Über die Hintergründe und Fortschritte des Plan-Projekts „Ein Platz für Leben“ haben wir von der Plan Post-Redaktion mit Anna Wischniewski, langjährige Projektmanagerin bei Plan International Deutschland, gesprochen.
Plan Post: Seit April 2023 herrscht Bürgerkrieg in Sudan, wie ist die Situation der Menschen vor Ort?
Anna Wischniewski: In der Grenzregion zwischen Sudan und Äthiopien spielt sich eine humanitäre Krise ab, die in den Medien kaum Beachtung findet. Seit zwei Jahren herrscht Krieg in Sudan. Tausende Menschen sind auf der Flucht und suchen Schutz, unter anderem im benachbarten Äthiopien. Dort angekommen, stoßen sie auf überfüllte Lager und prekäre Lebensbedingungen.
Was unternimmt Plan International, um den geflüchteten Menschen zu helfen?
Wir engagieren uns mit vielfältiger humanitärer Hilfe. Speziell für die Menschen im sudanesisch-äthiopischen Grenzgebiet hat Plan Deutschland das Projekt „Ein Platz für Leben“ gestartet. Ziel ist es, in der Ortschaft Ura eine Siedlung zu errichten, die sowohl den Geflüchteten als auch den ansässigen Bewohner:innen zugutekommt. Durch den Ausbau von Infrastruktur in den Bereichen Wohnen, Wasserversorgung, Hygiene, Ernährung, Medizin und Bildung soll ein friedliches Zusammenleben gefördert und die dauerhafte Unterstützung der aus Sudan geflüchteten Menschen sichergestellt werden.
Warum wurde speziell dieses Projekt gestartet?
Viele Menschen aus Sudan sind vor den direkten und indirekten Folgen des Bürgerkriegs über die Grenze nach Äthiopien geflohen. Dort gibt es in der Stadt Kurmuk ein Transitlager, in dem sich die geflüchteten Menschen registrieren lassen können und dann innerhalb weniger Tage auf umliegende Geflüchtetencamps verteilt werden sollten.
Anfang 2024 stellte sich vor Ort heraus, dass die umliegenden Camps überfüllt waren. Viele der in Kurmuk ankommenden Menschen mussten manchmal Monate ausharren – unter extremen Lebensbedingungen. Die Infrastruktur des Transitlagers war weder für die große Anzahl an Menschen noch für einen längerfristigen Aufenthalt ausgelegt. Es war klar, dass wir von Plan International Deutschland aktiv werden wollen, und den Aufbau einer Siedlung in Ura unterstützen möchten. Geflüchtete aus dem Transitlager Kurmuk sollen einen Platz zum Leben bekommen.
Warum ist das gerade jetzt wichtig?
Immer mehr Regierungen weltweit reduzieren ihre Gelder für die Internationale Zusammenarbeit und die humanitäre Hilfe. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Unterstützung – unter anderem bedingt durch Kriege, Klimawandel und Pandemien – weltweit an. Aktuell sind rund 300 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Privatpersonen, Stiftungen und Unternehmen können daher einen riesigen Unterschied machen – doch dafür müssen sie über die Zustände und Bedarfe vor Ort informiert werden.
Wie erreicht Plan International die Öffentlichkeit?
Das ist eine echte Herausforderung! Obwohl Sudan Schauplatz für die größte Vertreibungskrise unserer Zeit ist, findet sie in den Medien kaum Beachtung. Über die Zustände im Transitlager Kurmuk sowie in Ura hat man hier in Deutschland nahezu nichts erfahren. Plan möchte hier aktiv werden, um vor Ort zu unterstützen und um den Menschen zu zeigen, dass die internationale Gemeinschaft sie nicht vergessen hat.
Warum wurde Ura als Standort ausgewählt?
Die Entscheidung wurde gemeinsam von der UNO-Flüchtlingshilfe und dem äthiopischen Geflüchteten- und Rückkehrendendienst (Refugee and Returnees Service, RRS) getroffen. Kurmuk kam als Standort nicht infrage, da aus Sicherheitsgründen ein ausreichender Abstand zur Grenze gegeben sein muss. Außerdem können die geflüchteten Menschen in Ura in eine bestehende Gemeinde integriert werden, statt isoliert in einem eigenen Camp untergebracht zu sein.
Welchen Vorteil bietet dieses Vorgehen?
Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit! So kann in Ura die bereits existierende Infrastruktur genutzt und auch zum Wohle der Gastgemeinde ausgebaut werden, statt eine eigene soziale Infrastruktur nur für die geflüchteten Menschen aufzubauen. Entsprechend wurde die Gastgemeinde auch in die Planung aktiv mit einbezogen.
Als ich im Herbst 2024 vor Ort war, hat mich sehr beeindruckt zu hören, wie offen die geflüchteten Menschen willkommen geheißen wurden. In Zukunft möchte die Gemeinde in Ura zugezogene Menschen aus Sudan weitergehend unterstützen, indem sie ihnen Platz für die Landwirtschaft zur Verfügung stellt. So könnten sich die geflüchteten Menschen selbst versorgen und im Idealfall ein eigenes kleines Einkommen erwirtschaften.
Wie hast du die Lage vor Ort wahrgenommen?
Ura war zum Zeitpunkt meiner Reise im Aufbau und die Umsiedlung von Kurmuk war noch nicht abgeschlossen. Die Unterkünfte und auch der von Plan betriebene kinderfreundliche Raum bestanden aus Planen. Diese sollen durch feste Lehmbauten ersetzt werden, die einen besseren Schutz vor Wind und Wetter bieten.
Welche Rolle haben die geflüchteten Menschen beim Aufbau der neuen Siedlung?
Ich bin beeindruckt, wie engagiert die geflüchteten Menschen sich organisieren, um anderen zu helfen. Ein Beispiel ist der Kinderrechtsclub, in dem auch Jugendliche wie der 15-jährige Pal aktiv sind. Wo seine Eltern sind, weiß er nicht. Er lebt mit seiner Schwester allein in Ura und setzt sich für die Verbesserung der Lebensumstände aller ein. Solche Geschichten haben mich tief berührt.
Gleichzeitig wurde deutlich, wie schwer die traumatischen Erfahrungen der Menschen wiegen – besonders bei Mädchen und jungen Frauen. Psychosoziale Unterstützung ist dringend nötig.
Welche Herausforderungen sind dir besonders aufgefallen?
Die größte Herausforderung ist die riesige Finanzierungslücke. Viele geplante Baumaßnahmen, die wir über „Ein Platz für Leben“ anbieten, sind aktuell ohne Finanzierung. Aber auch für vieles, was darüber hinaus geht, ist zu wenig Geld da - zum Beispiel für beleuchtete Straßen, damit die Kinder einen sicheren Schulweg haben.
Es fehlt auch an grundlegenden Dingen, wie warmen Decken oder an Moskitonetzen zur Malariaprävention. Außerdem führt die Knappheit an Nahrungsmitteln zu Spannungen im Lager. Daher bietet Plan nun Essenspakete als Spendenoption an.
Was macht dieses Projekt besonders?
Das Projekt ist besonders flexibel. Wir haben vor Ort ermittelt, was am dringendsten gebraucht wird, und die Spendenoptionen darauf optimiert. Die Unterstützer:innen können frei wählen, womit sie helfen möchten. Man kann eine komplette Unterkunft spenden oder ein Moskitonetz – jede Spende macht einen Unterschied und kommt genau dort an, wo sie gebraucht wird.
„Der nächste Meilenstein ist die Fertigstellung der Klassenzimmer.“
Welche konkreten Schritte wurden bisher umgesetzt?
Mit den ersten Mitteln konnten wir wichtige Baumaßnahmen beginnen, darunter:
Zusätzlich wurden ehrenamtliche Strukturen wie der Kinderrechtsclub, ein Komitee für das Management von Beschwerden und Feedback, eine Pflegeeltern-Vereinigung sowie das Kinderschutzkomitee gestärkt. Zudem erhielten 60 Sozialarbeiter:innen eine Schulung im Fallmanagement. Dadurch konnten 654 gefährdete oder unbegleitete Kinder identifiziert und an Krankenstationen oder psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Siedlung vermittelt werden.
Was ist aktuell der nächste große Meilenstein?
Der nächste Meilenstein ist die Fertigstellung der Baumaßnahmen, wie der Klassenzimmer, die bis Mai 2025 abgeschlossen sein sollen. Zudem setzen wir mit neuen Mitteln weitere Phasen des Projekts um und machen verstärkt auf die Situation in Sudan und den Nachbarländern aufmerksam.
Wie reagieren die Menschen vor Ort auf das Projekt?
Die Reaktionen auf erste Aktivitäten waren positiv. Spielgeräte wie Schaukeln und Rutschen wurden begeistert genutzt. Ein oft geäußerter Wunsch war mehr Spielmaterial für Jugendliche, wie Basketballkörbe. Es ist schön zu sehen, dass diese Angebote helfen, die Kinder trotz aller Kriegserlebnisse wieder lachen zu sehen.
Was sind die langfristigen Ziele des Projekts?
Wir möchten, dass Geflüchtete und die aufnehmenden Gemeinden in Ura möglichst würdevoll leben können. Das Projekt nimmt Kinderschutz, Bildung, Gesundheit, Ernährungssicherheit und Hygiene in den Blick. Die konkrete Umsetzung ist dann abhängig von den eingehenden Spenden und wird von unseren Unterstützer:innen aktiv mitgestaltet. Gleichzeitig berücksichtigen wir konkrete Wünsche und Bedürfnisse von den Menschen vor Ort.
Die enge Anbindung an die Gastgemeinde sorgt dafür, dass die Infrastruktur langfristig genutzt wird – auch für den Fall, dass die Geflüchteten eines Tages in ihre Heimat zurückkehren.
Wie können Einzelpersonen oder Unternehmen helfen?
Die Möglichkeiten sind vielfältig: Von der Spende für Essenspakete bis hin zur Förderung einzelner Baumaßnahmen. Einen guten Überblick über die vorhandenen Spendenmöglichkeiten gibt es auf der Projektseite. Dort werden wir künftig regelmäßig über den Fortschritt des Projekts berichten.