Jobsuche darf nicht beim Menschenhandel enden

Foto: Shreeram KC

Arbeitsplätze, Bildungschancen, Einkommen – in vielerlei Hinsicht hinkt Nepal seinem großen Nachbarn Indien hinterher. Dies lockt immer wieder Menschen über die Grenze nach Süden, begünstigt aber auch den Menschenhandel auf dieser Route.

Jedes Jahr wandern Tausende Menschen von Nepal nach Indien ab, um dort zu arbeiten. Für die Einreise über die rund 1.758 Kilometer lange Grenze zum großen Nachbarn werden weder Pass noch Visum benötigt – was Menschenhändler ausnutzen. Kinder werden häufig sowohl innerhalb Nepals als auch über die offene Grenze zum Arbeiten nach Indien gebracht und erleben anschließend Ausbeutung, geringe Entlohnung und Mädchen gar sexuelle Übergriffe.

Ausgangspunkt für diese Menschenrechtsverletzungen sind oft die dicht bevölkerten Ortschaften in der nepalesischen Tiefebene Terai. Dort verschwimmen die Grenzen zum großen Nachbarn im Süden, etwa nahe der Industriestadt Biratnagar in der Gemeinde Koshi Rural.

Plan-Aktivistin Roshani (19)
Die nepalesische Plan-Aktivistin Roshani (19) Plan International
Lastwagen sind nahe der nepalesischen Industriestadt Biratnagar unterwegs
Lastwagen sind nahe der nepalesischen Industriestadt Biratnagar unterwegs Marc Tornow

In Koshi lebt Roshani (19), die zusammen mit ihren Freund:innen Birendra (22) und Kajal (19) gegen den Menschenhandel in ihrer Region kämpft. Während der vergangenen zwei Jahre sind sie aktiv geworden, haben zum Beispiel Schulen und Teeläden besucht, um die Menschen dort auf die Gefahren des Menschenhandels aufmerksam zu machen. Der ist eine Folge von fehlender Alphabetisierung, Gleichstellung der Geschlechter und Grundversorgung in Nepal. Die Zahl der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die mit falschen Versprechungen von guten Arbeitsplätzen, höherer Bildung oder finanzieller Unterstützung über die Grenze gelockt werden, steigt. Allein im Jahr 2016 wurden 8.500 Fälle von Menschenhandel registriert, doch die Dunkelziffer ist höher.

Raum für lebenswichtige Fragen

„Unsichere Migration“ nennen Roshani und die jungen Aktiven den Umstand, dass Menschen hinüber nach Indien und in oft ungeklärte Arbeitsverhältnisse abwandern. In einer informellen Gruppe arbeiten die jungen Leute zusammen – und stießen anfangs in ihrer Nachbarschaft auf Hindernisse. Es fehlte beispielsweise an einem Raum, in dem sie sich besprechen und Kampagnenaktivitäten vorbereiten konnten. Das hat sich Ende 2021 geändert: Mit Unterstützung von Plan International wurde ein sogenanntes Ressourcenzentrum in ihrer Gemeinde eröffnet.

Roshani (3. v. r.) und andere junge Aktive aus dem südlichen Terai im Ressourcenzentrum von Koshi
Roshani (3. v. r.) und andere junge Aktive aus dem südlichen Terai im Ressourcenzentrum von Koshi Plan International

„Unser Selbstvertrauen ist gewachsen.“

Roshani (19), Plan-Aktivistin aus der ost-nepalesischen Region Koshi

Das Ressourcenzentrum befindet sich an einem strategisch wichtigen Kontrollposten zwischen den Nachbarländern Nepal und Indien. Es hat sich schnell zu einem Dreh- und Angelpunkt für die jungen Aktiven dieser Regionen entwickelt. Zu einem geschützten Ort, an dem sie sich versammeln und organisieren können. Zum Beispiel für Informationsveranstaltungen zum Thema unsichere Migration. „Eine rundum gute Sache“, findet Jugendbotschafterin Roshani. „Ich habe das Gefühl, dass unser Selbstvertrauen gewachsen ist, da wir jetzt Zugang zu technischen Ressourcen haben“, so die 19-Jährige.

Auf dem Weg zur Grenze

Die Gemeinde Koshi Rural stellte den Raum für das Ressourcenzentrum zur Verfügung, während Plan International die technische Ausrüstung wie Computer bereitstellte. „Es ist eine schöne Erfahrung, dass die lokale Regierung und das Projektteam die jungen Leute unterstützen. Das motiviert sie, ihre Kampagne gegen den Menschenhandel voranzutreiben“, sagt Bal Kumari B.K., die an einem Informationsstand am nahegelegenen Grenzübergang arbeitet.

Den Informationsstand passieren alle, die weiter nach Indien reisen wollen. Die Teams decken dabei immer wieder Fälle von Menschenhandel auf.

Ein nepalesisches Lasttaxi rollt nahe der Grenze zu Indien über dunklen Asphalt
Ein nepalesisches Lasttaxi rollt durch eine Kleinstadt im Süden Nepals Marc Tornow
Plan-Teams an einem Kontrollposten an der Grenze zu Indien inmitten von Reisfeldern
An Kontrollposten auf nepalesischem Gebiet suchen Plan-Teams nach Opfern sogenannter „unsicherer Migration“ Shreeram KC

Neben dem Ressourcenzentrum im Osten Nepals wurden über das Plan-Schutzprojekt noch drei weitere Einrichtungen in den Bezirken Banke und Sunsari weiter westlich unterstützt. Letztere befinden sich in Gegenden, in denen der Menschenhandel stark verbreitet ist. „Vor kurzem konnten wir zwei Mädchen retten, die schon auf dem Weg nach Indien waren“, erklären Anu (17) und Hema (18) aus der Gemeinde Baijanath.

Per Chatbot vor Verschleppung geschützt

Jedes Zentrum bietet Platz für bis zu sieben Personen, die sich gleichzeitig an die Arbeit machen können. Der Zugang zu digitalen Medien, dem Internet sowie Computern, hat die Möglichkeiten der jungen Ehrenamtlichen gestärkt, neue Ideen zur Bekämpfung des Menschenhandels zu entwickeln, resümieren die Projektverantwortlichen.

„Wir sind verstärkt digital und in den sozialen Medien unterwegs und laden alle ein, unseren ,Maya-Chatbot‘ zu nutzen“

Dipti (18), Plan-Aktivistin aus der west-nepalesischen Region Banke

Mit dem Maya-Chatbot können digital Fragen zum Thema Menschenhandel gestellt und Informationen dazu unter den Teilnehmenden ausgetauscht werden. Die Online-Anwendung bietet Menschen in ganz Nepal die Möglichkeit, sich zu informieren, zu diskutieren und die schrecklichen Folgen von Menschenhandel – insbesondere für Kinder und Jugendliche – bekannt zu machen. Parallel haben die Aktivist:innen eine Facebook-Seite gestartet, die ebenfalls die Problematik des Menschenhandels aufgreift und davor warnt.

Flusslandschaft im Terai im Süden Nepals
Flusslandschaft im Terai im Süden Nepals Marc Tornow

Schutzprojekt fördert Gleichberechtigung

Das Engagement zeigt positive Wirkung: „Kürzlich wurde ich von einem besorgten Elternteil angerufen, um einen möglichen Fall von Menschenhandel zu untersuchen – und wir konnten diesen bei den Behörden melden und stoppen“, erzählt Aktivist Birendra. „Wir erhalten oft Anfragen zur Beschäftigung im Ausland, da viele Familien in der Vergangenheit von Menschenhändlern betrogen wurde“, sagt der 22-Jährige. Mal wurden falsche Angaben über den Umfang der zu leistenden Arbeit gemacht, mal Löhne zurückgehalten oder gar nicht bezahlt und in einigen Fällen kam es zu sexuellem Missbrauch.

„Wir sind froh, dass die Menschen in Nepal erkennen, dass sie vorher Klarheit über die Arbeit im Ausland brauchen und dass sie sich an uns im Ressourcenzentrum wenden können.“

Birendra (22), Plan-Aktivist aus der ost-nepalesischen Region Koshi

Projektteilnehmerin Kajal (19) ergänzt: „Als junge Frau war es schwer, Veränderungen in der Gemeinschaft herbeizuführen – vor allem, wenn wir mit Jungen zusammenarbeiten mussten. Die Meinung der Mädchen wurde hier in Nepal oft infrage gestellt und wir wurden stigmatisiert, was nicht gerade ermutigend war. Doch dieselben Leute machen uns nun Komplimente, erkundigen sich bei uns nach dem Thema Menschenhandel.“

Roshani hofft indes, dass aufgrund der Kampagnenarbeit künftig noch mehr Menschen in der Lage sind, Fälle von Menschenhandel zu erkennen, anzuzeigen und zu verhindern, um so das Leben in diesem Teil Südasiens sicherer zu machen. „Ich glaube, dass man unserer Arbeit vertraut“, so die 19-jährige Plan-Aktivistin.

Marc Tornow hat Nepal seit 1994 mehrfach bereist, dort gearbeitet und die Geschichte vom Ressourcenzentrum mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.

Mädchen gezielt helfen

Wir von Plan International engagieren uns für den Schutz, die Bildung, die politische Teilhabe, die Gesundheit und die Einkommenssicherung von Mädchen und jungen Frauen. Unser Mädchen-Fonds leistet einen wichtigen Beitrag zur Beseitigung von Benachteiligung, Armut und Gewalt. Mit Ihrer Spende können wir zum Beispiel Projekte zum Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung, zur Einkommenssicherung sowie für gleichberechtigte, gesellschaftliche Teilhabe und Zugang zur Schulbildung umsetzen, damit Mädchen die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben erhalten.

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