Die 15-jährige Isatu* verlor ihre Eltern während der Ebolafieber-Epidemie, die 2014 in mehreren westafrikanischen Ländern ausbrach und bis 2016 Zehntausende Todesopfer forderte. Um ihre Familie zu ernähren, war Isatu gezwungen, gegen ihren Willen eine sogenannte Sowei zu werden. Sowei ist die Bezeichnung für Frauen, die bei Mädchen die Beschneidung durchführen. Allgemein wird die Praktik „Female Genital Mutilation“ (übersetzt: Weibliche Genitalverstümmelung, auch „Female Genital Cutting“) oder kurz FGM/C genannt. Frauen, die diese Praktik durchführen, genießen als Entscheidungsträgerinnen großen Respekt und hohes Ansehen in der traditionellen Bondo-Gemeinschaft. Denn die Beschneidung symbolisiert in vielen Gemeinden und kulturellen Zusammenhängen den Eintritt der Mädchen in das Erwachsenenalter, Heiratsfähigkeit und Reinheit. Dass eine Beschneidung nichts über diese Dinge – oder gar über die „Vollständigkeit“ eines Mädchens – aussagt, sondern viele Gründe für FGM Vorwände sind, um die Körper und die Sexualität von Mädchen und Frauen einzuschränken, lernte Isatu erst in einem Aufklärungsworkshop. Dort wurde ihr auch verdeutlicht, wie gefährlich der Eingriff und wie schwerwiegend die Langzeitfolgen sind. Ihre Entscheidung, an dieser von Plan International durchgeführten Informationsveranstaltung teilzunehmen, hat nicht nur ihr eigenes Leben verändert, sondern auch das ihrer Großmutter.
Denn für Isatu war dies der Grund, nicht mehr als Beschneiderin zu arbeiten – und davon hat sie auch ihre Großmutter überzeugt. Sie sind nun beide an vorderster Front von Sierra Leones Kampf gegen FGM/C und setzen sich in ihrer Gemeinde vehement dafür ein, dass das Beschneidungsritual abgeschafft wird.
„Während ich praktiziert habe, gab es viele Fälle mit Komplikationen. Mädchen, die stark bluteten, und auch einige, die daran starben.“
„Ich erinnere mich nicht mehr, wie alt ich war, als ich beschnitten und so in die Bondo-Gemeinschaft aufgenommen wurde, aber ich war sehr jung“, erzählt Kandiatu Fofanah. „Ich musste eine Sowei werden. Sie haben mir keine Wahl gelassen.“ Heute ist sie froh, dass sie nicht mehr praktiziert. Und auf ihre EnkelinIsatu ist sie sehr stolz: „Sie ist diejenige, die mich davon abgehalten hat, weiter Mädchen zu beschneiden.“ Kandiatu Fofanah ist hoffnungsvoll, dass sich die Dinge durch die Arbeit von Aktivistinnen wie Isatu zum Besseren wenden.
„Ich weiß nicht genau, wie viele Mädchen ich in meinen Jahren als Sowei beschnitten habe, aber es waren viele“, erzählt sie weiter. Auch sie hat erlebt, wie gefährlich die Prozedur ist: „Während ich praktiziert habe, gab es viele Fälle mit Komplikationen. Mädchen, die stark bluteten, und auch einige, die daran starben. Seitdem ich aufgehört habe und dieses Leid nicht mehr verursache, kann ich nachts besser schlafen.“ Den Menschen in ihrer Heimat verständlich zu machen, warum FGM ein Ende gesetzt werden muss, sei jedoch nicht einfach. „Als die Kampagne anfing, wollten die Leute nicht zuhören. Sie haben sich gewehrt und meinten, dass der Brauch um jeden Preis geschützt werden müsse. Erst seit kurzem fangen die Menschen an, auf uns zu hören und es ist sehr ermutigend, dass die Dinge sich nun ändern.“
„Keine ihrer Enkelinnen sei beschnitten worden, seitdem Isatu den Workshop besucht hat. „Und das werde ich auch in Zukunft nicht zulassen. Wenn es um die Abschaffung von FGM geht, höre ich auch nicht bei meiner Familie auf, sondern versuche auch, andere aufzuklären, wie gefährlich das Ganze ist. Ich weiß von neun Mädchen, deren Beschneidung ich verhindert habe. Wenn ich mich jetzt mit anderen Soweis treffe, fühlt es sich toll an, andere Frauen zu bestärken und Mädchen zu beschützen. Inzwischen gibt es hier so viele Gruppen, die dafür kämpfen, dass FGM nicht mehr praktiziert wird. Das haben wir alles Isatu zu verdanken.“
In den späten 1990er Jahren hat Plan International angefangen, in Sierra Leone über weibliche Genitalverstümmelung zu sprechen und über die Folgen der Prozedur aufzuklären. Durch das Projekt „Breaking the Silence“ (übersetzt: Das Schweigen brechen) wurden viele Soweis in Port Loko und Bombali – die Gegenden, in denen die FGM-Raten am Höchsten sind – überzeugt, ihre Ämter abzulegen.
Die Arbeit von Plan International hat auch Gespräche mit Religionsführer:innen, Gemeindevorsteher:innen, Soweis und Mitgliedern der Bondo-Gemeinschaft ermöglicht. In diesen Gesprächen wird das Bewusstsein für die teilweise lebenslangen, schmerzhaften Folgen, die FGM anrichtet, geschärft, um diese Personen als Verbündete im Einsatz gegen FGM zu gewinnen.
Im Rahmen des Projektes werden auch Polizeibeamt:innen und Gemeindemitglieder geschult, damit sie Mädchen vor einer Beschneidung schützen können. Außerdem wurden hunderte von Mädchen und ihre Eltern über die Gefahren von FGM aufgeklärt, was dazu führte, dass sich viele Mädchen der Praktik widersetzten. Wenngleich es in Sierra Leone noch kein Gesetz gibt, das FGM auf nationaler Ebene verbietet, hat Plan International Gemeinden in einigen Distrikten dabei unterstützt, den Schutz vor Beschneidung zumindest in die offizielle Gemeindeordnung zu übernehmen.
*Name zum Schutz der Identität geändert