Schon vor dem ersten Sonnenstrahl steht Anitha auf. Ihr Weg in die Schule ist weit – sechs Kilometer geht die 15-Jährige täglich zu Fuß dorthin, durch unwegsames Gelände. Nach dem anstrengenden Unterrichtstag muss sie denselben zermürbenden Weg wieder zurück nach Hause laufen. „Um vier Uhr morgens bin ich regelmäßig aufgestanden“, erzählt sie. „Nur so konnte ich pünktlich in der Schule sein. Ich hatte immer Angst, bestraft zu werden, wenn ich zu spät kam.“
Die anstrengende Routine raubt der Jugendlichen nicht nur die Energie. Anitha hat auch weniger Zeit, sich mit ihren Hausaufgaben zu beschäftigen – und so bleibt auch die persönliche Entwicklung weitestgehend auf der Strecke. Zudem ist sie jeden Tag in Gefahr: Auf ihren langen Schulwegen begegnet sie immer wieder Männern, die versuchen, sie im Gegenzug für die Beförderung zur Schule zu sexuellen Handlungen zu überreden.
„Motorradfahrer sprachen mich auf dem Weg an und boten mir an, mich gegen Sex zu transportieren und dazu noch Geld zu verdienen“, berichtet die 15-Jährige und fügt hinzu, dass nicht nur Männer eine Bedrohung darstellen: „Eines Tages machte ich mich auf den Weg zur Schule. Plötzlich entdeckte ich eine Hyäne, die mich anstarrte. An diesem Tag rannte ich, so schnell ich konnte!“
Der Wendepunkt in Anithas Leben kam im vergangenen Jahr, als sie im Rahmen eines Projekts von Plan International ein Fahrrad erhielt. Im Projekt werden die Teilnehmenden über Risiken wie Frühverheiratung und frühe Schwangerschaften aufgeklärt und lernen, gesellschaftliche Normen infrage zu stellen. Ein Fokus liegt darauf, dass Mädchen eine schulische Bildung ermöglicht wird und verhindert werden soll, dass sie diese frühzeitig abbrechen (müssen). So werden im Projekt auch zusätzliche Lösungen angeboten, wie Stipendien, Schulbedarf, Menstruationsprodukte (erfahren Sie hier, warum die Periode einen Einfluss auf die Bildung von Mädchen hat) – sowie auch Fahrräder, die den Schülerinnen den Weg zum Unterricht erleichtern können.
Als Anitha ihr neues Fahrrad bekommt, ist sie sehr aufgeregt – wohl wissend, welche Möglichkeiten es ihr bieten könnte. Ihr neues Gefährt verkürzt nicht nur ihre Fahrzeit, sondern gibt ihr auch eine neue Unabhängigkeit und Freiheit. „Jeden Morgen, wenn ich ohne Angst vor Strafen früh in der Schule ankomme, kann ich nicht anders als zu lächeln“, erzählt die 15-Jährige. „Mein Fahrrad schützt mich auch vor den unerwünschten Annährungsversuchen von Jungen und Männern.“
Mit ihrem neuen Fahrrad hat sich Anithas Leben verändert: Sie braucht nur noch halb so lang zur Schule wie früher und kommt dort voller Energie an. Dies hat sich in einer deutlichen Verbesserung ihrer Noten niedergeschlagen und ihre Lehrer:innen haben eine bemerkenswerte Veränderung bei Anitha festgestellt: „Seit sie das Fahrrad hat, haben sich ihre Leistungen entwickelt“, berichtet Herr Sunzu, Anithas Lehrer. „Und sie ist nicht die einzige. Die 66 Mädchen, die in unserer Schule Fahrräder erhalten haben, kommen rechtzeitig an und nehmen aktiv am Unterricht teil. Es ist offensichtlich, dass diese Mobilität ihre Bildung wirklich verbessert hat.“
Die Verteilung von Fahrrädern an Mädchen wie Anitha ebnet ihnen den Weg in eine bessere, selbstbestimmte Zukunft. Im vergangenen Jahr wurden im Rahmen des Projekts 550 Fahrräder an heranwachsende Mädchen vergeben, die in den Regionen Geita und Kigoma lange Schulwege zurücklegen müssen.
Dieser Artikel wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Tansania erstellt.