„Meine Kinder sind aufgewachsen, ohne etwas über sexuelle Gesundheit zu wissen, weil ich als Kind selbst auch nichts darüber wusste“, sagt Immaculée. Vielen Familien im ostafrikanischen Ruanda geht es ähnlich, denn über Sex zu reden, gilt als Tabu. Der Sexualkundeunterricht in den Schulen beschränkt sich auf die Anatomie des Körpers – sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRGR) werden außenvorgelassen. Teenagerschwangerschaften und kontinuierlich hohe Quoten sexuell übertragbarer Krankheiten sind die Folge.
Doch in einem Teil des Landes bewegt sich etwas. Im Distrikt Gatsibo, im Nordosten Ruandas, ist die Zahl der Teenagerschwangerschaften deutlich zurückgegangen – von über 800 auf 518 innerhalb von sechs Monaten.
Ein Projekt von Plan International konnte dazu beitragen: Es richtet sich an Jugendliche und sorgt für eine gezielte Aufklärung bei Fragen rund um ihre Sexualität, Gesundheit und Rechte. Dabei steht vor allem das Selbstvertrauen im Fokus. In den Kursen lernen die Jugendlichen, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen – gut informiert und ermutigt sollen sie so ihr Leben selbst in die Hand nehmen.
„Eine erhebliche Anzahl von Mädchen wird immer noch im Teenageralter schwanger, und das wirkt sich negativ auf ihre Zukunft aus. Um Teenagerschwangerschaften zu verhindern, brauchen wir konsequente Aufklärungskampagnen“, erklärt Alice Bumanzi, SRGR-Programmmanagerin von Plan International in Ruanda. „Wenn Jugendliche über sexuelle und reproduktive Gesundheit Bescheid wissen, können sie, insbesondere Mädchen, ohne Einmischung von außen, freie Entscheidungen über ihren Körper treffen. Vor allem, wenn es um ihre Zukunft und Lebensentscheidungen geht“, fügt Providence Ndinawemufasha hinzu, sie ist Beraterin für SRGR in Alice Bumanzis Team.
„Um Teenagerschwangerschaften zu verhindern, brauchen wir konsequente Aufklärungskampagnen.“
Die 21-jährige Delphine leitet einen dieser Kurse. Sie konzentriert sich in ihrer Arbeit vor allem auf Mädchen, die die Schule abgebrochen haben und somit einem größeren Risiko von Frühverheiratung und Teenagerschwangerschaft ausgesetzt sind. „Einige der größten Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, sind das geringe Selbstwertgefühl und Schüchternheit. Ein Mädchen, das seine Periode hat, traut sich zum Beispiel nicht, seine Eltern nach Binden zu fragen und bittet stattdessen einen Jungen um Geld“, erklärt Delphine. „Der Junge könnte als Gegenleistung für das Geld allerdings sexuelle Gefallen fordern. Das setzt das Mädchen dem Risiko aus, sexuell übertragbare Krankheiten zu bekommen oder schwanger zu werden. Das zeigt, wie wichtig unsere Kampagne ist. Deshalb arbeiten wir auch innerhalb der Familien und gehen das Problem des geringen Selbstwertgefühls an.“
„Einige der größten Herausforderungen sind das geringe Selbstwertgefühl und Schüchternheit.“
Denn nicht nur die Jugendlichen nehmen an Schulungen teil: Auch für die Eltern schafft Plan International einen Raum. In offenen Gesprächsrunden am Abend tauschen sie sich zu Möglichkeiten aus, wie sie gemeinsam in der Familie die Jugendlichen vor Teenagerschwangerschaften zu schützen können. Hier lernen auch die Eltern dazu und vertiefen ihr Wissen zu Sexualität und Gesundheit. Dieser Austausch fördert das Verständnis zwischen den Familienmitgliedern.
Immaculée, zweifache Mutter, leitet diese Gesprächsrunden mit den Eltern und sieht schon an sich selbst eine deutliche Veränderung. „Nachdem ich an der Schulung teilgenommen hatte, habe ich gemerkt, dass ich mehr Selbstvertrauen hatte“, sagt sie.
Das ganze Projekt steht im Zeichen der Gleichberechtigung. Um die zu erreichen, ist es wichtig, einerseits auch die Jungen miteinzubeziehen und andererseits die Mädchen zu ermutigen, die Kontrolle über ihren Körper und ihr Leben wahrzunehmen. Auch Immaculées Kinder sind Teil des Projekts: „Heute gehen meine Kinder – ein Junge und ein Mädchen – in einen Jugendclub zu Sexualkunde. Die Jungen lernen etwas über die Veränderungen in ihrem Körper, und die Mädchen lernen, ihren Körper zu verstehen, damit sie sich schützen können.“ Plan International will daher nicht nur Wissen über Sexualität und Gesundheit, sondern auch Mut und Selbstbewusstsein vermitteln, um für die eigenen Rechte einzustehen.
Der Artikel wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Ruanda erstellt.