Heute, am ersten März, endet die sechswöchige Waffenruhe zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Hamas. Die Kämpfe dauern allerdings weiter an und damit bleibt auch die Zukunft des Gazastreifens ungewiss. Dennoch ermöglichte diese kurzfristige Deeskalation humanitären Hilfskräften dringend benötigten Zugang in das zerstörte Kriegsgebiet. Für die Rückkehrer:innen ist es ein Funken Hoffnung, der ihnen in einer hoffnungslosen Zeit zumindest eine kleine Atempause ermöglicht.
Eine von ihnen ist die 24-jährige Fatima. Sie und ihre Familie wurden wegen des Krieges aus ihrer Heimat vertrieben. Notdürftig haben sie sich von Wildblumen ernährt und gelegentlich auch von Tauben, die sie selbst aufzogen. Als die Waffenruhe beschlossen ist, schöpft die junge Frau zum ersten Mal wieder Zuversicht. „Ich bin heute sehr glücklich“, sagt sie. „Das Leben wird sich wieder normalisieren. Mein Verlobter wird mich besuchen können und dann werden wir ohne Angst oder Einschränkungen bis spät in die Nacht ausgehen. All das war uns die letzten 15 Monate vorenthalten.“
Auch wenn Fatima nun optimistisch ist, nach Hause zurückkehren und ihr altes Leben wieder aufnehmen zu können, zieht die Vergangenheit dennoch ihre Schatten. Während des Krieges hat sie viele Familienmitglieder verloren, darunter ihren Onkel und dessen Frau, Cousins und Cousinen, und auch ihre Großmutter. „Ich wünschte, alle meine getöteten Familienmitglieder könnten bei mir sein und diesen Moment mit mir teilen. Wenn ich hier sitze und mich daran erinnere, wie mein Leben früher war, werde ich ganz nostalgisch“, gibt sie wehmütig zu.
„Ein normales Leben war uns die letzten 15 Monate vorenthalten.“
Die Waffenruhe im Gazastreifen wurde am 15. Januar 2025 angekündigt und trat vier Tage später nach monatelangen Verhandlungen in Kraft. In dem dicht besiedelten Küstengebiet am östlichen Mittelmeer, zwischen Israel und Ägypten, leben schätzungsweise 2,3 Millionen Palästinenser:innen. Angesichts der anhaltenden Angriffe und der angeordneten Evakuierung großer Wohngebiete waren sie fast alle gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Da die Zerstörung vor allem im Norden verheerend war, flüchteten die meisten Menschen Richtung Süden.
Seit Ende Januar haben nun Hunderttausende von ihnen begonnen, nach Hause zurückzukehren. Aber in vielen Fällen gibt es nichts, wohin sie zurückkehren könnten. Ganze Straßenzüge und Stadtviertel liegen in Trümmern. Schätzungen der UN zufolge sind zwischen nahezu 70 Prozent der Gebäude beschädigt oder zerstört worden. Auch die menschlichen Kosten des Konflikts werden noch viele Jahre lang spürbar sein: Denn neben den körperlichen Wunden bleiben auch seelische Narben, wie komplexe psychosomatische Traumata, Angststörungen oder Depressionen.
Dr. Unni Krishnan, Globaler Direktor für humanitäre Hilfe bei Plan International, fasst es wie folgt zusammen: „Aus erster Hand habe ich gesehen, welch schrecklichen Tribut der Krieg gerade von Kindern fordert. Denn sie sind in diesem Konflikt die Schwächsten und gleichzeitig Unschuldigsten. Von den Bombenangriffen über Flucht und Vertreibung bis hin zur Trennung von ihren Familien – das Trauma des Krieges bleibt bei ihnen, auch lange nachdem die Waffen verstummt sind.“
Aus seiner Sicht sei es deshalb nun besonders wichtig, die Kinder an erste Stelle zu setzen. Allein in Gaza hat der Krieg insgesamt über 17.000 Mädchen und Jungen das Leben gekostet, mehr als 21.000 leiden unter den Folgen kriegsbedingter Verletzungen. Hinzu kommt, dass etwa 90 Prozent der Schulgebäude beschädigt oder zerstört sind. Das schränkt nicht nur den Zugang zu Bildung erheblich ein, sondern nimmt den Kindern auch die Chance, sich in sicheren Räumen aufhalten zu können, um zu spielen und sich mit Gleichaltrigen auszutauschen.
Durch die Zerstörung der Wasser- und Abwassersysteme sind die Menschen in Gaza außerdem besonders anfällig für Magen-Darm-Infektionen oder lebensbedrohliche, durch Wasser übertragene Krankheiten wie Cholera. Deshalb ist laut Unni Krishnan auch der Wiederaufbau von Gebäuden – Schulen, Krankenhäusern, Wohnräumen – sowie die Wiederherstellung des Zugangs zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen so wichtig.
„Die Hilfsmaßnahmen humanitärer Organisationen wie Plan International zeigen uns, dass die Welt uns nicht vergessen hat.“
Wie herausfordernd das Überleben für Geflüchtete in Gaza ist, erzählt die mehrfache Mutter Safa’a. „Vor dem Krieg lebten wir anständig. Wir hatten alles, was wir brauchten. Über Nacht verwandelte sich unser Leben in ein Chaos“, schildert sie erschöpft. Nachdem die Straßen und Viertel von Gaza-Stadt in Schutt und Asche gelegt worden waren, musste die neunköpfige Familie ihr dortiges Zuhause verlassen. Ihre beschwerliche Suche nach Sicherheit führte sie schließlich in die rund 15 Kilometer entfernte Stadt Al Zawayda, die ihnen ein zerbrechliches Versprechen auf Zuflucht bot.
„Wir waren völlig unvorbereitet auf das, was vor uns lag. Der Winter kam, und Kleidung wurde zu unserer größten Sorge. In den ersten Monaten konnte ich noch ein paar Kleidungsstücke unter meinen Kindern aufteilen, aber danach waren wir hilflos“, erzählt Safa’a weiter. Plan International ist sich dieser Notsituation bewusst und verteilt zusammen mit Taawon, einer der größten Hilfsorganisationen in Palästina, Kleidung und Decken an die Menschen vor Ort. „Diese Hilfsmaßnahmen zeigen Familien wie meiner, dass wir nicht vergessen sind“, freut sich Safa’a.
Mit dieser Hoffnung blickt auch Fatima in die Zukunft. „Ich versuche, weiterzumachen und die Vergangenheit als vergangen zu akzeptieren“, sagt sie. „Wir werden ein neues Kapitel aufschlagen und darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Ich freue mich auf mein Leben nach dem Krieg und bin zuversichtlich, dass schöne Momente kommen werden.“ Dank der Waffenruhe sind für die Palästinenser:innen in Gaza die Gedanken an Frieden wieder zum Greifen nah – auch wenn es bis zu einem dauerhaften Frieden noch ein weiter Weg ist.
*Name zum Schutz der Identität geändert
Die Geschichte von Fatima und Safa’a wurde mit Material aus Gaza erstellt.