
Kulturwandel im bolivianischen Hochland
Die farbenprächtigen Stoffe gelten als eine Art kulturelles Markenzeichen von Bolivien. In dem südamerikanischen Andenstaat sind handgefertigte Ponchos und Röcke insbesondere bei der ländlichen Bevölkerung Symbol ihrer kulturellen Identität. „Wir sind stolz auf unsere Kultur“, sagt Camila. „Gleichzeitig bewirken wir mit der Idee der Gleichstellung der Geschlechter auch ihren Wandel.“
Die heute 19-Jährige steht auf dem zugigen Dorfplatz in ihrer Gemeinde im bolivianischen Hochland und wechselt plaudernd vom Spanischen in die indigene Sprache Aymara. Fast 4.000 Meter hoch über dem Meeresspiegel im Altiplano lebt Camila und ist wie andere Frauen und Mädchen mit erheblichen gesellschaftlichen Hindernissen konfrontiert.

„Die Idee der Gleichstellung der Geschlechter bewirkt einen Wandel unserer Kultur.“
Zugang zu Bildung, wirtschaftliche und soziale Teilhabe – all das ist für den männlichen Teil der Bevölkerung leichter erreichbar als für Mädchen und Frauen. Umgekehrt erfahren Letztere viel häufiger Gewalt. Schläge, Schikanen oder psychischer Druck gelten als „normalisiert“ und werden von vielen Gemeinschaften als „traditionell“ gerechtfertigt.
Davon hat Camila seit ihrer Schulzeit genug. Sie will die Ungleichbehandlung nicht länger akzeptieren und stattdessen einen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen. Die engagierte Aktivistin hat unter anderem die Jugendgruppe „Alfa y Omega“ mit dem Ziel gegründet, die Einstellung der Menschen in ihrem Umfeld zu ändern.


Eine erfolgreiche Netzwerkerin wird im Anden-Hochland aktiv
„Ich bin die Leiterin des Jugendnetzwerks Alfa y Omega“, erzählt Camila, die derzeit Jura studiert. „Unsere Gruppe bringt Jugendliche zusammen, um ihre Beteiligung an Entscheidungsprozessen zu fördern und sich für die Gleichstellung der Geschlechter einzusetzen.“ Genau hierfür bringt die junge Frau viele nützliche Fähigkeit mit – etwa die, mit allen Beteiligten in ihrer Gemeinde ins Gespräch zu kommen, Allianzen zu bilden und den Dialog zwischen den Generationen zu fördern. Camila genießt mittlerweile hohes Ansehen, sowohl bei Regierungsbehörden als auch indigenen Führern in ihrer Gemeinschaft.
„Die hohe Rate von Teenagerschwangerschaften hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.“
Auf diese Weise kann sie Themen ansprechen, die der jungen Generation wichtig, aber oftmals nur schwer offen zu diskutieren sind. Viele junge Menschen wünschen sich beispielsweise mehr Schutz vor Gewalt und interessieren sich für Familienplanung, sexuelle und reproduktive Rechte. „Die hohe Rate von Teenagerschwangerschaften hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesellschaft“, sagt Camila. „Was den Zugang zu Bildung angeht, so schafft es zum Beispiel nur eine von zehn Frauen, die als Teenagerinnen schwanger wurden, später auch an eine Universität zu gehen.“
Doch wer eine gute Ausbildung erfahre, verwirkliche auch leichter eine bessere Zukunft – für sich und die eigene Familie, ist sich Camila sicher. „Ich werde mein Netzwerk immer unterstützen“, betont die Studentin, die heute eine Rede auf der Versammlung in ihrer Gemeinde halten wird, denn sie hat eine wichtige Neuigkeit mitzuteilen.
Platz für junge Menschen und ihre Bedürfnisse schaffen
Bald ist es so weit, ihr Auftritt steht an. „Wir sind eine Organisation, die sich für die Belange der Jugendlichen einsetzt, und wir haben ein Projekt zum Bau eines Jugendzentrums gewonnen“, sagt Camila auf dem Podium eines voll besetzten Versammlungssaals in ihrer Gemeinde stehend. Die Aktivistin appelliert: „Wir brauchen Ihre Unterstützung, um ein Grundstück für den Bau des Jugendzentrums zu finden!“
Für ihre Rede erntet sie Beifall und nachdem die Gemeinde Camila nicht nur zugehört hat, sondern auch Bereitschaft signalisiert, das Vorhaben zu unterstützen, lächelt sie glücklich. „Wo werden wir es bauen?“, fragt eine Frau aus dem Publikum. „Ich möchte meinen Sohn dorthin schicken“, sagt eine andere.

„Wir sind eine Organisation, die sich für die Belange der Jugendlichen einsetzt.“
Als Camila wieder von der kleinen Bühne steigt und die Anspannung von ihr weicht, erzählt sie, dass ihr Weg als Führungskraft von und mit Plan International Bolivien geprägt wurde; vor mehr als vier Jahren, als sie zum ersten Mal an einem Projekt der Kinderrechtsorganisation teilnahm. Dabei wurden seinerzeit vor allem Mädchen und junge Frauen eingeladen, um sich über ihre sexuellen und reproduktiven Rechte zu informieren sowie Unterstützung einzufordern, die ihnen Sicherheit bringen und eine gleichberechtigtere Zukunft verschaffen soll. Bei den Workshops wurden die Zusammenhänge von Armut, Ausgrenzung und Gewalt thematisiert – ein Diskussionsansatz, der Camila seitdem nicht mehr loslässt.
Ihr Herzblut hängt an diesen Themen, unter anderem auch deshalb, weil sie vor Jahren in der Schule selbst gemobbt wurde. „Das galt als ,normal‘, aber ich mochte es gar nicht“, sagt sie über ihre damaligen Gefühle von Wut und Traurigkeit.


Rechtlicher Beistand und Rat für die Opfer von Gewalt
Im Rahmen des aktuell laufenden Plan-Projekts sind sechs Jugendnetzwerke in ländlichen Regionen von Bolivien ins Leben gerufen worden, darunter das Netzwerk „Alfa y Omega“, das Camila initiiert hat. Insgesamt sind rund 200 junge Menschen eingebunden, die ihre neu gewonnenen Kenntnisse ihrerseits mit Gleichaltrigen in den Dörfern teilen.
Mittlerweile konzentriert sich Jurastudentin Camila darauf, einen Generationswechsel auf der Führungsebene in ihrer Gemeinde zu bewirken. Junge Menschen sollen bei allen Belangen, die sie betreffen, gehört und beteiligt werden. Trotz vieler Herausforderungen auf diesem Weg arbeiten Jugendliche wie Camila weiter daran, den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. „Nicht, um alles zu verändern, wie viele Leute denken, sondern, um unsere Kultur zu verbessern“, sagt Camila und zieht den bunten Stoff ihres traditionellen Ponchos glatt. Und nach einer Pause sagt sie entschlossen: „Eines meiner Ziele ist es, künftig die Überlebenden von Gewalt rechtlich zu beraten.“
Der Artikel wurde mit Material aus dem bolivianischen Plan-Büro erstellt.