Die Geschichte von Issa* und Abdou* ist nur eine von vielen. Tausende beginnen wie die der beiden 10-Jährigen. Die Jungen verbringen ihre frühe Kindheit damit, sich um die Tiere im Dorf zu kümmern. Zur Schule gehen sie nicht, doch sie hatten immer etwas zu essen, sagen sie. Issa und Abdou sprechen von einem friedlichen Leben – das war, bevor islamistische Gruppen einmarschierten, Häuser in Brand steckten und Bewohner:innen gefangen hielten.
„Mit ihnen in der Nähe konnten wir kein normales Leben mehr führen, es herrschte Chaos. Die Menschen aus dem Dorf wurden vertrieben“, sagt Issa.
Anschläge und Angriffe der bewaffneten Gruppen treiben nicht nur Familien auseinander, sondern auch Kinder in die Hände der Täter, die sie nicht selten als Soldat:innen, Köch:innen, Träger:innen, Spion:innen oder gar als Sexsklav:innen missbrauchen. Von ihren Eltern getrennt, werden so auch Issa und Abdou verschleppt. Die Täter verbinden ihnen Hände und Augen, verprügeln sie und zwingen sie, sich gegenseitig zu schlagen.
Doch Issa und Abdou werden gefunden und in eine versteckte Notunterkunft gebracht. Schutzbedürftige und traumatisierte Kinder, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, sollen hier Sicherheit und Schutz finden – und mit der Zeit das Geschehene verarbeiten können. Gemeinsam mit dem Ministerium für humanitäre Hilfe und Gender konnte Plan International betroffene Mädchen und Jungen aufsuchen und sie mit dem Nötigsten versorgen. „Wir trugen zu ihrer Verpflegung bei, besorgten ihnen Kleidung und Hygieneartikel und organisierten ihren Transport von dem Ort, an dem sie aufgefunden wurden, zu diesem Aufnahmezentrum“, berichtet Olivia Ouedraogo, Kinderschutzberaterin bei Plan International Burkina Faso. Bisher konnten 34 Kinder Schutz in dem Betreuungszentrum finden, meist sind sie zwischen sechs und zwölf Jahre alt und sie dabei in nach Geschlechtern getrennten Zentren unter.
Was diese Kinder erlebt haben, hat tiefe Spuren und Traumata hinterlassen. Sie sind besonders verletzlich und brauchen individuelle gesundheitliche und psychologische Unterstützung. Das Zentrum als einen sicheren Ort anzusehen und Vertrauen zu den Sozialarbeiter:innen zu fassen, ist vor allem zu Beginn schwierig für sie. „Die Komplexität der Gewalt und Greul, die sie erlebt haben, die Schocks und Verluste, die sie direkt miterlebt haben, das hat ihre Persönlichkeiten tiefgreifend verändert“, so Ousmane*, Leiter des Zentrums.
Teil des Programms von Plan International ist es, den vom Konflikt betroffenen Kindern einen geregelten Alltag und damit die Rückkehr in eine normale Realität zu ermöglichen. Issa berichtet von seinem Tagesablauf: „Hier im Zentrum wecken uns die Teams morgens und wir waschen uns. Wir räumen unser Klassenzimmer auf. Danach frühstücken wir und versammeln uns, um die Flagge zu hissen. Danach gehen wir bis zur Pause in unsere Klassenzimmer, nehmen den Unterricht wieder auf und dann gibt es Mittagessen. An Tagen, an denen wir nachmittags Unterricht haben, kehren wir in unsere Klassen zurück. Ansonsten können wir spielen und sehen fern. Unser Tag endet mit einer Dusche, dem Abendessen und einer Art Märchenstunde – bis wir wieder zurück in unsere Schlafsäle gehen.“
Neben (Tisch-)Fußball, basteln und Geschichten erzählen, gehören auch die monatlichen Gruppentreffen zum Betreuungsplan. „In diesen Gruppen versuchen wir zu besprechen, was gut läuft, was nicht gut läuft, was wir die Verwaltung fragen können und wie wir ihnen am besten helfen können“, erklärt Sozialarbeiterin Brigitte*.
Auch beim Wäschewaschen und Aufräumen helfen die Kinder mit und teilen sich die Aufgaben rund um den Garten. „Wir bauen verschiedene Gemüsesorten an, wie Salat und Tomaten, die wir selbst verbrauchen. Das Gemüse, das wir anbauen, ist für den Eigenbedarf bestimmt, und damit wollen wir den Kindern zeigen, dass man arbeiten muss, um zu leben“, so Souleymane*, Sozialarbeiter im Betreuungs- und Pflegezentrum.
Die Nächte sind häufig unruhig. Viele Kinder weinen oder schreien im Schlaf oder schrecken durch Albträume immer wieder auf, sodass die Sozialarbeiter:innen stündlich nach ihnen sehen. „So finden wir manchmal Kinder, die Schlafstörungen haben oder sehr nachdenklich sind. Wir versuchen, sie zu beruhigen und helfen ihnen, wieder einzuschlafen. Sie haben alle Arten von Albträumen erlebt“, erzählt Brigitte.
Souleymane ist ergriffen von den schrecklichen Erlebnissen der Mädchen und Jungen hier im Betreuungszentrum. Doch er sieht die positiven Veränderungen: Nach sechs Monaten sieht man, wie die Kinder wieder mehr Selbstvertrauen haben und es ihnen ein bisschen besser geht. „Wir versuchen, ihnen zu vermitteln, dass sie wertgeschätzt werden und dass sie, was auch immer in ihrem Leben passiert, hier betreut werden, als ob sie zu Hause wären.“ Und doch ist ihm bewusst, dass er und sein Team kein Elternersatz sein können. Die Kinder fragen nach ihren Eltern, wollen Mutter und Vater wiedersehen, so auch Issa und Abdou.
Olivia Ouedraogo von Plan International Burkina Faso erinnert an die Herausforderungen ihrer Arbeit: „Wir haben das Gefühl, dass wir nicht immer schnell genug handeln können. Einige dieser Kinder sind zum Beispiel schon seit sechs Monaten hier – wie sollen wir da noch ihre Verwandten finden? Es gibt zwar Unterstützung, aber nicht die psychologische, die sie bräuchten, denn Kinder sollten eigentlich immer bei ihren leiblichen Eltern sein.“
* Namen zum Schutz der Identität geändert
Die Geschichte wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Burkina Faso aufgeschrieben.