Die Welt scheint nicht auf dem richtigen Weg zu sein, um fast alle der vor acht Jahren von den Vereinten Nationen verabschiedeten 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) zu erreichen – darunter auch Ziele, die für die Förderung der Rechte von Mädchen und Frauen von zentraler Bedeutung sind.
Gemäß einer jüngsten Analyse von Plan International, die im Vorfeld des SDG-Gipfels 2023 am 18. und 19. September veröffentlicht wurde, werden die SDGs beim derzeitigen Fortschritt kaum einen bedeutenden Effekt auf das Leben von Mädchen und jungen Frauen haben.
Die Kinderrechtsorganisation nennt die Ziele „zu wichtig, um zu scheitern“ und fordert angesichts der nahenden Halbzeit bei der Umsetzung der SDGs einen stärkeren Fokus auf die Geschlechtergerechtigkeit sowie mehr Unterstützung für Mädchen und junge Frauen.
„Trotz einiger hart erkämpfter Fortschritte sieht das Leben von Mädchen und jungen Frauen heute im Grunde genommen ähnlich aus wie 2015. Jeden Tag sind sie immer noch mit erheblichen Ungleichheiten konfrontiert", sagt Kathleen Sherwin, Chief Strategy and Engagement Officer von Plan International. „Auf halbem Weg zum Jahr 2030 ist immer noch Zeit, die SDGs umzukehren. Diese Ziele sind zu bedeutend, um zu scheitern. Aber wir müssen eine neue Herangehensweise finden – eine umfassende und intersektionale, die in der Lage ist, diesen Moment zu nutzen. Wir müssen uns verstärkt um die Gleichstellung der Geschlechter bemühen und insbesondere mehr Mädchen und junge Frauen einbeziehen.“
„Mädchen und junge Frauen sind immer noch jeden Tag mit erheblichen Ungleichheiten konfrontiert.“
Nur ein Ziel der SDGs ist momentan auf dem richtigen Weg, um bis 2030 auch erreicht zu werden. Dabei haben sich alle 191 UN-Mitgliedsstaaten im Jahr 2015 dazu bekannt, die SDGs als bahnbrechende globale Verpflichtung zur Bekämpfung der Ursachen von Armut und zur Sicherung einer nachhaltigen Zukunft anzunehmen. Fast die Hälfte der Ziele weicht jedoch mäßig oder stark von den Planungen der Weltgemeinsachaft ab.
SDG 5 zielt darauf ab, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern und die Stärkung der Rolle von Frauen und Mädchen zu erreichen. Leider befinden sich derzeit nur 15,4 Prozent der Fortschrittsindikatoren auf dem richtigen Weg, um dieses Ziel zu erreichen. In einem neuen Bericht hat Plan International die Fortschritte bei den wichtigsten SDG-Indikatoren in einer Auswahl von 26 Ländern auf der ganzen Welt analysiert. Bei der Auswahl der Länder wurde darauf geachtet, dass eine Vielzahl in Bezug auf Geografie, zivilen und politischen Kontext, Einkommensniveau und Grad des erlaubten Aktivismus gegeben ist.
Die Auswertung zeigte, dass sich die Situation von Mädchen und jungen Frauen seit 2015 nur eingeschränkt verbessert hat, da geschlechtsspezifische Gewalt kaum zurückgegangen ist. Ursächlich hierfür sind unter anderem die Folgen der Corona-Pandemie, die insbesondere zwischen 2020 und 2022 weltweit zu Ausgangssperren sowie Schulschließungen geführt hat.
In nur zwei Ländern, nämlich Kenia und den Philippinen, haben Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren in den letzten 12 Monaten weniger körperliche Gewalt erfahren. In den meisten Ländern hat die Gewalt zugenommen. Gleichzeitig hat keines der in der Analyse untersuchten Länder angemessene Gesetze zur Förderung der Geschlechtergleichstellung erlassen. Und das, obwohl die SDGs dazu verpflichtet haben, Gesetze zur Förderung, Durchsetzung und Überwachung der Geschlechtergleichstellung und der Nichtdiskriminierung einzuführen.
Besorgniserregend ist, dass die Fortschritte bei allen Zielen wegen lückenhafter Datenerfassung nicht genau gemessen werden können. Weniger als die Hälfte (47 Prozent) der benötigten Daten zur Überwachung des Fortschritts bei SDG 5 sind momentan verfügbar. Dadurch bleiben das Leben und die Erfahrungen unzähliger Mädchen und junger Frauen unsichtbar.
„Die Erkenntnisse junger Aktivistinnen könnten entscheidend sein, um die SDG-Agenda umzusetzen.“
Neben SDG 5 tragen auch andere Ziele, bei denen keine oder nur geringe Fortschritte erzielt wurden, zur Verringerung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern bei. Beispiele dafür sind SDG 2 (kein Hunger) und SDG 13 (Klimaschutz).
Frühere Untersuchungen von Plan International und anderen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben ergeben, dass Hunger tiefe geschlechtsspezifische Auswirkungen hat. Mädchen leiden eher unter sekundären Folgen wie geschlechtsspezifischer Gewalt oder Schulabbruch. Darüber hinaus sind Mädchen auch von der Klimakrise unverhältnismäßig stark betroffen.
Interviews mit jungen Aktivistinnen deuten darauf hin, dass die SDGs zwar ein nützlicher Rahmen sind, um Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen, aber selten sinnvolle Veränderungen auf Gemeindeebene bewirken. Die meisten Aktivistinnen haben von den SDGs gehört, jedoch nicht alle: Bei acht von 203 Aktivistinnen war dies nicht der Fall. Dies zeigt die Notwendigkeit eines verstärkten Dialogs zwischen internationalen politischen Entscheidungsträger:innen und Basisgruppen auf.
„Bei dem derzeitigen Fortschrittstempo werden wir 131 Jahre brauchen, um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Die SDGs sollen diesen Prozess beschleunigen, aber das kann nur durch die aktive Einbeziehung und Beteiligung von Mädchen und jungen Frauen selbst geschehen“, so Sherwin weiter. „Junge Aktivistinnen sind voller Energie und Engagement und haben aus erster Hand erfahren, dass geschlechtsspezifische Ungleichheit und Diskriminierung sie am meisten betreffen. Ihre Erkenntnisse könnten entscheidend sein, um die SDG-Agenda umzusetzen.“
Im Vorfeld des SDG-Gipfels fordert Plan International, dass mehr Gelder in die Agenda für Mädchen- und Frauenrechte investiert und Mädchen sowie junge Frauen stärker einbezogen werden sollen. Dadurch können sie den Wandel vorantreiben und das Versprechen der SDGs einer besseren Welt einlösen.
Stand 2021 erhalten Frauenrechtsorganisationen lediglich 0,13 Prozent der gesamten öffentlichen Gelder für Entwicklungshilfe und 0,4 Prozent der Mittel für geschlechtsspezifische Hilfe. Auch die Unterstützung von Jugendbewegungen durch Organisationen und Regierungen ist bemerkenswert gering.
Plan International fordert außerdem Investitionen in die Datenerfassung, um die Fortschritte bei der Umsetzung der SDGs besser überwachen zu können. Dadurch soll das Verständnis für die Benachteiligungen und Herausforderungen, die das Leben von Mädchen prägen, verbessert werden.
Plan International und die SDGs
Die nachhaltigen Entwicklungsziele dienen der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene. Plan International hat am zivilgesellschaftlichen Prozess mitgewirkt, der 2015 zur Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) geführt hat, und engagiert sich insbesondere für sieben der 17 SDGs.
Die Kinderrechtsorganisation bringt die SDGs mit der Erlebnisausstellung „Mission 2030 – Globale Ziele erleben“ zur Disskussion. Die interaktiven Schau nimmt das Publikum mit auf eine virtuelle Reise in sieben Länder: nach Ägypten, Ghana, Guatemala, Kambodscha, Kolumbien und Timor-Leste sowie Deutschland.