Die Ukraine wird im Volksmund als „Kornkammer Europas“ bezeichnet und verfügt über extrem fruchtbaren Boden. Das Land beliefert die Welt nicht nur mit Weizen, sondern auch mit Sonnenblumenöl, Gerste und Mais. Jetzt, zu Beginn der Frühjahrsernte, bedeutet der Krieg in der Ukraine, dass die Felder nicht vorbereitet, die Saat nicht gepflanzt und die Äcker nicht gedüngt werden können. Das hat nicht nur Folgen für Menschen, die unmittelbar in den Konflikt verwickelt sind, sondern für Menschen auf der ganzen Welt – insbesondere an Orten, die schon jetzt von Hunger betroffen sind.
Ein Drittel der weltweiten Weizenlieferungen stammt aus der Ukraine und Russland. Mit dem Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Lieferengpässen könnte der Hunger in der Welt zunehmen. Länder wie Äthiopien, Nigeria, der Südsudan, die Zentralafrikanische Republik und die Länder in der zentralen Sahelzone sind aktuell von einer Ernährungsunsicherheit alarmierenden Ausmaßes betroffen.
„Die Sahelzone in Westafrika, die ohnehin bereits von Hunger gezeichnet ist, ist von den Weizenlieferungen aus der Ukraine abhängig“, berichtet Sven Coppens, Direktor von Plan International Coastal West Africa. „Der Konflikt in Europa wird die Lebensmittelpreise weiter in die Höhe treiben und damit die Hungerkrise in Ländern wie Burkina Faso, Mali und Niger weiter verschärfen.“
Der Konflikt in der Ukraine hat Einfluss auf Lieferketten und auf Lebensmittelpreise, die mit alarmierender Geschwindigkeit weiter wachsen. Humanitäre Maßnahmen in West- und Zentralafrika, die auf Importe aus den betroffenen Ländern angewiesen sind, könnten behindert oder ganz unterbrochen werden. Weltweite Konflikte und die Covid-19-Pandemie tragen außerdem zu einer dramatischen Eskalation der Ernährungsunsicherheit bei – Schätzungen zufolge sind 283 Millionen Menschen in 80 Ländern akut von Hunger bedroht.
„Die Sahelzone in Westafrika, die ohnehin bereits von Hunger gezeichnet ist, ist von den Weizenlieferungen aus der Ukraine abhängig.“
In West- und Zentralafrika sind aktuell über 61 Millionen Menschen auf Hilfe und Schutz angewiesen, 22 Millionen Menschen sind dort zudem von Ernährungsunsicherheit betroffen. Auf der anderen Seite des Kontinents sind mehr als 20 Millionen Menschen in Äthiopien, Kenia und Somalia dringend auf Nahrungsmittel und Wasser angewiesen. Die Ernten von Millionen von Familien sind ausgefallen, und Tausende von Nutztieren sind abgemagert oder verendet.
Im Osten Afrikas steigen die Lebensmittelpreise in den von der Dürre betroffenen Gebieten seit Monaten an, was auch auf unterdurchschnittliche Ernten aufgrund der anhaltenden Trockenheit zurückzuführen ist. Das hat zur Folge, dass Familien sich nicht einmal mehr das Nötigste leisten können. Gleichzeitig sind viele Wasserstellen vertrocknet, sodass Frauen und Mädchen gezwungen sind, immer längere Strecken zu Fuß zurückzulegen, um an Wasser zu gelangen. Dadurch verpassen sie teilweise ganze Schultage, und ihr Risiko steigt, geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein.
Die Auswirkungen solcher Krisen sind für Kinder und insbesondere für Mädchen katastrophal. Geschlechternormen und gesellschaftlich tief verwurzelte Ungleichbehandlung haben zur Folge, dass Mädchen und junge Frauen oft weniger und zuletzt essen, wenn die Nahrung knapp ist. Ihre Bedürfnisse werden zugunsten von Jungen und Männern zurückgestellt. Wenn die Ressourcen knapp sind, greifen Familien auf verzweifelte Maßnahmen zurück, um zu überleben. Für heranwachsende Mädchen bedeutet das ein höheres Risiko der Frühverheiratung und damit auch ein höheres Risiko für frühe Schwangerschaften. Schwangere Frauen und junge Mütter haben in Zeiten von Nahrungsmittelknappheit zudem große Schwierigkeiten, sich und ihr Kind sicher zu versorgen.
Plan International begrüßt die umfassende und schnelle Unterstützung für die humanitäre Krise in der Ukraine und kooperiert auch mit Organisationen vor Ort (Informationen zu unserer Nothilfe in der Ukraine finden Sie hier). Alle humanitären Mittel zur Linderung des Leids der Menschen, die von diesem Konflikt betroffen sind, müssen zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Zu keinem Zeitpunkt dürfen Ressourcen von der bereits knappen Finanzierung bestehender Krisen abgezogen werden.
„Die humanitäre Krise, die sich in der Ukraine und den Nachbarländern abspielt, hat verheerende Auswirkungen auf Kinder, und wir müssen unbedingt darauf reagieren“, sagt Coppens. „Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass wir weiterhin Kinder in anderen akuten und unterfinanzierten humanitären Krisen auf der ganzen Welt unterstützen.“