Jedes Jahr wandern Tausende Menschen von Nepal nach Indien ab, um dort zu arbeiten. Für die Einreise über die rund 1.758 Kilometer lange Grenze zum großen Nachbarn werden weder Pass noch Visum benötigt – was Menschenhändler ausnutzen. Kinder werden häufig sowohl innerhalb Nepals als auch über die offene Grenze zum Arbeiten nach Indien gebracht und erleben anschließend Ausbeutung, geringe Entlohnung und Mädchen gar sexuelle Übergriffe.
Ausgangspunkt für diese Menschenrechtsverletzungen sind oft die dicht bevölkerten Ortschaften in der nepalesischen Tiefebene Terai. Dort verschwimmen die Grenzen zum großen Nachbarn im Süden, etwa nahe der Industriestadt Biratnagar in der Gemeinde Koshi Rural.
In Koshi lebt Roshani (19), die zusammen mit ihren Freund:innen Birendra (22) und Kajal (19) gegen den Menschenhandel in ihrer Region kämpft. Während der vergangenen zwei Jahre sind sie aktiv geworden, haben zum Beispiel Schulen und Teeläden besucht, um die Menschen dort auf die Gefahren des Menschenhandels aufmerksam zu machen. Der ist eine Folge von fehlender Alphabetisierung, Gleichstellung der Geschlechter und Grundversorgung in Nepal. Die Zahl der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die mit falschen Versprechungen von guten Arbeitsplätzen, höherer Bildung oder finanzieller Unterstützung über die Grenze gelockt werden, steigt. Allein im Jahr 2016 wurden 8.500 Fälle von Menschenhandel registriert, doch die Dunkelziffer ist höher.
„Unsichere Migration“ nennen Roshani und die jungen Aktiven den Umstand, dass Menschen hinüber nach Indien und in oft ungeklärte Arbeitsverhältnisse abwandern. In einer informellen Gruppe arbeiten die jungen Leute zusammen – und stießen anfangs in ihrer Nachbarschaft auf Hindernisse. Es fehlte beispielsweise an einem Raum, in dem sie sich besprechen und Kampagnenaktivitäten vorbereiten konnten. Das hat sich Ende 2021 geändert: Mit Unterstützung von Plan International wurde ein sogenanntes Ressourcenzentrum in ihrer Gemeinde eröffnet.
„Unser Selbstvertrauen ist gewachsen.“
Das Ressourcenzentrum befindet sich an einem strategisch wichtigen Kontrollposten zwischen den Nachbarländern Nepal und Indien. Es hat sich schnell zu einem Dreh- und Angelpunkt für die jungen Aktiven dieser Regionen entwickelt. Zu einem geschützten Ort, an dem sie sich versammeln und organisieren können. Zum Beispiel für Informationsveranstaltungen zum Thema unsichere Migration. „Eine rundum gute Sache“, findet Jugendbotschafterin Roshani. „Ich habe das Gefühl, dass unser Selbstvertrauen gewachsen ist, da wir jetzt Zugang zu technischen Ressourcen haben“, so die 19-Jährige.
Die Gemeinde Koshi Rural stellte den Raum für das Ressourcenzentrum zur Verfügung, während Plan International die technische Ausrüstung wie Computer bereitstellte. „Es ist eine schöne Erfahrung, dass die lokale Regierung und das Projektteam die jungen Leute unterstützen. Das motiviert sie, ihre Kampagne gegen den Menschenhandel voranzutreiben“, sagt Bal Kumari B.K., die an einem Informationsstand am nahegelegenen Grenzübergang arbeitet.
Den Informationsstand passieren alle, die weiter nach Indien reisen wollen. Die Teams decken dabei immer wieder Fälle von Menschenhandel auf.
Neben dem Ressourcenzentrum im Osten Nepals wurden über das Plan-Schutzprojekt noch drei weitere Einrichtungen in den Bezirken Banke und Sunsari weiter westlich unterstützt. Letztere befinden sich in Gegenden, in denen der Menschenhandel stark verbreitet ist. „Vor kurzem konnten wir zwei Mädchen retten, die schon auf dem Weg nach Indien waren“, erklären Anu (17) und Hema (18) aus der Gemeinde Baijanath.
Jedes Zentrum bietet Platz für bis zu sieben Personen, die sich gleichzeitig an die Arbeit machen können. Der Zugang zu digitalen Medien, dem Internet sowie Computern, hat die Möglichkeiten der jungen Ehrenamtlichen gestärkt, neue Ideen zur Bekämpfung des Menschenhandels zu entwickeln, resümieren die Projektverantwortlichen.
„Wir sind verstärkt digital und in den sozialen Medien unterwegs und laden alle ein, unseren ,Maya-Chatbot‘ zu nutzen“
Mit dem Maya-Chatbot können digital Fragen zum Thema Menschenhandel gestellt und Informationen dazu unter den Teilnehmenden ausgetauscht werden. Die Online-Anwendung bietet Menschen in ganz Nepal die Möglichkeit, sich zu informieren, zu diskutieren und die schrecklichen Folgen von Menschenhandel – insbesondere für Kinder und Jugendliche – bekannt zu machen. Parallel haben die Aktivist:innen eine Facebook-Seite gestartet, die ebenfalls die Problematik des Menschenhandels aufgreift und davor warnt.
Das Engagement zeigt positive Wirkung: „Kürzlich wurde ich von einem besorgten Elternteil angerufen, um einen möglichen Fall von Menschenhandel zu untersuchen – und wir konnten diesen bei den Behörden melden und stoppen“, erzählt Aktivist Birendra. „Wir erhalten oft Anfragen zur Beschäftigung im Ausland, da viele Familien in der Vergangenheit von Menschenhändlern betrogen wurde“, sagt der 22-Jährige. Mal wurden falsche Angaben über den Umfang der zu leistenden Arbeit gemacht, mal Löhne zurückgehalten oder gar nicht bezahlt und in einigen Fällen kam es zu sexuellem Missbrauch.
„Wir sind froh, dass die Menschen in Nepal erkennen, dass sie vorher Klarheit über die Arbeit im Ausland brauchen und dass sie sich an uns im Ressourcenzentrum wenden können.“
Projektteilnehmerin Kajal (19) ergänzt: „Als junge Frau war es schwer, Veränderungen in der Gemeinschaft herbeizuführen – vor allem, wenn wir mit Jungen zusammenarbeiten mussten. Die Meinung der Mädchen wurde hier in Nepal oft infrage gestellt und wir wurden stigmatisiert, was nicht gerade ermutigend war. Doch dieselben Leute machen uns nun Komplimente, erkundigen sich bei uns nach dem Thema Menschenhandel.“
Roshani hofft indes, dass aufgrund der Kampagnenarbeit künftig noch mehr Menschen in der Lage sind, Fälle von Menschenhandel zu erkennen, anzuzeigen und zu verhindern, um so das Leben in diesem Teil Südasiens sicherer zu machen. „Ich glaube, dass man unserer Arbeit vertraut“, so die 19-jährige Plan-Aktivistin.
Marc Tornow hat Nepal seit 1994 mehrfach bereist, dort gearbeitet und die Geschichte vom Ressourcenzentrum mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.