Wenn der Harmattan – der stete Passatwind während der trockenen Wintermonate – geht, wirbelt entlang der Länder im nordwestlichen Afrika feiner Wüstensand in den Himmel. Über Tausende Kilometer zeichnen sich gelbliche Schleier in der Luft ab, ehe im Frühjahr der Monsun anbricht und mit dem Niederschlag die sogenannte Dunstzeit beendet wird. Jetzt ist es kurz vor der Regenzeit, und in der schattigen Ecke eines Dorfplatzes haben etwa 20 Frauen unterschiedlichen Alters Platz genommen.
Es sind Schwangere sowie frischgebackene und gestandene Mütter, die auf Matten sitzend zusammenkommen. Nebenan toben ihre Kinder. Auf sandigem Boden spielen sie Fußball, während die Kleinsten auf den Schößen ihrer Mütter kuscheln. Die Frauen plaudern und lachen zusammen, während sie auf den Beginn des heutigen Ernährungskurses warten. Wie ein Feuer angefacht wird und Speisen zubereitet werden, wissen sie wohl. Aber welche Zutaten welchen Nährwert haben und wie sich aus einer scheinbar kargen Ernte das Beste für sich und die eigene Familie herausholen lässt – sie wollen es hier erfahren.
Nach UN-Angaben betraf Unterernährung schon vor der Corona-Pandemie 42 Prozent der Kinder in Niger. Dabei hat eine mangelhafte Versorgung erhebliche Auswirkungen auf das Überleben und die kognitive Entwicklung der Kinder. Dem soll dieser besondere Kochkurs entgegenwirken, den die Mitarbeiterinnen vom örtlichen Plan-Büro organisiert haben.
Die Dringlichkeit solcher Angebote ist greifbar, seit der Rhythmus der Natur gestört ist. Dieser gab den Menschen in der Sahelzone zuvor Orientierung bei der Landwirtschaft und ihrer Lebensplanung. Doch das Gefüge von Trocken- und Regenzeiten ist aus dem Lot geraten. Vor allem Dürren und gelegentliche Überschwemmungen bilden neue Extreme, auf die sich viele Menschen erst noch einstellen müssen. Der Klimawandel ist überall angekommen und Defizite bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln sind eine Folge davon.
Doch bevor gekocht wird, kommt die Hygiene. Die Teilnehmerinnen werden ermutigt, sich vor und nach dem praktischen Teil die Hände mit Seife und sauberem Wasser zu waschen. Dazu verwenden sie ein traditionelles Handwaschgerät, das sogenannte „Tippy-Tap“. Die Konstruktion aus einem Stock, einem Seil und einem mit Wasser gefüllten Kanister lässt sich mühelos überall installieren und bietet besonders in Zeiten der Corona-Pandemie flexible Möglichkeiten für eine bessere Hygiene.
Gegen unzureichende sanitäre Einrichtungen und mangelnde Hygiene geht Plan International im Rahmen seiner Projekte außerdem vor, weil sie ursächlich für Durchfallerkrankungen oder Würmer sind, die bei Kindern wiederum zu Unterernährung führen können.
Heute wird den Frauen gezeigt, wie sie ein besonders nahrhaftes Doungouri da mo zubereiten können. Das Reisgericht ist in Niger sehr beliebt und wird mit sogenannten Kuh-Bohnen, eine Art von Langbohne, zu einer überlebenswichtigen Mahlzeit. Einige Frauen bezeichnen es gar als „Wunderrezept“, da es einfach zuzubereiten und zugleich sehr gut für Kinder, Schwangere und stillende Mütter geeignet ist.
Die Frauen arbeiten Hand in Hand, um alles vorzubereiten und sich gegenseitig die besten Tricks zu zeigen. Einige bereiten die Bohnen vor, während andere das Feuer machen und die Kochutensilien bereitstellen. Biba, eine Freiwillige aus der Gemeinde, die den heutigen Kochkurs leitet, beaufsichtigt die kulinarische Vorführung und berät die Frauen, welche lokalen Zutaten sie verwenden sollten, um die Ernährung ihrer Kinder zu verbessern. So sind bald alle beschäftigt, hantieren mit Töpfen und Schüsseln, messen die richtige Menge Reis und Bohnen ab. Bei dieser Vorführung erhält jedes Kind 120 Gramm Gemüse und 140 Gramm Reis. Dies entspricht der richtigen Menge an Vitaminen, Proteinen und Kohlenhydraten, die jedes Kind pro Tag benötigt.
Wenn das Doungouri da mo fertig ist, wird es mit einem Löffel Speiseöl serviert. „Das Rezept ist einfach, nicht teuer, und die meisten Zutaten werden hier in der Gemeinde angebaut. Dank dieser Kochkurse habe ich Rezepte gelernt, die zur guten Ernährung meines Kindes beigetragen haben“, sagt Kadidiatou, eine der Teilnehmerinnen. Denn dafür komme es auf eine möglichst gut abgestimmte Abfolge verschiedener Sorten an – bestehend nicht nur aus Bohnen, Reis und Öl, sondern auch Hirse, Kürbis, Auberginen, Karotten, Zwiebeln sowie Erdnüssen und Fisch, der im nahegelegenen Fluss Dallol Bosso gefangen wird. „Gute Hygienepraktiken sind außerdem immer wichtig. Jetzt nimmt meine Tochter an Gewicht zu und wächst normal“, sagt die junge Mutter.
„Dank dieser Kochkurse habe ich Rezepte gelernt, die zur guten Ernährung meines Kindes beigetragen haben“
Ihr Kind ist eines von insgesamt 43 aus dem Dorf, das zuvor an Unterernährung litt. Und dass dies heute nicht mehr so ist, hat auch mit der Arbeit von Gemeindehelferinnen wie Biba zu tun: „Heute gibt es bei uns keinen Fall von Unterernährung mehr, was ich auf die Ausbildung zurückführe, die wir bei Plan International bekommen haben“, sagt Biba mit einem stolzen Lächeln. „Wir bringen den Frauen Rezepte mit Zutaten bei, die gut für die Gesundheit und die Entwicklung ihrer Kinder sind.“ Dadurch wird einer der größten Bedrohungen für die Gesundheit und Entwicklung der Mädchen und Jungen in Niger entgegengetreten: der Unterernährung.
„Heute gibt es bei uns keinen Fall von Unterernährung mehr, was ich auf die Ausbildung zurückführe, die wir bei Plan International bekommen haben“
Konflikte mit bewaffneten Gruppen im In- und Ausland, Wasserknappheit im Zuge des Klimawandels, ein starkes Bevölkerungswachstum sowie wenig nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken sind Faktoren, die in Niger zu einer anhaltenden Hungerkrise beitragen. Der Klimawandel führt dort vor allem zu steigenden Temperaturen; wiederkehrende Dürren haben Ackerland vernichtet und Bauern ohne Viehbestand zurückgelassen.
Auf dem Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen nimmt Niger derzeit den traurigen letzten Platz ein: Rang 189.
Der HDI gibt Aufschluss über den Entwicklungsstand eines Landes, etwa hinsichtlich Bildung oder Lebenserwartung. Trotz der ohnehin schon ernüchternden Bilanz verliert das westafrikanische Land zunehmend an fruchtbaren Boden: Mit dem Passatwind Harmattan dehnt sich die mächtige Sandwüste Ténéré im Norden Nigers immer weiter aus. Seit 1998 engagiert sich Plan International in drei Projektregionen des Binnenlandes, und eine davon befindet sich in der Region Dosso, mehr als eine Tagesreise auf oftmals staubigen Pisten von den markanten gelben Dünen der Ténéré entfernt.
Gegen das sich verändernde Gefüge von Trocken- und Regenzeiten ist Plan International allein machtlos. Aber das Kinderhilfswerk arbeitet mit den von Ernährungsunsicherheit betroffenen Gemeinden zusammen, um ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken und sie bei der Anpassung an die sich wandelnde Umwelt zu unterstützen.
Plan hat die Getreidevorräte aufgefüllt, besonders genügsame Ziegenarten sowie Hirsesaatgut an die Bäuer:innen verteilt und die Gemeinden dabei unterstützt, Gemüsegärten anzulegen. Bei guter Pflege gedeihen dort zum Beispiel Auberginen, Karotten und Zwiebeln. Zusammen mit den Lern- und Ernährungszentren, in denen auch Biba ausgebildet wurde, bilden sie so etwas wie eine neue Konstante unter dem vom Harmattan aufgewirbelten feinen Wüstensand.
Marc Tornow hat die Geschichte von Biba und Kadidiatou aufgeschrieben und dabei Material aus dem nigrischen Plan-Büro verwendet.