Was bedeutet gendertransformative Programmarbeit für Plan?

Foto: Plan International

Im Interview erzählt die Gender-Expertin von Plan International, warum ein gendertransformativer Ansatz für nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit unabdingbar ist.

Kirstin Bostelmann ist Plans Referentin für gendertransformative und inklusive Programmarbeit. Sie schaut darauf, dass Projekte von Plan Deutschland einen starken Beitrag zum Thema Geschlechtergleichheit leisten und die Rechte von Mädchen und jungen Frauen fördern. Von der Projektidee, zum Schreiben des Antrages bis hin zur Durchführung und Evaluierung unterstützt sie Kolleg:innen dabei, den so genannten Gendermarker anzuwenden und die sechs Elemente der gendertransformativen Arbeit bei der Projektplanung zu berücksichtigen.

„Jedes Projekt fördert Geschlechtergleichheit“

Kirstin, warum ist gendertransformatives Arbeiten so wichtig?

Kirstin Bostelmann: Der gendertransformative Ansatz setzt nicht nur an den Symptomen von Diskriminierung und Geschlechterungleichheit an, sondern auch an den Ursachen. Dadurch sind die Maßnahmen und Auswirkungen nachhaltiger. Zu den Ursachen für Ungleichbehandlung gehören auch Geschlechternormen. Wir alle werden von Geschlechternormen geprägt, egal welches Geschlecht wir haben und ob das bewusst oder unbewusst geschieht. Geschlechternormen beeinflussen, wie wir in unserem Umfeld wahrgenommen werden, was wir machen dürfen, wie wir uns selbst wahrnehmen und welche Entfaltungsmöglichkeiten wir haben. Unsere Plan-Mission ist eine gerechte Welt, in der Kinderrechte und vor allem die Rechte von Mädchen und Frauen geachtet werden und in der es keine Diskriminierung mehr gibt. Um das zu erreichen, fördert jedes Projekt, das Plan durchführt, Geschlechtergleichheit.

Eine Frau steht in einem Büroflur
Kirstin Bostelmann, Gender-Expertin von Plan International Deutschland Jenner Egberts

Wie sieht das anhand eines konkreten Beispiels aus?

Nehmen wir das Beispiel Bildung: Wenn wir Mädchen über ein Stipendium ermöglichen, eine weiterführende Schule zu besuchen, dann ist das eine Einzelmaßnahme, über die eine begrenzte Anzahl von Mädchen Zugang zu hochwertiger Bildung bekommt. Andere profitieren davon aber nicht. Auch werden die Ursachen, deretwegen Mädchen oft nicht zur Schule gehen, auf diese Weise nicht verändert. Ursachen können z.B. sein, dass Toiletten fehlen, dass Mädchen auf dem Schulweg sexualisierte Gewalt erfahren oder dass schwangere Mädchen die Schule verlassen müssen. Um das zu verändern, arbeitet Plan mit lokalen Regierungen und Schulen zusammen, um z.B. saubere und sichere Toiletten zur Verfügung zu stellen und kostenlose Binden auszugeben. Das Thema „gefährlicher Schulweg“ wird über Kampagnen, die Verbesserung der Infrastruktur oder eine andere Gesetzgebung angegangen. Für schwangere Mädchen oder junge Mütter werden alternative Bildungsmaßnahmen oder Berufstrainings angeboten. Sexualkunde und Verhütungsmittel können verhindern, dass Mädchen ungewollt schwanger werden. Diese Beispiele verdeutlichen: Ursachen für Geschlechterungleichheiten sind immer vielfältig und unser Programmansatz sollte deshalb auf verschiedenen Ebenen wirken.

Mädchen laufen zu einem Gebäude, das blau und weiß gestrichen ist, und in dem Toiletten und Waschräume untergebracht sind.
In Uganda wurden im Rahmen eines Menstruationshygiene-Projektes Sanitäranlagen an Schulen gebaut, damit Mädchen auch während ihrer Periode den Unterricht besuchen können Plan International
Eine junge Frau steht vor einem Plakat, auf dem Fakten und Bilder zum Thema Menstruation stehen.
Dulce entkräftet Mythen rund um die Menstruation in ihrer Gemeinde in Peru Plan International

Wie kann bei der Planung eines gendertransformativen Projektes sichergestellt werden, dass von vornherein an den richtigen „Stellschrauben“ gearbeitet wird?

Dazu werden die sechs Elemente einer gendertransformativen Arbeit in die Planung einbezogen. Wir schauen uns erstens an: Was sind die genauen Ursachen von Ungleichbehandlung, Diskriminierung und Gewalt vor Ort und welche vorherrschenden Geschlechternormen ermöglichen sie? Wir achten beim Aufsetzen eines Projektes zweitens darauf, die Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Mädchen und Jungen, Jugendlichen sowie jungen Frauen und Männern so zu stärken, dass sie in der Lage sind, eigenständig für ihre Rechte einzustehen. Wir arbeiten drittens gezielt mit Jungen und jungen Männern und ermutigen sie, alternative und positive Bilder von Männlichkeit zu entwickeln und sich bewusst gegen geschlechtsbasierte Gewalt und für Geschlechtergleichheit einzusetzen. Viertens arbeiten wir am sozialen Status von Mädchen und jungen Frauen, denn wenn sie als ebenso wertvoll, wichtig und einflussreich erachtet werden wie junge Männer, dann sind Familien, Gemeinden und andere Stakeholder auch bereit, mehr in sie zu „investieren“.

Ein fünfter wichtiger Punkt ist, Mädchen, Jungen und Jugendliche in all ihrer Diversität wahrzunehmen, also einen intersektionalen Blick einzunehmen. Wir müssen verstehen, wie sich Geschlechternormen mit anderen Identitäten vermischen und welche Diskriminierungserlebnisse daraus resultieren. Dazu müssen wir zum Beispiel die sexuelle Orientierung mitdenken, Menschen mit Behinderungen oder ethnischen Zugehörigkeiten oder andere intersektionelle Faktoren für die Planung mit in Betracht ziehen.

Als letztes geht es darum, eine „enabling environment“ für die Projektteilnehmenden zu schaffen, also förderliche Rahmenbedingungen. Junge Menschen leben nicht im luftleeren Raum, sondern sind Teil der sie umgebenen Strukturen. Wir arbeiten deshalb mit Familien, Schulen, Gemeinden und Regierungen daran, Gesetzgebungen und soziale Richtlinien zu schaffen, die Geschlechtergleichheit fördern und diskriminierende Geschlechterungleichheiten abschaffen.

Ein junger Mann hat ein kleines Mädchen (seine Schwester) auf dem Arm und schaut sie liebevoll an.
Jhon setzt sich gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein, damit seine Schwester eine bessere Zukunft hat Plan International

Ein weiteres Instrument ist der Gendermarker. Was verbirgt sich dahinter?

Den Gendermarker haben wir 2020 für unsere Projekt- und Programmplanung eingeführt. Er misst, welches Potenzial ein Projekt für einen gendertransformativen Wandel mitbringt und zeigt auf, wo und wie wir die Konzeption eines Projektes noch verbessern können. Der Gendermarker prüft, ob eine Genderanalyse durchgeführt wurde, um die Ausgangssituation besser zu verstehen. Er schaut sich auch die sechs Elemente gendertransformativer Programmarbeit an und wie sehr das Projekt diese berücksichtigt. Weitere Fragen sind, ob Mädchen und Jungen genügend eingebunden wurden, ob die personellen Kapazitäten für Gender und Inklusion vorhanden sind und ob auch genügend Budget dafür zur Verfügung gestellt werden kann. Nach der Hälfte des Projekts sowie am Ende wird dann im optimalen Fall noch mal mit dem Gendermarker bewertet. Seit 2022 werden nur noch Projekte freigegeben, wenn vorher ein Gendermarker durchgeführt wurde.

Kleine Kinder sitzen mit einer Lehrerin im Kreis auf dem Boden.
Nach einem Workshop von Plan International achtet Jamila bei ihrer Kindergartenklasse auf die Gleichberechtigung der Geschlechter Mushfiqul Alam

Wie steht es weltweit um das Erreichen von Geschlechtergleichheit?

Wir haben insgesamt Fortschritte in Bezug auf Gleichberechtigung erreicht, vor allem, was die Gesetze angeht. Auf dem Papier haben wir in vielen Ländern eine nominelle Gleichberechtigung. Schauen wir uns aber die Umsetzung dieser Gesetze in der Realität an, sieht es ganz anders aus. Die UN hat zum Internationalen Weltfrauentag 2023 gesagt, dass es noch 300 Jahre dauern wird, bis eine Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht ist. Das hat vor allem auch mit tradierten Geschlechternormen zu tun, die Männer und Jungen bevorzugen, aber auch mit humanitären Krisen, z.B. bewaffneten Konflikten und der Klimakrise, die alle direkt oder indirekt für Rückschritte und Barrieren in der Entwicklung der Gleichberechtigung beigetragen haben.

Umfrage zu Männlichkeit in Deutschland

Plan International stärkt die Rechte von Mädchen und jungen Frauen weltweit. Um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, müssen auch Jungen und Männer mit einbezogen und dazu ermutigt werden, sich kritisch mit gesellschaftlichen Vorgaben für Männlichkeit auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist es wichtig, zu wissen, wie Männlichkeit verstanden wird – in Thema, über das aktuell auch viel in Deutschland diskutiert wird, insbesondere in den sozialen Netzwerken.

Wir wollten deshalb wissen, wie es bei den 18- bis 35-Jährigen, die sich viel auf Social Media bewegen, um das Thema Männlichkeit bestellt ist. Die Ergebnisse zeigen, dass Deutschland in der jungen Generation immer noch weit entfernt von echter Gleichberechtigung ist. Die komplette Befragung „Spannungsfeld Männlichkeit“ finden Sie hier:

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