Die kleine Siedlung scheint über den Wolken zu schweben, hoch in den Bergen von Aileu. Trotz der Abgeschiedenheit ihres Hauses leben Julia und Augusto gerne in ihrer kleinen Gemeinde. Denn viele alltägliche Dinge, die sie sich für ihre Kinder wünschen, befinden sich in der Nähe: die Schule und eine Station für die Gesundheitsversorgung beispielsweise. Umgeben von wunderschönen Bergen und üppig grünen Landschaften ist es vielleicht schwer zu glauben, dass Timor-Leste eine der höchsten Raten an Unterernährung weltweit aufweist. Fast die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren leidet an chronischer Unterernährung und 8,6 Prozent sind akut unterernährt.
Fast die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren in Timor-Leste leidet an chronischer Unterernährung
Bei der Analyse der Situation stellten die Plan-Teams fest, dass weniger als 50 Prozent der Eltern aktiv die Entwicklung der Kinder unterstützten – und wenn sie es taten, dann waren es meist die Mütter. Die Beteiligung der Väter an der Kindererziehung blieb stets überschaubar. Zudem gab ein hohes Maß an körperlicher Züchtigung und in vielen Haushalten fehlte es an altersgerechtem Spielzeug und Büchern.
Ohne die für ein gesundes Wachstum und eine gesunde Entwicklung erforderliche nährstoffreiche Nahrung besteht für Kinder die Gefahr einer verminderten Gehirnentwicklung und Lernfähigkeit, eines geschwächten Immunsystems sowie vermehrter Infektionen – bis hin zum Tod. Um diese „stille Notlage“ zu bekämpfen, hat Plan International mit Unterstützung der australischen Regierung ein Projekt für positive Elternschaft ins Leben gerufen, das sicherstellen soll, dass Kinder in den Provinzen Aileu und Ainero die Pflege, Unterstützung und Dienstleistungen erhalten, die sie brauchen. Mädchen und Jungen sollen sich frei von diskriminierenden Geschlechternormen und Rollenbildern entwickeln können.
Auf der Suche nach einer kindgerechten Erziehung
Allmählich wandelt sich die Situation. Denn seit in den Bergen des südostasiatischen Inselstaates Elterngruppen etabliert wurden, erfahren Mütter, Väter und Betreuungspersonen mehr über die Kinderrechte, angemessene Erziehungspraktiken und frühkindliche Stimulation. Eine ausgewogene Kinderernährung ist bei den Sitzungen ebenso Thema wie gesundheitsfördernde Haushaltshygiene, Pflege oder sanitäre Einrichtungen.
Die 27-jährige Roxete ist aktives Mitglied ihrer Elterngruppe. Sie trifft sich regelmäßig in einem traditionellen, strohgedeckten Versammlungsraum. „Ich bin bei dem Plan-Projekt dabei, weil ich wertvolle Informationen darüber erhalten möchte, wie wir unsere Kinder mit positiven Erziehungsmethoden erziehen können“, sagt Roxete. „Bildung ist eine Möglichkeit, neue Dinge zu lernen.“
Das haben auch Julia und Augusto aus den Bergregion von Aileu erkannt. Für das junge Paar hat sich die Teilnahme schon gelohnt. Sie erzählen, dass sie viel gelernt haben, was ihnen bei der Erziehung ihrer Kinder helfe. „Als wir beide uns kennenlernten, diskutierten wir darüber, wie wir uns um unsere Kinder kümmern und wie wir uns in der Familie gegenseitig helfen könnten“, erzählt Augusto. „Bei all den Schulungen fanden wir jetzt viele Anregungen, die wir in unserem Alltagsleben umsetzen können.“
„Wir fanden viele Anregungen, die uns im Alltag helfen.“
Die Zusammenkünfte der Eltern im Gemeindezentrum haben bereits zu greifbaren Veränderungen im Lebensumfeld der Familien geführt. In Kochkursen wird beispielsweise vorgeführt, wie besonders nahrhaftes Essen zubereitet werden kann. Dazu werden auf den kleinen Feldern verschiedene Gemüsesorten angebaut; die Kinder sind seitdem besser versorgt. Mit wenigen Handgriffen kann mühelos für mehr Hygiene im Haushalt und dadurch eine bessere Gesundheit aller gesorgt werden. Außerdem förderte Plan International ein Programm für frühkindliche Erziehung. Kindern haben nun Zugang zu mehr Spiel-, Mal- und altersgerechten Lernmöglichkeiten.
Und dann sind da noch die timoresischen Väter. All die Männer, die sich traditionell auf die Fürsorge der Mütter verlassen haben. Für sie wurden insgesamt fünf Vätergruppen gegründet. In regelmäßigen Treffen nähern sie sich dem Thema „positive Vater- und Elternschaft“ an, diskutieren Geschlechterstereotypen – mit dem Ziel, das Bewusstsein für schädliche Praktiken zu schärfen. Männer und Väter sollen sich stärker an der Erziehung und den Aufgaben im Haushalt beteiligen. Ein verändertes Verständnis für die Aufgaben im Haushalt soll nicht nur die Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch die Entwicklung der Gemeinden fördern.
„Die Rolle von Mutter und Vater besteht darin, zusammenzuarbeiten und sich die Arbeit im Haus zu teilen“, zeigt sich Jose überzeugt. „Die Arbeitsteilung im Haus hat sich verändert. Als ich jünger war, war das anders, aber inzwischen haben wir angefangen, zusammenzuarbeiten.“
Und auch Roxete beobachtet Veränderungen in ihrem Alltag: „Früher haben nur wir Frauen die Hausarbeit gemacht, so war es schon immer. Aber nachdem wir diese Gruppe habe, haben wir angefangen, Aufgaben wie die Betreuung unserer Kinder zu teilen. Unsere Art, zu kommunizieren, verbessert sich. Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass die Gemeinschaft erkennt, dass Entscheidungen nicht allein von Männern oder Ehemännern getroffen werden sollten, nur weil sie als Familienoberhaupt gelten.“
Marc Tornow hat Südostasien-Wissenschaften studiert, Timor-Leste bereist und diese Geschichte mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.