Nachbarn.
Stella sprüht vor Lebensfreude und Zuversicht. Das Lernen macht ihr Spaß und sie ist fleißig und motiviert. Das Stigma der Teenager-Mutter ohne Zukunftschancen hat sie hinter sich gelassen. Für die Menschen in ihrem Dorf ist sie heute ein Vorbild. Und Stella hat große Pläne: „Ich möchte Diplomatin zu werden und mein Land Kenia wirtschaftlich und im internationalen Handel voranbringen.”
Leah Missbach Day ist Mitgründerin der internationalen Hilfsorganisation World Bicycle Relief, für die sie auch als Fotografin aktiv ist.
World Bicycle Relief und PLAN International arbeiten seit 2010 zusammen. Der Schwerpunkt der Partnerschaft liegt auf Bildung für Mädchen. Gemeinsam haben PLAN und WBR bisher insgesamt 3.724 Buffalo Räder in Sambia, Simbabwe und Kenia übergeben.