Der heutige Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen soll Aufmerksamkeit und Solidarität für Menschen schaffen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Der Anlass ist dringlicher denn je: Aktuell sind weltweit mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht – die höchste Zahl, die jemals erfasst wurde. Ein Bericht des norwegischen Flüchtlingsrats warnt, dass im Schatten des Ukraine-Kriegs andere schwere Krisen vergessen werden. Auf seiner Liste der „vernachlässigten Krisen“ belegt das zentralafrikanische Kamerun derzeit Platz 3.
Die Lage vor Ort wird von drei komplexen Notsituationen beeinflusst: Im Norden des Landes bedrohen bewaffnete Konflikte Menschenleben, im Westen kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen und im Osten sind über 325.000 Menschen aus der benachbarten Zentralafrikanischen Republik (ZAR) vor bürgerkriegähnlichen Zuständen über die Landesgrenze geflohen. Hinzu kommen eine vom Klimawandel bedingte Lebensmittel- und Wasserknappheit sowie die sozio-ökonomischen Folgen der Covid-19-Pandemie, die die Unsicherheit im Land verstärken. Das vertreibt auch viele Menschen innerhalb von Kamerun: Ende 2021 lebten fast zwei Millionen Menschen in Fluchtsituationen.
Plan International ist in Kamerun mit mehreren Projekten in unterschiedlichen Regionen tätig, um den Menschen vor Ort zu helfen und den Kinderschutz sicherzustellen. Dabei liegt der Fokus unter anderem auf der ökonomischen Stärkung von Menschen, die aus der ZAR geflohen sind, sowie psychosozialer Unterstützung für Menschen, die sexuelle und geschlechterbasierte Gewalt während der Flucht erlebt haben.
„Wir wissen bis heute nicht,
wo unser Papa ist.“
„Wir hatten nicht genug zu essen, nichts zum Anziehen und konnten nicht zur Schule gehen“, berichten Ibrahim (14) und Ahana (12). Sie sind aus der ZAR geflohen und leben jetzt im Osten Kameruns gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrem 16-jährigen Bruder Tresor und ihrer sechsjährigen Schwester Yaya. Die Familie kam 2015 nach Kamerun. In dem Chaos auf der Flucht vor Gewalt in ihrer Heimat wurden sie von ihrem Vater getrennt. „Wir wissen bis heute nicht, wo unser Papa ist“, erzählen die beiden Jugendlichen. Die Erfahrung war traumatisch für die Kinder und ihre Mutter, die nun allein für ihre Familie sorgen muss.
„Es tut weh, die eigenen Kinder so leiden zu sehen. Sie fragten mich immer wieder: ‚Wann können wir zurück nach Hause? Wann kommt Papa, um uns zu holen?‘“, sagt Sahadai (39). „Das war für mich die schwierigste Situation als Mutter: hilflos und ohne Antworten vor meinen Kindern zu stehen.“
Die Lage änderte sich zum besseren, als Sahadai an einem Projekt von Plan International teilnahm, bei dem sie Kurse für Unternehmensführung und Lebenskompetenzen besuchte. Mit einem Starterpaket zur wirtschaftlichen Absicherung und nach einigen Monaten Betreuung durch das Projektteam konnte sie selbst einen kleinen Laden eröffnen, der inzwischen gute Gewinne erwirtschaftet.
„Ich bin nicht mehr die bedürftige Flüchtlingsfrau von früher. Das Leben ist immer noch nicht einfach, aber meine Kinder und ich sind gesund und zufrieden.“
„Ich bin nicht mehr die bedürftige Flüchtlingsfrau von früher“, sagt Sahadai mit Stolz. „Das Leben ist immer noch hart, aber meine Kinder und ich sind gesund und zufrieden. Ich mache mit meinem Laden Profit, der es mir ermöglicht, meine Kinder in die Schule zu schicken, sie mit drei anständigen Mahlzeiten zu versorgen und mich um ihre Gesundheit zu kümmern.“
Das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierte Projekt zielt darauf ab, die wirtschaftliche Eigenständigkeit von geflüchteten Menschen zu stärken. Dabei liegt ein Fokus auf Schutzmechanismen, Bildung und Ausbildung sowie Einkommenssicherung. Bisher wurden rund 17.000 Menschen erreicht, aber es gibt noch viel zu tun: „Das Projektgebiet liegt nach wie vor im Konfliktgebiet und ist unsicher. Noch immer fliehen viele Menschen aus der Zentralafrikanischen Republik“, so Programmdirektor Sakwe Mbone. Damit Kinder in diesem Kontext geschützt sind, müssen sie und ihre Familien so schnell wie möglich Absicherung und Anschluss finden – zum Beispiel durch Arbeit und Schule.
Ein Risiko, dem vor allem Frauen und Jugendliche in Fluchtsituationen verstärkt ausgesetzt sind, ist sexuelle und geschlechterbasierte Gewalt. Auch Namondo* musste diese Erfahrung machen: „Er überfiel mich und raubte mir meine Würde. In dem Moment ging meine Welt für mich unter“, sagt die 18-Jährige. Sie erinnert sich, wie sie in der Siedlung für Binnenvertriebene, in der sie lebt, auf dem Weg zum Wasserholen vergewaltigt wurde. „Er hat mich in einen Busch gezogen und mich mit seinem Körper auf den Boden gedrückt. Es ist eine sehr schlimme Erinnerung für mich.“ Als sie nach dem Angriff erfuhr, dass sie schwanger war, war sie am Boden zerstört. Schlimmer noch: Ihre Eltern gaben ihr die Schuld an allem und zwangen sie, die Schule abzubrechen.
„Ich wurde von allen in meiner Gemeinde stigmatisiert und konnte mit niemandem reden“, berichtet Namondo*. Hilfe erhielt die junge Frau in einem Projekt von Plan International: Eine Maßnahme der Projektarbeit ist, dass Gemeindehelfer:innen von Tür zu Tür gehen und routinemäßige Aufklärungsarbeiten durchführen, um sexuelle und geschlechterbasierte Gewalt (SGBG) zu verhindern und auf Verdachtsfälle reagieren zu können. Eines der Teams traf dabei Namondo* und lud sie in, bei der von Plan International geleiteten psychosozialen Unterstützungsgruppe teilzunehmen.
„Ich habe ein besseres Selbstwertgefühl und einen klaren Kopf zum Lernen. Ich will so schnell wie möglich zurück in die Schule und mein Leben wieder in die Hand nehmen.“
Neben den Gruppengesprächen wurde Namondo auch zu medizinischen Untersuchungen überwiesen. Das SGBG-Team sprach mit ihren Eltern, um ihnen zu helfen, mit ihren Gefühlen von Scham und Wut ihrer Tochter gegenüber umzugehen. „Dank der Hausbesuche verstehen sie jetzt, dass das Geschehene nicht meine Schuld war, und sie unterstützen mich wieder. Ich habe ein besseres Selbstwertgefühl und einen klaren Kopf zum Lernen. Ich will so schnell wie möglich zurück in die Schule und mein Leben wieder in die Hand nehmen“, sagt die 18-Jährige.
Durch diese psychosozialen Hilfsmaßnahmen konnte Namondo gesunde Strategien entwickeln, um mit ihrem Trauma umzugehen. Durch den Austausch mit anderen in der Gruppe, die sexuelle Übergriffe überlebt haben, ist sie allmählich in der Lage, wieder offener und selbstbewusster aufzutreten. Inzwischen kann sie sogar andere betroffene Mädchen unterstützen – für sie persönlich ein bedeutsamer Schritt für den Heilungsprozess.
Die Herausforderungen in Kamerun sind groß. Plan International arbeitet daher an vielen Stellen – etwa bei der Einrichtung und Ausstattung von sicheren kinder- und jugendfreundlichen Räumen (CAFS). Außerdem führen wir in unseren Projekten die Sanierung und den Bau von geschlechtergerechten und zugänglichen Latrinen durch, installieren Handwaschanlagen und eine sichere Wasserversorgung, unterstützen unbegleitete und von ihren Familien bei der Flucht getrennte Kinder sowie ihre Pflegefamilien, führen Familien zusammen, geben Trainings für gemeindebasierte Kinderschutz-Komitees und halten Lebenskompetenz-Workshops für Jugendliche.
*Name wurde zum Schutz der Identität geändert.
Die Geschichte wurde mit Material aus dem Plan Büro in Kamerun aufgeschrieben.