Agnes sitzt im Schatten eines Sonnenschirms und ihr Blick streift über bewaldete Hügelketten. Die Gegend hier im Süden Ruandas ist friedlich – ein Umstand, den die junge Mutter in ihrem Leben viel zu lange missen musste. Und wären da nicht die vielen schmalen Häuser an einer Seite eines weitläufigen Tals – dies könnte die Kulisse eines Musterdorfs sein. Doch es handelt sich um Mugombwa, ein Lager für Geflüchtete aus dem Nachbarland, der Demokratischen Republik Kongo.
Für junge Menschen, die in einem solchen Camp aufwachsen, ist das Leben alles andere als einfach. Die meisten von ihnen sind vor bewaffneten Konflikten geflohen und zum Teil schon seit Jahren von ihrer Heimat getrennt. Doch nach all der Gewalt im Nachbarland erleben sie hier in Ruanda auf vielen Ebenen nun so etwas wie Sicherheit.
Rund 130.000 Menschen sind nach UN-Angaben insgesamt nach Ruanda geflüchtet, die meisten von ihnen aus der Demokratischen Republik Kongo. Nachdem sie unterwegs oftmals traumatische Erlebnisse hatten, ergreifen sie jetzt die Chancen, um ihre neue Heimat zu einem besseren Ort für sich und ihre Familien zu machen. Darunter auch Agnes, die inzwischen stolze Betreiberin eines kleinen Obst- und Gemüsehandels ist. Noch vor ein paar Jahren wäre dies für sie kaum denkbar gewesen. „Als ich sehr jung war, bin ich schwanger geworden, ohne zu wissen, wie man ein Kind großzieht“, erzählt sie.
Plan International hat sichere Orte für Mädchen und Frauen eingerichtet.
Im Lager sind junge Menschen häufig einem erhöhten Risiko von Gewalt, sexueller Ausbeutung und ungewollter Schwangerschaft ausgesetzt, da es vielen von ihnen an Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten mangelt. Damit sich insbesondere Mädchen und junge Frauen schützen können, hat Plan International mit Unterstützung institutioneller Partner sichere Orte für sie eingerichtet. Es sind kleine „Oasen“, in denen sich heranwachsende Mädchen im Alter von zwölf bis 17 Jahren beraten lassen können.
In den Schutzräumen bieten sich den Mädchen und jungen Frauen neben Beratungsdiensten zu sexueller und reproduktiver Gesundheit auch Schulungen zu Finanzmanagement und gegen geschlechtsspezifische Gewalt. In einem von insgesamt vier solcher Plan-Schutzzentren ist Rosette als Mentorin tätig. An sechs Tagen in der Woche unterstützt sie die Teilnehmerinnen bei der Bewältigung verschiedener Lebensfragen – einschließlich des Managements ihrer Menstruationsgesundheit.
„Die Räume sind mit den wichtigsten Hygieneartikeln wie Damenbinden und Unterwäsche ausgestattet. Wenn ein Mädchen seine Periode hat, können wir ihr helfen, die Menstruation sicher zu bewältigen“, erklärt Rosette. „Hier können sie außerdem Beratungs- und Vermittlungsdienste in Anspruch nehmen, Gewalt und Missbrauch melden und sich mit uns Mentorinnen sowie Gleichaltrigen austauschen.“
Rosette und die anderen Mentorinnen bieten gezielt Lehrpläne an, um Wissen und Verhalten in Bezug auf Selbstvertrauen, Lebensplanung, Finanzen sowie sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu verbessern. „Wir zeigen den Teilnehmerinnen, wie sie gute Entscheidungen für ihre Zukunft treffen, ein Selbstwertgefühl entwickeln und Konflikte in der Familie lösen sowie die Grundlagen für eine finanzielle Unabhängigkeit schaffen können“, erzählt Rosette.
„Wir zeigen den Teilnehmerinnen, wie sie gute Entscheidungen für ihre Zukunft treffen können.“
Den geschützten Mädchenraum im Lager Mugombwa besucht unter anderem Promesse. Für die 15-Jährige geht es bei ihrer Teilnahme nicht nur um verschiedene Trainings für die persönliche Lebensentwicklung, sondern auch um ganz praktische Kenntnisse. Sie und ihre Freundinnen haben eine eigene Spargruppe gegründet. „Wir haben sie ,Mirror‘ (Spiegel) genannt“, sagt die junge Frau – eine von insgesamt rund 20.000 Personen, die von dem Plan-Projekt für geflüchtete Menschen in Ruanda bereits profitiert haben.
„Ich war mir lange nicht bewusst, wie wichtig es ist, ein klares Lebensziel zu haben“, sagt Promesse. Sie ist der Meinung, dass die Angebote im Schutzzentrum und die Mentorinnen ihr dabei geholfen haben, selbstständiger zu werden. „Heute kann ich Entscheidungen für mein Leben besser abschätzen“, sagt sie.
„Heute kann ich Entscheidungen für mein Leben besser abschätzen.“
Die Schülerin unterstützt ihre Mutter dabei, monatlich 500 Ruandische Franc (0,35 Euro) in den „Mirror“-Sparfonds einzuzahlen. Darin werden die Einlagen aller Teilnehmenden gesammelt und verwaltet. Schon mit minimalen Beträgen können sie sich beteiligen, profitieren von den Zinsen aus entliehenem Geld oder leihen sich selbst einen kleinen Betrag für eine Investition. 47 Spargruppen mit insgesamt 130 Millionen Ruandischen Francs an Einlagen wurden bisher im Rahmen der Projektaktivitäten gegründet. „Uns wurde beigebracht, wie man spart und mit dem Geld klug seine Ziele verwirklichen kann“, berichtet Promesse, die nach den Trainings nicht nur besser mit ihren Finanzen umgehen, sondern auch selbstbewusster auftreten kann.
Verbündete auf dem Weg zu einem gleichberechtigten und sozialen Miteinander sind die Jungen und Männer im Camp. Im Plan-Projekt „Champions of Change – Champions des Wandels“ werden sie dahingehend geschult, ihre Verhaltensweisen zu hinterfragen, gegebenenfalls anzupassen – und dadurch die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern sowie alltägliche Gewalt zu verhindern. Dabei sind Merveille und Patrick zu echten Vorbildern geworden.
„Als Jungen hat uns dieses Projekt dabei geholfen, die Gleichstellung der Geschlechter zu verstehen“, erzählt Patrick. „Ich habe gelernt, dass wir unsere Schwestern unterstützen müssen und dass keine Arbeit ausschließlich Mädchen oder Jungen zugewiesen wird. Wir können überall zusammenarbeiten. Eine Veränderung für mich persönlich ist, dass ich gelernt habe, wie man kocht.“
Merveille nickt und ergänzt, dass die Jungen bei diesem Projekt nicht nur über die Bedeutung der Gleichberechtigung der Geschlechter aufgeklärt wurden, sondern sich auch über negative Verhaltensweisen wie Drogenkonsum oder die Folgen von Teenagerschwangerschaften informiert haben. Wissen, das sie nun in ihre eigenen Familien weitergeben und dort umsetzen können.
Die geschützten Räume für Mädchen sowie Trainings für Jungen und Männer, die Sparclubs und Unterstützung für Mütter im Camp – dies alles hat zu dem friedlichen Alltag in den Bergen im Süden Ruandas beigetragen, den Agnes an ihrem kleinen Marktstand erlebt. Sie hat sich nicht nur ihren kleinen Lebensmittelhandel aufgebaut, sondern sieht sich jetzt auch in der Lage, besser für ihr Kind zu sorgen. „Ich habe mein kleines Geschäft eröffnet, verdiene meinen Lebensunterhalt und kann mich selbst um mein Kind kümmern – das gibt mir neue Hoffnung.“
Der Beitrag wurde mit Material aus dem ruandischen Plan-Büro erstellt.