Gemeinsam mit dem Verein NALA e.V. machen wir uns gegen weibliche Genitalverstümmelung stark. Denn weltweit sind circa zwei Millionen Mädchen in über 70 Ländern jedes Jahr davon bedroht, an ihren Genitalien beschnitten zu werden. Auch in Deutschland sind Mädchen betroffen, beispielsweise während eines Aufenthalts im Heimatland. Wir haben mit Fadumo Korn, Vorsitzende von NALA e.V., über das Thema FGM (Female Genital Mutilation) gesprochen, wie ihre Arbeit hier in Deutschland aussieht und wie sie selbst als Betroffene von Genitalbeschneidung damit umgeht.
Fadumo, Du nennst dich selbst Brückenbauerin, die zwischen Menschen, Kulturen und Traditionen vermittelt. Was kann man genau darunter verstehen?
Ich sehe es als meine Mission an, Brücken zu bauen – zwischen Menschen, Traditionen und Kulturen. Das heißt, dass ich mit meinem Hintergrund zwischen der somalischen Kultur mit einem „beschneidenden Hintergrund“ und der deutschen Kultur vermittle, diese zusammenbringe und ein gegenseitiges Verständnis schaffe. Sodass Betroffene nicht be- oder verurteilt, sondern als Schutzbedürftige angesehen werden und keine Missverständnisse entstehen.
Kannst du anhand eines konkreten Beispiels erklären, wie deine Arbeit zum Thema FGM in Deutschland aussieht?
NALA e.V. bietet Unterstützung, Beratung und einen sicheren Rahmen für Frauen und Familien, um über ihre Erfahrungen mit FGM zu sprechen. Dementsprechend vielfältig ist meine Arbeit. Ich bekomme zum Beispiel einen Anruf aus einem Frauenhaus und erfahre von einer Frau, die Genitalbeschneidung erlebt hat und vor ihrem Mann oder der Familie aus ihrer somalischen Heimat geflohen ist. Nun ist diese Frau schwanger und bei der gynäkologischen Ernstuntersuchung wird festgestellt, dass ihre Vulva bis auf 4mm zugenäht ist – und eigentlich geöffnet werden muss, denn so kann sie kein Kind gebähren. Dann werde ich hinzugezogen, um zu vermitteln. Das Wichtige dabei ist herauszufinden, was die Frau selbst möchte. Dafür muss sie mir vertrauen – sie kennt mich nicht, also schicke ich zunächst ein kleines Video über WhatsApp, um mich auf somalisch vorzustellen und ihr die Angst zu nehmen. Dann werde ich quasi zur Vermittlerin zwischen Betreuer:in und der betroffenen Frau – für jegliche Fragen! Ich übernehme aber auch Beratungstätigkeiten für beschnittene Frauen jeglicher Herkunft, die sich öffnen lassen wollen. So werde ich zu ihrer Begleiterin bei dem ganzen Prozess, von dem ersten Vorgespräch bis zum Aufwachen nach der Operation zur Öffnung oder der anatomischen Rekonstruktion ihrer Vulva – was oftmals sehr kräftezehrend und emotional für mich ist!
„Wir brauchen mehr Menschen, die auf Augenhöhe über FGM aufklären.“
An wen können sich Menschen in Deutschland wenden, wenn sie von FGM betroffen oder durch eine Beschneidung gefährdet sind?
In vielen deutschen Städten gibt es Vereine und Anlaufstellen, die sich mit dem Thema Genitalbeschneidung beschäftigen. Ein bundesweites Netzwerk gibt es noch nicht, befindet sich aber im Aufbau. Wichtig ist: Wir brauchen mehr Menschen, die auf Augenhöhe über das Thema aufklären – mehr Psycholog:innen, die sich darauf spezialisieren und damit auskennen. Vielleicht sogar aus dem Land kommen, dieselbe Sprache sprechen – um dadurch näher an den Betroffenen zu sein!
Du selbst bist von Genitalbeschneidung betroffen und thematisierst das auch in der Öffentlichkeit, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Wie ist die Resonanz deiner Umwelt darauf, dass du darüber offen sprichst?
Eigentlich erfahre ich größtenteils aufrichtige Bewunderung, zum Beispiel in Form von Emails oder Briefen. Besonders berührend dabei sind die Rückmeldungen von Betroffenen, die dankbar für meine Offenheit sind und sagen, dass sie erst durch mich gelernt haben, dass es auch ein Leben nach der Genitalbeschneidung gibt und sie durch mich die Kraft bekommen haben, darüber zu sprechen. Denn viele Betroffene schämen sich, darüber zu reden und sich anderen zu öffnen. Aber erst dadurch beginnt Veränderung, wenn wir das Thema in der Öffentlichkeit ansprechen! Ich habe aber auch viele Kritiker:innen, die mich dann mit Vorurteilen konfrontieren. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, damit umzugehen und mich nicht mehr darüber aufzuregen!
„Die Beschneidung hat meinen gesunden Körper kaputt gemacht.“
Hast du heute noch mit den Folgen deiner Beschneidung zu kämpfen?
Ich wurde mit sieben beschnitten und überlebte die Komplikation dieses Eingriffs – eine schwere Infektion – nur knapp. Seitdem habe ich körperlich mit den Folgen zu kämpfen, denn ich habe chronische rheumatische Erkrankungen davon getragen und bin dadurch zu 60 Prozent behindert. Die Beschneidung hat meinen gesunden Körper kaputt gemacht. Ich habe jeden Tag irgendwo Schmerzen. Und natürlich auch Einschränkungen, was die eigene Sexualität betrifft: Ich fühle nichts – das macht einen traurig. Ich habe sehr lange gebraucht, um meine Lebensfreude wiederzuerlangen! Solange ich noch meine Periode hatte, hatte ich monatlich auch noch Erinnerungen daran. Ab und zu habe ich auch heute noch einen Wutanfall und überlege, was aus mir geworden wäre, wenn ich das nicht erfahren hätte. Aber es hat mich natürlich auch zu der Frau gemacht, die sich heute mit aller Kraft gegen diesen Brauch einsetzt!
Das Thema FGM ist sehr vorurteilsbehaftet. Zum Beispiel werden Gemeinden, in denen FGM praktiziert wird, als rückständig bezeichnet. Wie gehst du in deiner täglichen Arbeit damit um?
Mit viel Humor und Schlagfertigkeit! Vorurteile bis hin zu diskriminierenden Äußerungen muss man in Gesprächen entkräften und sein Gegenüber dazu bringen, zu differenzieren und zu reflektieren. Es gibt aber auch welche, die direkt eingeschnappt sind, wenn man sie auf ihr Fehlverhalten aufmerksam macht. Aber diese Menschen konfrontiere ich dann einfach damit und mache sie darauf aufmerksam – und damit fahre ich seit Jahren ganz gut.
Apropos Vorurteile: Wir werden in unserer Arbeit zu FGM bei Plan häufig darauf hingewiesen, dass männliche Beschneidung genauso schlimm ist. Wie stehst du dazu?
Ich finde, dass man FGM (Female Genital Mutilation) und MGM (Male Genital Mutilation) nicht direkt miteinander vergleichen kann. Wenn man die pharaonische Beschneidung, die schlimmste aller Varianten, bei der die Klitoris und die inneren Schamlippen entfernt werden, mit der männlichen Beschneidung vergleichen würde, so würde die Hälfte des Penis abgeschnitten werden – nicht nur die Vorhaut, was bei der männlichen Beschneidung der Fall ist. Dieser Gedanke tut weh, daher hinkt die Vergleichbarkeit für mich. Allerdings kann ich auch nur für Frauen sprechen, da ich selbst eine bin und Beschneidung erfahren habe. Natürlich würde ich mich auch für einen Jungen einsetzen, wenn ihm so etwas droht. Aber ich kann doch nur authentisch, echt und leidenschaftlich über weibliche Genitalbeschneidung sprechen, weil ich selbst davon betroffen bin und weiß, was mit einem passiert!
Mädchenbeschneidung ist ein patriarchalischer Brauch. Das heißt, dass dieser aufgrund von veralteten Rollenbildern zwischen Mann und Frau durchgeführt wird. Was bedeutet das genau?
Dazu muss ich etwas ausholen: Ein nicht beschnittenes Mädchen wird in vielen Gesellschaften, die auf patriarchalischen, veralteten Strukturen beruhen, als unrein angesehen. Unbeschnittenen Frauen sagt man zudem nach, dass sie einen zügellosen Sexualtrieb haben und zu Huren werden, die Schande über die Familie bringen. Deswegen werden Mädchen beschnitten. Damit die Lust der Frau erlischt und die Familienehre gewahrt wird. Die Ehre einer Familie, das ist die Ehre der Männer einer Familie. Sie steht und fällt mit der Sexualität der Frauen. Die Ehre einer Familie – das heißt absolute Kontrolle über den weiblichen Körper. Das bedeutet: Solange Mädchen von der Heirat abhängig sind und dadurch ihre Zukunft bestimmt wird, wird genitale Beschneidung existieren. Das müssen wir uns vor Augen halten. Nur mit Bildung überwindet man das, denn in den Köpfen muss ein Umdenken stattfinden. Mit Verboten kommen wir nicht weit. Bildung als Prävention ist der Schlüssel. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir Beschneidung nicht beenden können! Ich glaube, dass wir noch lange damit zu tun haben werden – daher dürfen wir nicht aufhören, uns dafür stark zu machen. Wir kommen sehr gut voran, aber es gibt auch einfach sehr viele Menschen auf dieser Erde, die wir mit dem Thema erreichen müssen!
FGM ist auf patriarchalische Strukturen in der Gesellschaft zurückzuführen. Jungen und Männer wissen aber oftmals aber gar nicht, wie die Beschneidung bei Mädchen und Frauen durchgeführt wird. Wie kommt das?
Beschneidung wird ausschließlich unter Frauen ausgemacht. Frauen bestellen die Beschneiderinnen, nehmen ihre Töchter mit und bezahlen die Beschneiderinnen am Ende. Frauen tragen diesen Brauch von Generation zu Generation. Und Männer profitieren davon. Denn Männer kriegen quasi das Endprodukt. Sie wissen nicht, was genau passiert – darüber wird nicht gesprochen. Sie erwarten eine beschnittene Frau, wissen aber nicht, was genau mit den Frauen gemacht wird und welche Folgeschäden sie davon tragen. Das ist eine brutale Zerstörung von Körper, Seele und Vertrauen. Der Vertrauensbruch, der dadurch entsteht, dass deine Mutter dich festhält und deine Hilferufe ignoriert. Dennoch sage ich immer: Meine Mutter hat es aus Liebe gemacht. Denn ohne diese Beschneidung hätte ich in meiner damaligen Gesellschaft keinen Platz gehabt. Die Beschneidung integriert dich erst in die Gesellschaft. Und das ist das Schlimme daran, dass die Gesellschaft so etwas tun muss, um einen Platz für ein Kind zu schaffen. Das darf nicht sein!
Also ist es deiner Meinung nach gerade richtig, dass NALA e.V. und Plan International miteinander kooperieren?
Vernetzung ist wahnsinnig wichtig. Seit über 30 Jahren wird in Deutschland etwas gegen FGM getan und erst seit zwei Jahren habe ich das Gefühl, dass sich wirklich etwas bewegt. Denn gerade dieses sensible Thema braucht große Schlagkraft! Daher freue ich mich sehr darüber, das erste Mal mit so einer großen Organisation auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Vielleicht lernen andere Organisationen aus unserer gemeinsamen Kooperation und fangen an, an einem Strang zu ziehen!
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Und zum Abschluss ein paar Worte zu dem Film von Sarah Fürstenberg: Was macht „The Other Vulva“ in deinen Augen so stark?
Es ist ein Film, der in seiner Kürze unfassbar viel offenbart. Was ich besonders gut finde: Der Film weckt in mir die Lust zu kämpfen, mich sofort für die Beseitigung von Genitalbeschneidung weltweit stark zu machen! Sowas habe ich bei keinem Film zu diesem Thema bislang erlebt – und das macht ihn so stark!