Sam kann sich noch gut daran erinnern, als es vorbei war. Als eine Welt für sie zusammenbrach: „Ich war gerade in der 8. Klasse und mein Vater verbrannte alle meine Schulunterlagen“, erzählt die heute 18-Jährige. „Mir blieb nichts anderes übrig, als den Unterricht abzubrechen und in einem kleinen Lebensmittelgeschäft zu arbeiten.“
Dabei ist die erschütternde Geschichte von Sam aus einer ländlichen Gemeinde in der kambodschanischen Provinz Strung Treng nicht ungewöhnlich. Armut, frühe Heirat und Schwangerschaft im Teenageralter sind einige der Gründe dafür, dass Kinder in diesem Teil des südostasiatischen Landes die Schule vorzeitig abbrechen. Besonders gefährdet sind Mädchen sowie Kinder ethnischer Minderheiten.
Trotz Sams Leidenschaft für die Schule unternahm ihre Familie einiges, um das Mädchen weiter zu demotivieren. Sie sollte arbeiten und zum Familieneinkommen beitragen. Dennoch verließ sie ihr Zuhause im Dorf, um an einer Oberstufe in der Stadt weiter zu lernen, Bildung, Spiel und Freizeit sind Kinderrechte. „Mit Bildung blühte ich einfach auf, aber mein Vater war weiter dagegen“, sagt die wissbegierige Sam.
Sie wurde schließlich von ihren Eltern zur Arbeit gezwungen. Sam musste ihren gesamten Lohn aus den Verkaufsjobs an ihre Mutter abtreten, denn die Familie hat noch vier weitere Kinder zu versorgen. Das kleine Einkommen der Eltern durch den Anbau von Cashewnüssen und Maniok reichte einfach nicht aus. Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt und rangiert laut dem Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen auf Platz 146 von 191 (zum Vergleich: Deutschland 9 und Österreich 25).
„Meine Eltern wollten, dass ich einen Jungen aus dem Dorf heirate und Geld verdiene.“
Ähnlich wie Sam erging es auch der 17-jährigen Lita. Auf ihrem Schulweg wurde sie regelmäßig von einem Nachbarn beschimpft – einfach, weil sie weiter zum Unterricht ging. Sie versuchte, die Spötteleien zu ignorieren, doch schwieriger war es, die Kritik zu ignorieren, der sie von ihren eigenen Eltern ausgesetzt war.
Fast drei Jahre lang musste sie sich deren negativen Kommentare anhören, nachdem sich das Mädchen geweigert hatte, die Schule abzubrechen: „Sie sagten mir, ich hätte sie belogen, ich würde nicht zur Schule gehen, sondern mich mit einem Mann treffen“, sagt Lita, die aus der ethnischen Gemeinschaft der Tompoun in der Provinz Ratanakiri stammt. „Ich fühlte mich so verletzt und enttäuscht. Ich habe versucht, meinen Eltern zu erklären, warum ich lerne – aber sie haben mir nicht zugehört. Sie wollten, dass ich einen Jungen aus dem Dorf heirate und wie meine ältere Schwester Geld verdiene.“
Doch dann entwickelte sich ein Programm zur Förderung von Mädchen in dieser abgelegenen Gegend im Norden von Kambodscha – mit Jugendclubs, Diskussionsrunden und Theatergruppen. Durch verschiedene Trainingseinheiten lernten die Teilnehmerinnen dabei ihre Rechte kennen, erweiterten persönliche und soziale Fähigkeiten und erfuhren, wie die Geschlechterungleichheit die Chancen von Mädchen einschränkt. So haben Kinderehen meist schwerwiegende negative Folgen – auch und gerade jungen Frauen nehmen sie die Möglichkeit, ihr Potenzial zu entfalten.
„Ich hörte, lernte und diskutierte plötzlich Themen im Zusammenhang mit den Rechten von Kindern, der Gleichstellung der Geschlechter oder der sexuellen und reproduktiven Gesundheit“, sagt Sam. Mit einem besseren Verständnis für ihre Rechte konnte Sam ihre Eltern davon überzeugen, sie wieder zur Schule gehen zu lassen. „In dem Programm fühlte ich mich hoffnungsvoll und entwickelte Ziele für mein Leben“, erinnert sich Sam. „Ich freue mich jetzt regelrecht auf die Zukunft. Ich möchte Lehrerin werden!“
„Ich diskutierte plötzlich Kinderrechte, Gleichstellung oder sexuelle Gesundheit.“
Auch Lita kehrte in ihre Schule zurück, nachdem sie in einem Kinderclub von Plan International über ihre Situation hatte sprechen können. „Die Club-Leiterin suchte Unterstützung bei den Kontaktpersonen im Ausschuss für Frauen und Kinder“, sagt Lita. „Sie sprach schließlich auch mit meinen Eltern und erklärte ihnen, wie wichtig Bildung ist. Meine Eltern haben ihr zugehört und keinen Mucks von sich gegeben.“
Sam engagiert sich heute ihrerseits in einer Jugendgruppe: „Ich möchte meine Geschichte mit anderen Mädchen teilen, die genau wie ich mit Problemen zu kämpfen haben. Ich möchte sie ermutigen, in der Schule zu bleiben.“
Marc Tornow hat Südostasien-Wissenschaften studiert, Kambodscha mehrfach bereist und diese Geschichte mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.