Jugendbeteiligung beim African Youth SDGs Summit
Das African Youth SDGs Summit ist Afrikas größtes Jugendforum zu den nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDGs). Aus verschiedenen Sektoren kommen jährlich junge Menschen, Staatsvertretende, Entscheidungstragende, UN-Vertreter:innen, NGOs und Vertreter:innen aus dem privaten Wirtschaftssektor zusammen.
Geschrieben von Henri (dey/deren) - Jugendbeiratsmietglied Plan International Deutschland
Der African Youth SDGs Summit dient als Möglichkeit eines Zusammentreffens von (jungen) Aktivist:innen aus verschiedenen (hauptsächlich) afrikanischen Ländern, um ihre Erfahrungen im Aktivismus und den Umgang mit den SDGs zu besprechen. Wichtig hierbei ist auch festzustellen, wie weit die SDGs bis jetzt gekommen sind und welche Kontrollinstanzen fehlen. Das Thema des diesjährigen, fünften Summits war „Attaining the SDGs through Youth Innovation and Financing for Inclusive Development in Africa”, also das Erreichen der SDGs durch Jugend-Innovation und Finanzierung für eine inklusive Entwicklung Afrikas. Vom 14. bis zum 18. August kamen wir in Lusaka, Sambia, in einem imposanten Konferenzzentrum für Reden, Podiumsdiskussionen, Plan-Begegnungen und unserem eigenen Side Event zusammen. Doch dazu später mehr.
Der erste Tag hielt vor allem Einführungen in das Thema bereit. Er ermöglichte aber auch einen ersten Blick auf die Teilnehmenden und die Energie bei dieser Konferenz, die eine ganz besondere war. Menschen waren sehr involviert und haben sich schon beim ersten Plenum mit zahlreichen Wortbeiträgen beteiligt und wurden lautstark in diesen unterstützt. Es war schnell klar, dass Kritik hier offen angesprochen und geklärt werden würde, und wie vertraut die einzelnen Vertreter:innen mit den Themen waren. Dieser Eindruck zog sich durch die gesamte Konferenz. Jeder Tag war ähnlich aufgebaut mit einer kurzen Zusammenfassung des vorherigen Tages und einem Plenum oder Panel am Morgen, gefolgt von verschiedenen Parallel- und Side Events über den Mittag verteilt. Die Konferenz endete mit einer Abschlussveranstaltung, bei der Preise an besonders herausragende, junge Expert:innen verteilt und die Ergebnisse der einzelnen Tage zusammengefasst wurden.
Bei dieser Vielfalt an Veranstaltungen war es nicht leicht zu entscheiden, wo ich mich gerne einbringen wollte – und konnte. Wo war die Position eines Vertreters eines deutschen Jugendbeirats in dieser Veranstaltung, in dem Menschen von sehr persönlichen Erfahrungen mit den SDGs berichten und damit ihre Arbeit befeuerten – eine Perspektive, die uns in Deutschland oft fehlt? Schon vor dem Event haben wir uns geeinigt, dass wir insbesondere lernen wollen. Lernen, wie Aktivismus dort funktionierte, was der Antrieb war und wie die Ausführung möglich und auch anders von unserer Eigenen ist. Ich hatte viele Unterhaltungen mit anderen jungen Menschen, die sich in sogenannten Grass-Root-Bewegungen für ihre Gemeinden und Gemeinschaften einsetzten. Dabei kamen viele Informationen auf, die ich vorher nur sehr abstrakt gehört hatte, die nun aber ein ganz neues farbenfrohes Bild darstellen.
Auch nahm ich an Side Events teil. Eines der eindrucksvollsten, organisiert von der NGO Marie Stopes, stellte dar, wie sexuelle Aufklärung und Gesundheit in ländlichen Umgebungen umgesetzt werden können. Es war unglaublich interessant zu sehen, welche Barrieren Menschen bei ihrer Arbeit im Weg standen und wie sie diese Stück für Stück beseitigten. Dort wurden beispielsweise Wege vorgestellt mit Peer-to-Peer Beratungsstellen für Aufklärungs- und Beratungsstellen. Poster in Gebärdensprache, die Ärzt:innen eine Möglichkeit geben sollte, sich besser mit Menschen, die schwerhörig sind, zu verständigen. Die Panellist:innen berichteten auch von ähnlichen Angeboten in Braille-Schrift und mit Dolmetscher:innen. Dies gab einen viel realeren Blick auf diese Projekte, als es uns durch die Entfernung zu exakt solchen Projekten möglich ist. Als Person, die selbst einen großen Fokus auf Barrierereduzierung und diversitäts-sensiblen Aktivismus legt, nehme ich viel Bewunderung und auch Inspiration für meine eigene politische Aktivität in diesen Bereichen mit.
Plan International beim Summit
Zwischen den Events fanden wir uns auch häufig in der Plan-Booth wieder. Hier betreuten vor allem die Mitarbeitenden von dem Plan Office in Sambia einen Informationsstand direkt vor dem Konferenzgebäude. Sie gaben Flyer und Buttons an die vielen Interessierten, die, ganz der allgemeinen Energie der Konferenz folgend, sehr kommunikativ auf uns zukamen, um sich zu informieren. Es gab sogar eine Fotowand mit dem Plan Logo, vor der wir oft mit anderen Aktivist:innen verewigt wurden.
Die Booth war auch eine Möglichkeit für entspannte Konversationen untereinander. Bei 31 Plan-Vertretenden zusätzlich zu dem Team in Sambia waren wir oft eine große Gruppe mit vielen Einblicken aus verschiedenen Regionen der (Plan)-Welt. Mehr als die Hälfte von uns waren außerdem junge Menschen! Deshalb konnten wir uns auch oft über unsere Erfahrungen bei Jugendprojekten austauschen, die teilweise sehr unterschiedlich waren. Hier trafen wir uns auch intensiver in unserer Gruppe von „Co-facilitators", also den Moderierenden unseres Side Events, welches am Donnerstag stattfand. Wir vernetzten uns erst auf einer persönlichen Basis, um diese vertraute Energie auch in das Event bringen zu können.
Young Voices in Conversation
Bereits in Vorbereitung hatten wir uns - 4 Jugendliche aus 4 Ländern (Yona aus einem Fellowship-Programm in Südafrika, Thokozile aus dem Jugendbeirat in Sambia, Victoria aus einem Programm in Nigeria und der Youth Reference Group von Plan International und ich, Henri aus dem deutschen Jugendbeirat) online getroffen, um das Event mit dem Plan-Jugendteam in Deutschland zu besprechen. Schnell war klar, dass wir keine typische Podiumsdiskussion wollten. Stattdessen beschloss ich, das Event genau dafür zu nutzen, wofür wir hier waren: für Jugendpartizipation von Menschen vor Ort und zum Zuhören.
Dieses Konzept kam scheinbar an – und war bei der Konferenz beinahe ein Alleinstellungsmerkmal, denn mehr als 80 Menschen, also mehr als wir Stühle zur Verfügung hatten, füllten den Raum unseres Events. Schon am Anfang fiel einem Menschen aus dem Publikum auf: Das gesamte Event wurde von jungen Menschen organisiert und durchgeführt und bezog das Publikum in einer Gruppenarbeit direkt ein.
Victoria aus Nigeria bereitete eine eindrucksvolle Rede vor, in der sie an den Zusammenhalt untereinander und an das Verfolgen der eigenen Ziele appellierte und sofort eine mitreißende Stimmung mit vielen Zurufen im Raum schuf. In dieser Stimmung war es einfach, nach und nach Menschen einzubeziehen. Erst ging ich, Henri, durch den Raum und warf Fragen wie „Was ist bedeutungsvolle Jugendpartizipation?", „Was ist Gender-Gerechtigkeit“ und „Was bedeutet Gender-Gerechtigkeit für euch?“ in den Raum. In kurzen Statements identifizierten Teilnehmende, wie wichtig ihnen Zusammenhalt und strukturelle Änderungen waren. Diese Wünsche trugen sie auch in die Gruppenarbeit und wir waren in der Lage, miteinander Barrieren, Fortschritte und Forderungen, die die Teilnehmenden in ihrer politischen Arbeit hatten, zu identifizieren. Es war beeindruckend zu sehen, wie spezifisch die politischen Forderungen waren und wie viele die gleichen Barrieren erlebten, sie aber mit unterschiedlichen Forderungen lösen wollten. Auch bei der Vorstellung unserer Ergebnisse untereinander waren wieder das Gemeinschaftsgefühl und die Energie, Veränderung zu schaffen, am eindrucksvollsten – ein Gefühl, das ich noch immer genau nachfühlen kann und ich hoffe, dass es den Teilnehmenden auch nach dem Event noch so geht. Abgesehen von den vielen Eindrücken nahmen wir auch die gemeinsamen Forderungen mit, die die Grundlage für unsere Arbeit zu den SDGs sein werden.
Viele der Forderungen beziehen sich insbesondere auf Barrieren, wie kulturelle Konstrukte, die zu Ungleichheit beitragen. Aber ein oft genannter Kritikpunkt war auch, dass Gesetze und Strategien bereits erkämpft wurden, diese jedoch nur auf Papier existieren. Deswegen forderten die Teilnehmenden vermehrt Task-Forces oder die Ernennung Verantwortlicher für die Umsetzung von Gesetzen und Strategien. Wichtig war ihnen auch staatliche Unterstützung der Organisationen, die diese Gesetze bereits ausführen. In einem Report, den alle Moderator:innen zusammen schreiben, stellen wir sie zusammen und werden die gesammelten Forderungen mit Entscheidungstragenden und den Organisator:innen des African Youth SDGs Summit teilen.
Eine Jugendkonferenz von und für junge Menschen?
Trotz der unglaublichen Erfahrungen und der Energie, die immer glühend hinter allen Menschen zu stehen schien, gibt es auch Momente, die einen faden Beigeschmack lassen. Eine Wortmeldung in dem finalen Plenum beschrieb es sehr gut: Ein junger Mann erhob die Frage, mit wem sie alle eigentlich redeten. Es seien kaum Entscheidungsträger:innen hier, kaum Vertreter:innen der UN oder UN-Staaten. Genau das wollen wir nicht für die Forderungen, die wir erarbeiteten. Sie sollten nicht in einer Echokammer verloren gehen, in der sich junge Menschen zwar untereinander austauschen können, aber nicht vollständig einbezogen werden. Denn genau dieser Schritt fehlte teilweise. Die Kraft der jungen Menschen und wie viel sie in ihrem Leben bereits gelernt und getan haben, ist beeindruckend. Dennoch waren auf Panels und bei den Einführungsreden hauptsächlich ältere Menschen vertreten, die dann oft auch nicht für die Events der jungen Menschen blieben. Es herrschte also auch hier ein Ungleichgewicht in der Repräsentation und, viel tiefgehender, in der bedeutungsvollen Jugendpartizipation. Jugendliche wurden nicht von Anfang an in alle Prozesse eingebunden. Auch wurden ihre Forderungen zwar von den Organisator:innen wahrgenommen, aber es war wenig transparent, was nun mit diesen geschehen würde. Werden sie tatsächlich den Weg zu Entscheidungsträger:innen finden? Das ist eine offene Frage, mit der viele das Summit verließen. Es geht also auch weiterhin darum, zu verbessern, wann Jugendliche in diese Prozesse eingebunden werden. Es kann nicht sein, dass dies erst bei einer Konferenz selbst geschieht, sondern muss schon in der Vorbereitung essenziell sein. Das ist auch etwas, was wir für unseren Jugendbeirat als noch immer gültige Erfahrung mitnehmen, da das auch hier in Deutschland oft ein Hindernis für wirklich bedeutungsvolle Jugendpartizipation ist. Genau wie dieser junge Herr, möchte auch ich das offener und kritischer ansprechen.
Andere Eindrücke haben insbesondere mit der Kultur vor Ort zu tun. Viele Arten miteinander zu reden, waren für mich ungewohnt. Politischen Kontakt habe ich als viel direkter und viel persönlicher erlebt. Die Jugendlichen, die ich getroffen habe, handelten alle aus persönlicher Erfahrung und stellten diese mit einem Selbstbewusstsein in politische Räume, welches in Deutschland polarisieren würde. Sie stellten damit Machtverhältnisse und Hierarchien offen in Frage und schufen eine Grundstimmung, die sehr mitreißend war.
Auch blieb es nicht nur bei dieser Grundstimmung. Diskussionen und Argumente waren oft sehr viel praxisnäher, als es häufig bei uns im Globalen Norden und anderen Konferenzen dieser Art der Fall ist - etwas, worauf auch ich in meiner politischen Arbeit mehr achten möchte und muss. Die Aktivist:innen dort zeigten: Es ist möglich.
Als queere Person beim Summit
Ein Punkt, der mich persönlich leider in meiner Art an dem Event teilzunehmen einschränkte sind die queer-feindlichen Gesetze in Sambia selbst. Ich bin eine Nicht-Binäre Person, die nicht heterosexuell ist. In Ländern wie Südsomalia, Somaliland, Mauretanien, Nordnigeria und seit Neuestem auch Uganda steht für Homosexualität die Todesstrafe. Insgesamt kriminalisieren 33 Länder Homosexualität, welche oft als ein Überbegriff für viele LGBTQI+ -Identitäten genutzt wird. In Sambia ist „nur“ gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr illegal, unter Sodomie eingestuft. Doch gewaltvolle Übergriffe auf andere Identitäten sind häufig, gesellschaftlich fundamentalistisch verankert und werden von einigen Politiker:innen und religiösen Gruppen unterstützt. Aktivismus für LGBTQI+ Rechte ist nicht erlaubt. Demnach bin ich, de facto, illegal in einer Konferenz gewesen, in der auch ich meine politischen Forderungen teilen sollte und wollte, dabei aber einen Großteil geheim halten musste. Natürlich war uns dies vorher bekannt und wurde aktiv von dem Plan Jugend-Team angesprochen, um zu erarbeiten, wie wir ein Gleichgewicht zwischen meiner Identität und der Außenwirkung halten könnten. Wir einigten uns, dass ich offiziell mein bei der Geburt zugeordnetes Geschlecht, Pronomen und Namen nutzen würde und wir regelmäßig abgleichen würden, welchen Einfluss das hat. Und auch ich entschied mich aus Sicherheitsgründen und der sehr realen Möglichkeit, Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt zu werden, ebenfalls mehr feminines Make-up zu tragen und sogar von meinem ebenfalls Nicht-Binären Partner in der maskulinen Form zu reden. Ich benutzte nicht meine Pronomen für deren Akzeptanz ich doch so lange schon kämpfte. Wir entschieden uns, bei unserem Event die Pronomen der Moderator:innen in unsere Präsentation zu stellen. Dies ist etwas, was mir normalerweise sehr wichtig ist, um zu normalisieren, dass Pronomen nicht unbedingt mit unserem Eindruck von Menschen übereinstimmen und ein ganz normaler Teil von Vorstellungen sein können. Doch hier fühlte es sich bitter an, ein Zeichen für Gleichberechtigung zeigen zu wollen und gleichzeitig meine eigene Identität und Pronomen verstecken zu müssen, da diese eben noch nicht erreicht wurde. Es war eine sehr bizarre Erfahrung, zu wissen, dass ein paar Worte meine Sicherheit so gefährden könnten, obwohl die Akzeptanz meiner Transidentität in anderen Wegen mein Leben gerettet hat.
Ich fühle mit allen Aktivist:innen für LGBTQI+ Rechte in allen Ländern, aber besonders solchen, wo ihre Existenz selbst illegal ist. Ich fühle mit allen Angehörigen von queeren Menschen. Mehr als alles jedoch fühle ich mich bestärkt, wie wichtig Aufklärung und Aktivismus in diesem Bereich international ist.
Fazit
Insgesamt nehme ich viele, sehr gemischte, aber auch kraftvolle Eindrücke von der Konferenz mit. Obwohl meine Fähigkeit, wirklich ich selbst zu sein, eingeschränkt war, hat mich Vieles tief berührt und inspiriert. Das Summit war eine einzigartige Möglichkeit zu sehen, wie Jugend-Aktivismus in Afrika funktioniert, welche Barrieren es gibt und wie diese durchbrochen werden können. Es hat den Wunsch bestärkt, uns auch als Jugendbeirat noch mehr international zu vernetzen und einander durch Veranstaltungen wie diese zu unterstützen.
Zum Nachlesen: