Alle Kinder haben das Recht auf Spielen – so ist es in Artikel 31 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes verankert. Und doch haben nicht alle Kinder die Möglichkeit, sich im Spiel zu entfalten. Auf der ganzen Welt führen Konflikte, Klimawandel, Armut, der Mangel an sicheren Räumen und Zeit zum Spielen sowie die Auffassung mancher Erwachsener, dass Spielen nicht wichtig ist, dazu, dass viele Kinder weder die Kraft und das Wunder des Spielens noch hochwertige Spielmöglichkeiten erleben.
Dabei ist und kann Spielen so viel mehr: Neue Forschungsergebnisse zeigen etwa, dass es eines der wirksamsten Mittel ist, um das psychosoziale Wohlbefinden, die soziale und emotionale Entwicklung und das Lernen von Kindern zu fördern, da es ihnen ermöglicht, sich selbst auszudrücken und mit anderen auf eine Weise in Kontakt zu treten, die weit über das hinausgeht, was sie mit Worten ausdrücken können.
Spielen hat viele Formen: vom freien Spiel über spielerisches Lernen bis hin zu strukturierten Aktivitäten wie Sport, Musik, Kunst und Theater. Sie alle helfen Kindern, ihre Kreativität und Freude zu entfalten und Ängste, Stress und Unruhe zu bewältigen. Die Kraft des Spiels kann das volle Potenzial eines Kindes freisetzen und seine Entwicklung in allen Lebensbereichen fördern, einschließlich Gesundheit, Sprache und Lernen, Lebenskompetenzen und psychosoziales Wohlbefinden für zukünftigen Erfolg. Aber die Kraft des Spiels geht darüber hinaus.
So kann spielen beispielsweise zum Aufbau positiver Beziehungen beitragen, die von grundlegender Bedeutung sind, wenn es darum geht, Kindern zu helfen, sich von einem Trauma zu erholen und das Risiko negativer Lebenserfahrungen zu vermeiden. Vom Klassenzimmer bis hin zum Geflüchteten-Camp schafft das Spiel eine sichere, nährende und integrative Umgebung für Kinder, die negative Erfahrungen verarbeiten müssen.
Spielen flößt zudem Vertrauen ein. Es lehrt Kommunikation und Zusammenarbeit – die Bausteine von Demokratie, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung. Spielbasierte psychosoziale Programme unterstützen Kinder dabei, sich wieder selbstbestimmt, verbunden, selbstbewusst und zugehörig zu fühlen.
Darüber hinaus fördert spielen die Gleichstellung der Geschlechter. Es kann dazu beitragen, dass sowohl Mädchen als auch Jungen Bestrebungen und Leistungen, Wahlmöglichkeiten und Chancen haben, die nicht durch ihr Geschlecht oder Geschlechternormen und -stereotypen eingeschränkt werden. Kinder haben durch das Spiel die Möglichkeit zu erforschen, wer sie sind, ihr Selbstvertrauen zu stärken, Kontakte zu anderen Kindern zu knüpfen und soziale Unterstützung zu gewinnen.
Andersherum wirkt sich jedoch auch das Geschlecht auf die Möglichkeit zum Spielen aus: In einigen Ländern haben viele Mädchen häusliche Pflichten und die Verantwortung, sich um ihre jüngeren Geschwister zu kümmern. Sie können noch vor ihren Brüdern von der Schule genommen werden, wenn das Einkommen der Eltern nicht (mehr) reicht. Es kann sein, dass sie zu Hause bleiben müssen, weil ihre Eltern um ihre Sicherheit fürchten. Oder aber sie können als Kinder verheiratet werden. All diese Faktoren führen dazu, dass vielen Mädchen die Zeit zum Spielen fehlt.
Deshalb hat sich Plan International mit globalen Partnern bei den Vereinten Nationen dafür eingesetzt, dass es einen Bewusstseinstag für das kindliche Spiel gibt. Einen Tag im Jahr, der die Macht des Spiels und das Bewusstsein für die Notwendigkeit schärft, das Recht auf Spiel für jedes Kind überall zu respektieren, zu erfüllen und zu schützen. Mit Erfolg: Am 11. Juni 2024 wird der Internationale Tag des Spielens erstmals gefeiert!
Plan International unterstützt spielerisches Lernen und spielbasierte Ansätze durch die Arbeit auf der ganzen Welt und in allen Kontexten. Dazu gehört die Unterstützung des Spielens in kinderfreundlichen Räumen in Notsituationen, in gemeindebasierten Frühförderprogrammen und Spielgruppen, in der Elternbildung, der Lehrer:innenausbildung und in Grundschulen.
In Äthiopien etwa unterstützen wir das Spielen in dem Geflüchteten-Camp Tsore. Es liegt im Westen des Landes unweit der sudanesischen Grenze. Rund 43.000 Menschen aus dem Sudan und Südsudan, die vor den Konflikten in ihren Heimatländern geflohen sind, leben hier. „Das Spielen hat viele wichtige Funktionen für die Kinder“, erklärt Wendinew Akele, Bildungs- und Nothilfemanager von Plan International Äthiopien. „Eine wesentliche davon ist, die soziale Interaktion zu fördern.“ In diesem Camp kommen Kinder aus unterschiedlichen Kulturen zusammen. Das Spielen hilft, sich einander anzunähern und miteinander klarzukommen.
Damit die Kinder dies geschützt vor dem Stress des Camp-Lebens, aber auch vor möglichen Übergriffen, tun können, finden alle Aktivitäten in einem sogenannten kinderfreundlichen Raum statt. Wo viele Menschen dicht beieinander leben, braucht es Einrichtungen, in denen Kinder sich ausschließlich mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen beschäftigen können und dabei Betreuung von geschultem Personal erhalten.
Plan International hat deshalb diesen kinderfreundlichen Raum errichtet. Auf den ersten Blick wirken die hohen Mauern irritierend, die das Gelände mit mehreren Gebäuden sowie einem Spielplatz mit Schaukeln, Rutschen und Wippen umgeben. Doch ihre Funktion erschließt sich schnell. Die Mauern schirmen die Kinder vom übrigen Geschehen des Camps ab. Sie schützen vor Blicken und unberechtigtem Zutritt. Ungestört spielen hier Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, sie malen oder belegen Vorschulkurse, um etwa das Alphabet zu lernen. Es gibt Spiele, die die Kinder aus ihrer Heimat mitgebracht haben, sie benutzen dafür Steine und Stöcker. Vergäße man, dass sich diese Einrichtung inmitten eines Geflüchteten-Camps gigantischen Ausmaßes befindet, man könnte sich in einem Vorstadt-Kindergarten wähnen.
„Das Spielen fördert die Kreativität der Kinder, es fördert ihre mentale und körperliche Entwicklung und bringt sie dazu, ihre Fähigkeiten zu verbessern“, sagt Wendinew Akele. So errichten bei dem Besuch in Tsore etwa drei Jungen mit Duplo-Steinen imposante Bauten im Kreativ-Raum. In einem weiteren Raum erzählt eine Betreuerin einer Gruppe von Mädchen und Jungen Geschichten. „Es sind Kindergeschichten aus ihrer Heimat“, erläutert Jamila Aburas, Leiterin der Betreuungsabteilung. „Wir wollen, dass sie ihre Kultur bewahren.“
Ein weiterer Aspekt des Spielens ist gerade für geflüchtete Kinder bedeutend. „Sie haben oft Schlimmes erlebt. Doch Kinder erzählen meist nichts davon“, erklärt Jamila Aburas. „Deshalb haben wir eine Mal-Ecke eingerichtet, in der sie sich mit Bildern ausdrücken können.“ Anhand der Motive ließen sich mögliche Traumata erkennen. „In diesen Fällen unterstützen wir sie mit psychosozialer Hilfe.“ Und ihr Kollege Wendinew Akele ergänzt: „Wenn Kinder spielen, dann vergessen sie für diese Zeit ihre traumatischen Erlebnisse.“ Es sind die raren Momente der Ruhe im Geflüchteten-Camp.
Hier in Tsore findet der Geist des Internationalen Tags des Spielens seine praktische Anwendung, „Und eines darf man nicht vergessen“, sagt Bildungsexperte Akele und lächelt, „Spielen bringt auch einfach Spaß.“