Warum Geschlechtergerechtigkeit zuhause beginnt

Foto: Hartmut Schwarzbach/argus

Zuhause – das ist für viele Menschen ein Wohlfühlort. Das Zuhause ist aber auch der erste Ort, an dem Kinder mit Geschlechternormen und Stereotypen sozialisiert werden.

Geschlechternormen beeinflussen, welche Rollen, Aufgaben und Eigenschaften in binären Geschlechtersystemen als „typisch“ für Frauen und Männer, Mädchen und Jungen angesehen werden. In vielen Gesellschaften wird beispielsweise erwartet, dass Jungen mutig und stark auftreten, während Mädchen als fürsorglich und emotional gelten.

Kinder lernen aufgrund ihrer äußeren Umgebung sehr schnell, dass Jungen und Mädchen scheinbar unterschiedlich sind – neben den Fähigkeiten und Interessen, die ihnen aufgrund ihres Geschlechts zugewiesen werden, haben sie zum Beispiel auch ihre „eigenen“ Farben und Spielzeuge.

Was sind Geschlechternormen?

In vielen Ländern ist ein binäres Geschlechtersystem vorherrschend. Es geht davon aus, dass es nur zwei Geschlechter (Frau und Mann) gibt und blendet aus, dass es intergeschlechtliche, nicht-binäre und andere Menschen gibt, die nicht in dieses System passen. Es wird im Alltag durch Verhaltensweisen, Normen und Regeln hergestellt. Geschlechternormen sind also soziale Regeln oder Erwartungen darüber, wie Menschen sich aufgrund ihres bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts (männlich oder weiblich) verhalten sollten, aber auch, wie sie von anderen behandelt werden und welche Möglichkeiten sie haben sollten.

Fabian steht mit zwei seiner Töchter draußen und macht einer von ihnen die Haare
In der ecuadorianischen Provinz Cotopaxi verbringen 54 Prozent der Väter weniger als eine Stunde pro Tag mit ihrer Familie. Anders macht es Fabián: Er übernimmt eine aktive Rolle bei der Kindererziehung Plan International

Die schädlichste Auswirkung solcher restriktiven Geschlechternormen ist, dass sie allen Personen schadet. Sich an stereotype Erwartungen anpassen zu müssen, kann dazu führen, dass Menschen ihre Interessen und Talente unterdrücken – was ihre beruflichen und persönlichen Möglichkeiten begrenzt. Personen, die nicht den traditionellen Geschlechtererwartungen entsprechen oder sich keinem der Geschlechter im binären Geschlechtersystem zugehörig fühlen, werden oftmals diskriminiert. Geschlechtsspezifische Normen können zudem Gewalt fördern – insbesondere gegen Mädchen und Frauen (lesen Sie dazu auch unser Interview mit Autorin und Journalistin Susanne Kaiser, die über Frauenhass und Sexismus spricht). Sie führen zudem zu einer ungleichen Verteilung von Ressourcen wie Bildung, Gesundheitsversorgung und beruflichen Chancen.

Das familiäre Umfeld als Vorbild

Die weit verbreiteten Geschlechterstereotypen können jedoch schon zuhause angegangen werden – indem man mit den Eltern zusammenarbeitet, um die vorherrschenden Normen zu ermitteln und ihnen entgegenzuwirken. Denn das familiäre Umfeld hat einen prägenden Einfluss auf die Entwicklung und Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen.

In vielen patriarchalischen Gesellschaften gibt es die Vorstellung, dass Jungen gegenüber Mädchen bevorzugt werden sollten.

Jaimito (36) aus Ecuador lernte von seinem Vater, dass Männer mehr Wert seien als Frauen Plan International
eine Frau sitzt in der Hocke vor einer Schüssel mit Wasser und putzt darin Gemüse, ein Kleinkind sitzt neben der Schüssel und macht mit
Die junge Vietnamesin Hang (19) putzt Gemüse, ihr kleiner Sohn (1) darf mithelfen. Hang besucht in ihrem Dorf ein Elternprojekt, in dem Geschlechternormen aufgebrochen werden Ngoc R'nP

Natürlich sind Eltern nicht allein dafür verantwortlich, wie ihre Kinder Geschlechterrollen wahrnehmen – ein Großteil der Außenwelt, darunter Gleichaltrige, Lehrkräfte, Betreuer:innen und die Medien, haben einen Einfluss darauf, wie Kinder (und sogar die Eltern selbst) denken, dass sie sich aufgrund ihres zugewiesenen Geschlechts verhalten sollten. Eltern, die sich der vorherrschenden Geschlechternormen bewusst sind, haben jedoch die Möglichkeit, Geschlechterrollen infrage zu stellen und Stereotype zu durchbrechen.

In vielen patriarchalischen Gesellschaften gibt es die Vorstellung, dass Jungen gegenüber Mädchen bevorzugt werden sollten. Sie werden als „wertvoller“ wahrgenommen. Auch Jaimito (36) aus Ecuador war als Jugendlicher überzeugt, dass Männer mehr Wert wären als Frauen und ihnen mehr Privilegien und Macht zustünden. Emotionen wie Traurigkeit oder Schmerz hingegen, hatte er von seinem Vater gelernt, gehörten nicht zur Männlichkeit dazu. Nach der Teilnahme am Projekt „Dads who care – Väter, die sich kümmern“ von Plan International hat sich seine Einstellung verändert; und damit auch die Beziehung zu seinen Kindern (erfahren Sie hier mehr).

Junger Vater liest mit seinem Sohn auf der Treppe
Gemeinsame Zeit bringt Pen (23) und seinen Sohn einander näher Plan International

Väter, die eine aktive Rolle bei der Kinderbetreuung und der Hausarbeit einnehmen, beeinflussen ihre Kinder positiv, indem sie ihnen zeigen, dass die Rolle des erwachsenen Mannes fürsorglich sein kann. Ein Beispiel hierfür ist auch die Geschichte von Pen, einem jungen Vater aus Kambodscha: Der 23-Jährige teilte sich die Arbeit auf dem Feld mit seiner Frau, die zusätzliche Hausarbeit und Kinderbetreuung blieb allerdings anfangs ihr allein überlassen. In einem Projekt zur frühen Kindesentwicklung von Plan International lernte Pen eine andere Rolle des Mannes im Haushalt kennen – und beschloss, sein Leben zu ändern. Heute leitet er eine Vätergruppe in seiner Gemeinde, trotz Widerstand einiger Männer im Ort. Lesen Sie hier seine Geschichte.

Hellen (14) aus Tansania wurde ihr Recht auf Bildung jahrelang verwehrt, weil sie als Mädchen auf ihre Ehe vorbereitete wurde Lilian Mmbaga

Geschlechternormen können Wahrnehmung der Menschenrechte behindern

In vielen, vor allem einkommensschwachen Ländern können Mädchen und Frauen sowie anderen Menschen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität marginalisiert werden, grundlegende Menschenrechte wie Bildung, Gesundheit und Schutz nicht wahrnehmen. Ein Beispiel im Bereich Bildung ist die Geschichte von Hellen aus Tansania: Jahrelang träumte sie davon, Lehrerin zu werden, obwohl sie noch nie in ihrem Leben ein Klassenzimmer betreten hatte. Wie andere Mädchen in ihrer Gemeinde wurde auch Hellen ein Leben lang darauf vorbereitet, verheiratet und Mutter zu werden. Die Mitgift, die ihre Ehe einbringen könnte, schien wichtiger als Bildung – bis ihre Eltern durch ein Projekt von Plan International erfuhren, wie wichtig Bildung insbesondere für Mädchen ist und Hellen schließlich mit 14 Jahren eingeschult werden konnte. Lesen Sie ihre ganze Geschichte hier.

Gendertransformativer Programmansatz

Eine Welt zu fördern, in der sich alle gleichberechtigt und frei von geschlechterspezifischen Erwartungen entfalten und entwickeln können, gehört zu den Kernzielen von Plan International und ist die Grundvoraussetzung für das Erreichen unserer anderen Ziele. Unser Fokus liegt nicht nur darauf, die Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen zu verbessern, wir wollen auch ungleiche Machtverhältnisse verändern. Dazu streben wir an, die gesellschaftliche Stellung von Mädchen, Frauen und anderen Menschen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität marginalisiert werden, zu verbessern und dazu beizutragen, dass sie ihre Rechte wahrnehmen können (erfahren Sie hier mehr über unseren gendertransformativen Programmansatz). Wir unterstützen zudem junge Menschen darin, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und Einfluss zu nehmen auf die Themen, die sie betreffen.

Durch die Ungleichbehandlung der Geschlechter werden schwerwiegende globale Probleme wie generationenübergreifende Armutszyklen, Kinderehen, geschlechtsspezifische Gewalt und hohe Sterblichkeitsraten bei Müttern und Neugeborenen weiter verschärft. Aus diesem Grund ist es wichtig, Geschlechtergerechtigkeit gemeinsam anzugehen – positive Vorbilder im häuslichen Umfeld können hierfür einen wichtigen Grundstein legen.

Mädchen fordern politische Teilhabe

Miguel Gutierrez Chero

Die Herausforderungen, mit denen Mädchen konfrontiert sind, wenn sie sich politisch engagieren wollen, zeigt ein Projekt von Plan International in Peru: 20 Mädchen zeigen in Fotos ihre Sicht auf die Situation. In ihrem Manifest zu ihrem Foto schreibt die 14-jährige Xiomara: „Mädchen und Frauen sind in ihrer politischen Teilhabe oft eingeschränkt, weil es als unsere Aufgabe angesehen wird, dass wir uns um die Hausarbeit kümmern müssen. Das macht mich unzufrieden, denn es handelt sich um Stereotypen, die uns von der Gesellschaft auferlegt wurden und zuhause fortbestehen – das schränkt unser Potenzial ein.“

Mehr erfahren

Unsere Arbeit unterstützen

Sie möchten uns dabei helfen, die Lebensumstände von Kindern und ihren Familien in unseren Programmländern in Afrika, Asien und Lateinamerika nachhaltig zu verbessern? Wir setzen uns in unseren Programmregionen dafür ein, den Menschen Zugang zu Einkommen, sauberem Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen, Bildung, Gesundheitsdiensten, Kinderschutz, Nothilfe und Gleichberechtigung zu ermöglichen – immer mit einem gendertransformativem Programmansatz. Helfen Sie uns dabei und spenden Sie jetzt in unseren Sonderprojekt-Fonds!

Jetzt unterstützen

Sie mögen diesen Artikel? Teilen Sie ihn gerne.

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Engagieren Sie sich mit uns für eine gerechte Welt! Registrieren Sie sich jetzt für unseren kostenlosen Newsletter

Widerruf jederzeit möglich. Bitte beachten Sie unsere Datenschutzerklärung sowie unsere Kinderschutzrichtlinie

Newsletter