Die Luft flirrt schon am frühen Morgen und es ist sengend heiß. Trotzdem sind fast alle Gemeindemitglieder gekommen, denn so einen Tag hat es hier für sie schon lange nicht mehr gegeben. Den Festakt lässt sich auch Maly nicht entgehen, die ihre dreijährige Tochter mitgebracht hat. Beide sitzen gespannt in der Menge auf Stühlen unter einem Zeltdach, dahinter die frischgestrichene Fassade eines mit bunten Stoffen geschmückten Gebäudes. Drei Tänzerinnen machen sich bereit, um mit ihren traditionellen Khmer-Choreografien – dem Apsara-Tanz – der Zeremonie eine besondere Stimmung zu verleihen.
Gefeiert wird die Eröffnung eines neuen Gesundheitszentrums in einer besonders abgelegenen, ländlichen Region: Der Distrikt Siem Pang liegt nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zum Nachbarland Laos und damit in der Peripherie des südostasiatischen Landes. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass die hier lebende indigene Volksgruppe der Kavet in der Provinz Stung Treng einen direkten Zugang zu einer lokalen Gesundheitsversorgung bekommt.
Die 24-jährige Maly erinnert sich derweil an die Geburt ihrer Tochter, es war ihr erstes Kind mit einer dramatischen Geburt. Als die Wehen bei der Mutter einsetzten, musste sie vor drei Jahren noch „eine furchtbare Reise“ auf sich nehmen, um die nächstgelegene Gesundheitsstation zu erreichen. „Ich hatte Angst, dass ich auf dem Weg zum Krankenhaus mein Kind ohne medizinische Hilfe zur Welt bringen würde“, sagt Maly. „Der Weg war so weit und es regnete. Ich hatte Glück, dass ich es damals bis zum Krankenhaus geschafft habe.“
„Ich hatte Angst, dass ich auf dem Weg zum Krankenhaus mein Kind ohne medizinische Hilfe zur Welt bringen würde.“
Das neue Gesundheitszentrum, das nun abseits großer Siedlungen in einem bewaldeten Gebiet im Nordosten Kambodschas entstanden ist, verkürzt für viele Menschen aus den umliegenden Dörfern die weiten Wege. Und es trägt dazu bei, die verbreitete Mütter- und Kindersterblichkeit in der Region zu senken. Von 1.000 Babys, die 2020 in Kambodscha geboren wurden, starben nach Angabe der Asian Development Bank (ADB) landesweit 26 vor ihrem 5. Geburtstag. In Deutschland sind es vier von 1.000 Kindern.
Die im Distrikt Siem Pang angebotenen lebenswichtigen Gesundheitsdienste richten sich insbesondere an Mädchen und Frauen sowie die indigene Bevölkerung, die mit ihrer eigenen Kavet-Sprache besondere Bedürfnisse hat. „Ich bin wirklich froh, dass das neue Gesundheitszentrum da ist“, sagt Maly. Anfang Februar 2023 war es endlich so weit: Es wurde im Beisein von etwa 600 Gemeindemitgliedern und Ehrengästen seiner Bestimmung übergeben. Plan International hat es gemeinsam mit dem Gesundheitsamt der Provinz Stung Treng aufgebaut.
Neben dem zeitlichen, bringen weite Wege immer auch einen finanziellen Aufwand: „Wir sind nicht wohlhabend, aber ich musste viel Geld für die Fahrten zur Klinik ausgeben. Während meiner Schwangerschaft ging ich monatlich zur Untersuchung – so, wie es den werdenden Müttern empfohlen wird“, sagt Say Pel. Mindestes eine Stunde entfernt sei früher das nächstgelegene Gesundheitszentrum im Distrikt Siem Pang entfernt gewesen, erinnert sich die 18-jährige Mutter. Obwohl es dorthin gerade mal 35 Kilometer sind, können Fahrten während der regenreichen Monsunzeit wegen der dann besonders schwierigen Straßenverhältnisse sogar noch länger dauern – ein Risiko bei dringenden medizinischen Notfällen.
In Kambodscha lebten 2019 fast 18 Prozent der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze; der Anteil der Erwerbstätigen, die von weniger als 1,90 US-Dollar am Tag leben müssen, lag 2021 bei 9,2 Prozent, analysiert die ADB.
Während draußen auf dem Vorplatz die Eröffnungsfeierlichkeiten weitergehen, bringt Sen Pisey, Leiter des neuen Gesundheitszentrums, einen weiteren Nachteil der früher weit entfernten Gesundheitsstation ins Gespräch: „Die meisten Kinder in unserer Gegend sind nicht geimpft worden. Einige Gemeindemitglieder lassen sich von traditionellen Heilern behandeln, die minderwertige Gesundheitsdienste zu hohen Kosten anbieten. Die häufigsten Krankheiten, die wir hier künftig behandeln müssen, sind Durchfall, akute Atemwegsinfektionen, Malaria, Dengue-Fieber, Typhus und Unterernährung.“ Das neue Gesundheitszentrum wird für fast 20.000 marginalisierte Menschen aus der Region den Zugang zu primären Gesundheitsdiensten verbessern.
„Das neue Gesundheitszentrum wird fast 20.000 marginalisierte Menschen erreichen.“
Die ersten Lebensjahre haben einen entscheidenden Einfluss auf die körperliche und geistige Entwicklung eines Kindes. Viele Kinder in Kambodscha leiden jedoch an Mangelernährung, die zu schweren Schäden bei ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung führen kann.
„Die Unterernährung von Kindern und die Kindersterblichkeitsrate sind in diesem Gebiet immer noch hoch“, erklärt Yi Kimthan von Plan International Kambodscha. „Das Gesundheitszentrum wird dazu beitragen, diese Rate zu senken. Es wird außerdem dabei helfen, die Fähigkeit der Gemeindemitglieder zu verbessern, sich an der Verwaltung solcher Vorhaben zu beteiligen.“ Und dann räumen er und die übrigen Gäste der Eröffnungszeremonie das Gelände. Als sich allmählich die Sonne senkt, machen sie Platz für die Menschen, die hier zur Behandlung vorsprechen wollen.
Marc Tornow hat Südostasien-Wissenschaften studiert, Kambodscha mehrfach bereist und diese Geschichte mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.