Leben auf Abruf

Foto: Mona Elfateh

Zwei Jahre Krieg haben in Sudan die größte humanitäre Krise weltweit ausgelöst, die vor allem Kinder bedroht. Doch es kommt auch Hilfe bei ihnen an.

Am 15. April jährt sich der Beginn des gegenwärtigen Konflikts in Sudan zum zweiten Mal. Inzwischen sind mehr als 12,6 Millionen Menschen vertrieben worden und geflohen. Der Krieg hat damit eine der gravierendsten humanitären Krisen der Welt ausgelöst, in der vor allem Mädchen und Jungen in Gefahr vor Gewalt und Missbrauch schweben.

Die 16-jährige Weam ist eine der etwa 8,6 Millionen Menschen, die allein innerhalb von Sudan auf der Flucht vor der anhaltenden Gewalt sind. Seit dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts vor zwei Jahren musste sie bereits mehrfach mit ihrer Familie fliehen. Derzeit lebt sie in einem Lager für binnenvertriebene Menschen im Bundesstaat Kassala ganz im Osten des Landes.

Ein Mädchen sitzt in einem Zelt
Weam (16) musste seit dem Ausbruch des Krieges in Sudan mehrfach fliehen Plan International

„Nichts ist mehr wie zuvor.“

Weam (16), geflüchtetes Mädchen in Sudan
Zwei Frauen in einer Strohhütte
Weam (re.) und ihre Mutter bereiten in ihrer Notunterkunft eine Mahlzeit zu Plan International
Ein Mädchen sitzt und liest
Auch auf der Flucht möchte Weam (16) so viel wie möglich lernen Plan International

„Als wir in Kassala ankamen, veränderte sich mein Leben komplett. Nichts ist mehr wie zuvor, und ich musste mit der Schule praktisch von vorne beginnen.“, erzählt Weam. „In unserem Lager gibt es an drei Tagen in der Woche Unterricht für Mädchen und an drei anderen für Jungen.“

Während die 16-Jährige unter den gegebenen Umständen versucht, so viel wie möglich zu lernen, haben ihre älteren Brüder weniger Glück: „Da es im Lager keine weiterführende Schule gibt und meine Familie sich den Schulbesuch in der nahegelegenen Stadt nicht leisten kann, können sie ihre Ausbildung nicht fortsetzen“, sagt Weam.

Dabei sind die wenigen Stunden Unterricht, an den Weam jede Woche teilnimmt, noch ein Glücksfall. Denn das Bildungssystem im ostafrikanischen Sudan ist durch den Konflikt weitgehend lahmgelegt. 17 von insgesamt 19 Millionen schulpflichtigen Kindern können nicht zur Schule gehen – unter anderem, weil viele Gebäude in Sammelstellen für Binnenvertriebene umfunktioniert worden sind. Seit dem Ausbruch des Krieges im April 2023 konnten nur 20 Prozent der Schulen wieder eröffnen, was die Zukunft der nächsten Generation massiv gefährdet, berichten die Fachleute für humanitäre Hilfe von Plan International Sudan.

Für Schutz mitten im Krieg

8,6 Millionen Menschen sind in Sudan auf der Flucht, weitere 3,7 Millionen haben sich in den Nachbarländern wie Äthiopien, Südsudan, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik in Sicherheit gebracht, wo Plan International humanitäre Hilfe leistet.
In Äthiopien zum Beispiel mit dem Projekt Ein Platz für Leben.

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Fünf Frauen sitzen auf einer Matte
Weam (2. v. r.) verbringt ihre freie Zeit im Lager mit anderen geflüchteten Frauen Plan International

Weams Familie stammt ursprünglich aus dem Bundesstaat Sinnar, der weiter westlich und in der Nähe von Khartum liegt. In der sudanesischen Hauptstadt und ihrer Umgebung eskalierte die Gewalt in den letzten beiden Jahren besonders – mit verheerenden Auswirkungen für Hunderttausende Familien. Im Juni 2024 musste auch Weam mit ihren Eltern und Geschwistern fliehen: „Wir fuhren auf einem Lastwagen zusammen mit 15 anderen Familien. Die Reise war in der sengenden Sonne sehr anstrengend – später wurden wir vom Regen durchnässt. Als wir am Ziel in der Stadt Gedaref ankamen, empfingen uns dort die Menschen freundlich, wofür ich sehr dankbar bin.“

Eine nicht endende Flucht vor dem bewaffneten Konflikt

Doch die relative Ruhe vor den Gefechten währte nur kurz, und als der bewaffnete Konflikt auch die Region um Gedaref erfasste, sah sich die Familie gezwungen, erneut zu fliehen. Der unfreiwillige Weg führte sie weiter bis in den Ort Gerba. „Mein Vater fand dort zwar einen Job als Landarbeiter, aber leider gab es nirgendwo Unterkünfte. Alle Plätze waren von anderen Vertriebenen belegt. Wir mussten in einem leeren, tür- und fensterlosen Raum auf dem Boden schlafen, während es ununterbrochen regnete“, erinnert sich Weam. Schließlich hielten sie und die Nachbarn die Situation nicht mehr aus und wanderten abermals weiter – in das Lager für binnenvertriebene Menschen im Bundesstaat Kassala.

„Es gab nirgendwo Unterkünfte. Wir mussten auf dem Boden schlafen.“

Weam (16), geflüchtetes Mädchen in Sudan
Ein Junge steht in einer Hütte aus Stroh
Zu den 8,6 Millionen Kindern, die innerhalb von Sudan auf der Flucht vor dem Krieg sind, zählt auch dieser Junge Mona Elfateh
Zwei Mädchen stehen vor einer Strohhütte
Die Familien fliehen meist ohne Nahrungsmittel oder Haushaltsgegenstände. Spielzeuge und Bücher teilen sich die Kinder in der Notunterkunft Mona Elfateh

Auch Mohira (19), die wie Weam auf der Flucht ist, erinnert sich an die Herausforderungen: „Das Fahrzeug, mit dem wir unterwegs waren, hatte eine Panne und dann weigerte sich der Fahrer, weiterzufahren“, erinnert sich Mohira an das abrupte Ende ihrer Reise. So suchten sie und ihre Familie am unfreiwilligen Haltepunkt eine Bleibe.

Gewalt führt zur Vertreibung und diese zu Krankheit und Armut

Doch als die Kämpfe nach etwa einem Monat auch dort ausbrachen, setzte sich Mohiras Flucht fort: „Wir liefen etwa neun Stunden zu Fuß, das war sehr anstrengend, besonders, nachdem uns Essen und Trinkwasser ausgegangen waren. Unsere Wasserreinigungstabletten waren aufgebraucht, und wir wurden schließlich krank. Ohne Nahrungsmittel, Bettzeug oder Kochutensilien kehrten wir schließlich wieder dorthin zurück, wo unsere Mitfahrgelegenheit zuvor die Panne gehabt hatte.“ Irgendwo auf der Flucht verstarb schließlich Mohiras Vater und ihre Mutter muss seitdem allein die Familie durchbringen. Unter schwierigsten Bedingungen verkauft sie Bohnen.

Eine junge Frau schaut ernst in die Kamera
Obwohl Mohira (19) ihren Vater verloren hat und mehrfach vor den kriegerischen Auseinandersetzungen geflohen ist, bleibt sie zuversichtlich Plan International

Viele Familien kommen an den Sammelstellen nur mit dem an, was sie bei der Flucht eben tragen konnten. So mangelt es den Menschen an Decken, Wasser und Nahrungsmitteln sowie Schutz, sicheren Unterkünften, medizinischer und psychosozialer Unterstützung. Mehr als 30 Millionen Menschen in Sudan – fast zwei Drittel der Bevölkerung – benötigen humanitäre Hilfe. Davon sind 16 Millionen Kinder.

Inzwischen hat Mohira mit ihrer Familie Zuflucht in einem Camp gefunden: „Als Plan International ins Schutzlager kam, organisierten sie Aufklärungssitzungen und boten soziale Unterstützung an. Das gab uns ein wenig Trost“, sagt die 19-Jährige.

Grundlegende Dienstleistungen können nicht mehr aufrechterhalten werden

Die humanitäre Hilfe ist dringlicher denn je, denn die Wirtschaft und soziale Dienste in Sudan stehen vor dem völligen Zusammenbruch, darunter auch die Arbeit in vielen Krankenhäusern. Sie werden – wie auch Märkte und andere essenzielle Infrastruktur – kontinuierlich und gezielt angegriffen. Die 18-jährige Nancy musste aufgrund der sich unaufhaltsam ausbreitenden Kämpfe mehrfach fliehen und unterwegs wegen akuter Stresssymptome in einem Krankenhaus behandelt werden. Eine solche medizinische Versorgung ist inzwischen nicht mehr überall im Land gesichert, obwohl immer mehr Fälle von Cholera und Malaria bekannt werden. Rund die Hälfte der Bevölkerung ist außerdem von Ernährungsunsicherheit betroffen; in fünf Regionen von Sudan wurden Hungersnöte festgestellt.

„Ein sicherer Ort zum Leben ist das Wichtigste für jeden Menschen.“

Nancy (18), geflüchtetes Mädchen in Sudan
Eine junge Frau steht vor einem Zelt
Nancy (18) ist seit fast zwei Jahren auf der Flucht – und wünscht sich einen sicheren Ort zum Leben Plan International
Eine Lehrerin kümmert sich um Kinder
In den Notunterkünften in Sudan organisiert Plan International Schulstunden für geflüchtete Kinder Mona Elfateh

„Ein sicherer Ort zum Leben ist das Wichtigste für jeden Menschen, doch bei uns ist das sehr schwer“, sagt Nancy über ihr derzeitiges Leben in der Notunterkunft in Kassala. „Vor dem Konflikt habe ich ein glückliches und friedliches Leben in meinem Dorf gehabt. Jetzt haben wir kein geregeltes Einkommen mehr, ich vermisse meine Freundinnen und Angehörige. Diese schreckliche Situation macht mich traurig.“

Trotz der immensen Herausforderungen arbeitet Plan International daran, möglichst viele Jungen, Mädchen, Jugendliche und ihre Familien in Sudan zu erreichen. Die Kinderrechtsorganisation ist seit über 45 Jahren in Sudan tätig und arbeitet derzeit vor allem im Osten des Landes im Bundesstaat White Nile, Nord-Kordofan, Süd-Kordofan und Nord-Darfur. Das Länderbüro befindet sich momentan im Bundesstaat Red Sea.

Während der Konflikt in sein drittes Jahr geht, konzentriert Plan International seine humanitäre Hilfe für Sudan auf die Bereiche WASH (Wasser, sanitäre Einrichtungen und Hygiene), Kinderschutz, Unterkünfte, Bildung in Notfällen, Gesundheit und Ernährung sowie psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung. 

So hilft Plan International den Menschen in Sudan

In Nord-Darfur hat Plan International 8.000 Hilfspakete mit lebenswichtigen Gütern wie Lebensmitteln, Wasserkanistern, Decken, Küchenausrüstung und Hygieneartikeln verteilt. Die Kinderrechtsorganisation führt zudem drei Bildungsprogramme durch; dadurch können fast 300.000 Mädchen und Jungen wieder lernen.

Trotz schlechter Infrastruktur und bürokratischer Hürden hat Plan International seit Ausbruch des Krieges insgesamt rund 1,2 Millionen Menschen erreicht. Die Hilfe richtet sich nach den humanitären Bedarfen vor Ort und konzentriert sich auf die besonders gefährdeten Gruppen – darunter Kinder, Frauen und Menschen mit Behinderungen.

Gefahr sexueller Übergriffe

Im Kontext von eskalierender Gewalt sind Mädchen und Frauen einem besonderen Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt. Nach UN-Angaben hat sich in Sudan die Zahl von geschlechtsspezifischer Gewalt seit Beginn des Konflikts im April 2023 verdreifacht und betrifft rund zwölf Millionen Personen. Sexuelle Gewalt wird im sudanesischen Konflikt als Waffe angewendet. Mädchen und Frauen werden vergewaltigt, in sexuelle Gefangenschaft gezwungen und/oder zwangsverheiratet. Sogar Kleinkinder wurden sexuell missbraucht.

Ein Mädchen hält einen Stift
Im Plan-Schutzzentrum können Kinder malen und zeichnen Mona Elfateh

Der Konflikt in Sudan gilt international als eine vernachlässigte Krise, über die zu wenig berichtet wird und die unterfinanziert ist. Dabei zählt das Land weltweit zu jenen mit der höchsten Rate von akuter Mangelernährung. In Ostafrika verzeichnet Sudan zudem die höchste Rate von Menschen mit Unterernährung: Vier Millionen Kinder sowie über eine Million schwangere und stillende Frauen sind akut unterernährt. Fachleute erwarten, dass sich die Hungersnot in Sudan weiter verschärft.

Der Artikel wurde mit Material aus dem sudanesischen Plan-Büro erstellt.

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