Plan International: Plan Dominikanische Republik führt seit 2011 das Programm „Crecer contenta“, übersetzt etwa „glücklich aufwachsen“ mit 13-17 Jahre alten Mädchen durch. Was ist das Ziel dieses Programms?
Marcia Gonzalez: „Crecer contenta“ ist ein einjähriges Programm, das Mädchen stärkt, indem es ihnen Bildung und Wissen zum Thema „Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte“ vermittelt. Es trägt dazu bei, dass die Frühschwangerschaftszahlen, die zu den höchsten in Lateinamerika gehören, gesenkt werden. Jedes fünfte minderjährige Mädchen hier war schon einmal schwanger. Als wir mit dem Aufklärungsprogramm in unserer Gemeinde begannen, gab es nichts Vergleichbares. Die Erfahrung, die ich mit diesen Mädchen machen durfte, war völlig neu. Was mich als Mentorin des Programms besonders stolz macht, ist zu sehen, dass keines der Mädchen aus meiner Gruppe früh geheiratet oder Kinder bekommen hat. Sie verfolgen ihre eigenen Ziele und einige studieren sogar. Es ist eine Freude, ihre Entwicklung zu begleiten.
Kinderehen sind in der Dominikanischen Republik sehr stark verbreitet. Was sind die Ursachen dafür?
Kinderehen sind für mich eine Art gesellschaftliche Krankheit, für die auch wir Eltern eine Verantwortung tragen. Es beginnt alles in der Familie. Älteren Männern mit Geld werden junge Frauen oft wie auf dem Silbertablett gereicht, selbst wenn die Männer verheiratet sind und nur Sex suchen. Die Familien sehen darin eine Möglichkeit für ein besseres Leben, weil sie sich finanzielle Unterstützung von diesen Männern erhoffen. Wir bieten mit unserem Programm Aufklärung und versuchen, ein neues Bewusstsein zu schaffen, um diesen Zyklus zu durchbrechen. In meiner Gemeinde zum Beispiel gibt es Mädchen, die sind jünger als meine 14-jährige Enkelin Melanie und schon verheiratet. Es ist eine komplexe Herausforderung, die wir angehen.
Es scheint, als würde die Gesellschaft das Zusammenleben junger Mädchen mit deutlich älteren Männern schweigend akzeptieren. Warum ist das so?
Weil es ganz tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Aber laut dominikanischem Recht gilt dies als Vergewaltigung. Theoretisch könnte der erwachsene Partner rechtlich sogar belangt werden, wenn die Eltern diese Beziehungen melden würden. Doch solche Fälle kommen selten vor. Die so genannten „uniones tempranas“, also das informelle Zusammenleben von minderjährigen Frauen mit älteren Männern, die häufig neben der offiziellen Ehe existieren, sind zu tief in unserer Kultur verwurzelt.
„Die so genannten „uniones tempranas“ sind zu tief in unserer Kultur verwurzelt.“
Gab es durch das Gesetz gegen Kinderehen 2021 denn keine positive Veränderung in der Gesellschaft?
Doch schon, das Gesetz hat ganz sicher zu einem größeren Bewusstsein darüber geführt, dass Kinderehen ein Verbrechen sind. Es ist ein wichtiger erster Schritt, aber die Umsetzung und das vollständige Verschwinden der „uniones tempranas“ bleiben eine große Herausforderung.
Und was passiert, wenn diese Mädchen ungewollt schwanger werden?
Die Situation ist besorgniserregend. Es gibt viele unsichere Methoden, um abzutreiben – von Hausmitteln bis zu Medikamenten, die eigentlich für andere medizinische Zwecke gedacht sind, aber dennoch zum Herbeiführen von Abtreibungen genommen werden. Solche Praktiken sind sehr riskant und gefährden die Gesundheit und das Leben der Frauen. Wir brauchen eine sichere und aufgeklärte medizinische Versorgung.
„Wir müssen beide Geschlechter erziehen und ihnen beibringen, Verantwortung zu übernehmen.“
Welche Bedeutung kommt den Familien bei all dem zu?
In vielen Familien wird die Erziehung vernachlässigt. Kinder werden oft mit Handys beschäftigt gehalten, ohne dass die Eltern überwachen, was sie genau konsumieren. Dazu kommt, dass junge Männer hier quasi tun dürfen, was sie möchten. Es gibt ein Sprichwort, das besagt: „Halte deine Henne fest, ich lasse meinen Hahn frei.“ Dies spiegelt die Einstellung wider, dass Jungen weniger Aufsicht benötigen als Mädchen und kaum Grenzen gesetzt bekommen. Aber wir müssen beide Geschlechter erziehen und ihnen beibringen, Verantwortung zu übernehmen.
Was ist der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme?
Bildung und Unterstützung sind entscheidend. Wir müssen junge Menschen aufklären, ihnen Alternativen aufzeigen und sie in ihren Entscheidungen unterstützen. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft zusammenarbeiten, um ein sicheres Umfeld für alle Kinder zu schaffen und vor allem Mädchen zu stärken. Nur so können wir hoffen, langfristige Veränderungen zu bewirken.
Claudia Ulferts, Lateinamerika-Fachfrau und Pressereferentin im Hamburger Plan-Büro, hat Marcia Gonzalez in der Dominikanischen Republik getroffen und ihre Geschichte für die Plan Post aufgeschrieben.