Etwa zwei Millionen Mädchen und Frauen sind weltweit jedes Jahr von weiblicher Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation/Female Genital Cutting, kurz FGM/C) betroffen. Die meisten leben in Afrika und im Mittleren Osten. Der westafrikanische Staat Mali gehört zu den Ländern mit der höchsten Rate, acht von zehn Mädchen und Frauen sind hier beschnitten. So auch Aminata. Sie ist 48 Jahre alt, Mutter von zehn Kindern – und sie ist Beschneiderin. Seit fast 30 Jahren. Eine Aufgabe, die vor ihr schon ihre Mutter und Großmutter ausübten, das Wissen wurde über Generationen weitergetragen. „Meine Mutter war eine Ballo, unsere Familie gehört zu den Schmieden“, erzählt die 48-Jährige. „Die Tradition schreibt vor, dass dies die Familien sind, die weibliche Beschneidung durchführen.“ An den Tag, an dem sie selbst beschnitten wurde, kann sich Aminata kaum erinnern. Zwölf, vielleicht 13 Jahre sei sie damals alt gewesen. Heute, so sagt sie, sind die Mädchen, die zu ihr gebracht werden, sehr viel jünger.
„Ist ein Mädchen nicht beschnitten, wird es in vielen Gesellschaften, die auf patriarchalischen Strukturen beruhen, als unrein angesehen“, erklärt Fadumo Korn, Vorsitzende von NALA e.V., im Plan Post-Interview. Sie hat die Praxis am eigenen Leib erfahren, die Infektion, die im Zusammenhang mit dem Eingriff auftrat, nur knapp überlebt. „Beschneidung wird ausschließlich unter Frauen ausgemacht. Sie tragen diesen Brauch von Generation zu Generation. Männer kriegen quasi das Endprodukt. Sie wissen nicht genau, was passiert – darüber wird nicht gesprochen.“ Es sei ein brutaler Vertrauensbruch, der entsteht, wenn eine Mutter ihre Tochter festhält und ihre Hilferufe ignoriert. „Dennoch sage ich immer: Meine Mutter hat es aus Liebe gemacht. Ohne diese Beschneidung hätte ich in meiner damaligen Gesellschaft keinen Platz gehabt.“
Auch Aminata hielt, als Assistentin ihrer Mutter, viele Mädchen während des Eingriffs fest. Das erste Mal mit 15 Jahren. Fünf Jahre später führte sie erstmals selbst eine Beschneidung durch. Weibliche Genitalverstümmelung umfasst alle Eingriffe, die an den weiblichen Genitalien aus kulturellen Gründen vorgenommen werden, ohne einen medizinischen Zweck zu erfüllen. Dazu gehören alle Praktiken, die die teilweise oder vollständige Entfernung der weiblichen äußeren Genitalien zum Ziel haben.
„Ich benutze nie ein Anästhetikum, niemand, der Beschneidungen durchführt, tut das.“
Aminata platziert zwei flache Klingen auf ihrer Handfläche, die sie aus einer lilafarbenen Samttasche gezogen hat. „Dies sind die Messer, die ich früher benutzt habe“, sagt sie. „Ich habe sie von meiner Mutter, auch sie benutzte sie.“ Damals wurden bis zu 20 Mädchen aus einem Dorf mit derselben Klinge beschnitten, eines nach dem anderen. Heute nimmt Aminata Einweg-Rasierklingen, aus hygienischen Gründen. „Ich benutze nie ein Anästhetikum, niemand, der Beschneidungen durchführt, tut das“, sagt Aminata. Sie schneide den äußeren, überstehenden Teil der Klitoris gemeinsam mit den Teilen der Vulvalippen weg, die die Klitoris bedecken. Die Vulvalippen zusammengenäht (FGM Typ 3, auch Infibulation genannt; siehe Grafik) habe sie noch nie, sagt sie.
Am Rocksaum der 48-Jährigen hängt eine schwarze Plastiktüte. „In dieser bewahre ich ein Pulver auf, das traditionell auf die Wunden aufgetragen wird. Es stoppt die Blutung und verhindert Entzündungen“, erklärt sie. Hergestellt wird es aus verkohlten, gemahlenen Blättern. „Nach der Beschneidung blutet die Wunde sehr stark, ich verabreiche dann das traditionelle Schwarzpulver. Wenn das nicht reicht, holt jemand Schmerzmittel in der örtlichen Apotheke“, so die 48-Jährige. Sie habe nie erlebt, dass ein Kind in Ohnmacht gefallen sei.
Die Verbreitung, das Ausmaß und die kulturelle Bedeutung von weiblicher Genitalbeschneidung unterscheiden sich von Land zu Land erheblich. Aber: Alle Formen sind irreversibel und sowohl unmittelbar als auch langfristig mit seelischen und körperlichen Schädigungen verbunden. Neben akuten Komplikationen wie Blutverlust, Kollaps, Infektionen und Schmerzen sind schwere Schädigungen der reproduktiven und sexuellen Organe, die erhöhte Gefahr einer HIV-Infektion, vermindertes sexuelles Empfinden und psychische Störungen als Langzeitfolgen bekannt. In manchen Fällen kann der Eingriff zum Tod führen.
Für Aminata ist es nur ein Job, für viele Mädchen hat eine Beschneidung jedoch schwerwiegende Folgen. Wenige sprechen darüber. Sanaba ist heute 24 Jahre alt, sie kann sich noch genau daran erinnern, wie sie beschnitten wurde.
„Ich hatte furchtbare Schmerzen, und es hat sehr stark geblutet“
„Es geschah, als ich zehn Jahre alt war. Ich hatte furchtbare Schmerzen, und es hat sehr stark geblutet”, erzählt sie. Die Beschneiderin nutzte keine Einweg-Rasierklingen, sondern tat es mit einem traditionellen Messer. Doch Sanaba hatte großes Glück. Heute hat sie vier Kinder und es traten keine Probleme bei den Geburten auf.
Die Mädchen, die mit ihr beschnitten worden waren, hatten jedoch mit ernsthaften Spätfolgen zu kämpfen. Sanaba: „Viele zogen sich schlimme Infektionen zu, andere haben heute noch wulstige Narben. Ein Mädchen starb sogar. Es wurde danach aber einfach nicht mehr darüber gesprochen.“
Die Mädchen, die Aminata beschneidet, sind mit den Jahren immer jünger geworden, heute sind sie selten älter als sechs Jahre. Aminata vermutet: „Die Eltern befürchten, dass, wenn sie es später machen, sich die Mädchen dagegen zur Wehr setzen.“ Doch auch das Bewusstsein der Eltern für die negativen Auswirkungen weiblicher Genitalbeschneidung steigt, dank kontinuierlicher Aufklärungsarbeit.
Fadumo Korn von NALA e.V. sagt: „Bildung als Prävention ist der Schlüssel. Wenn wir es nicht schaffen, dass in den Köpfen ein Umdenken stattfindet, werden wir Beschneidung nicht beenden können. Mit Verboten kommen wir nicht weit.“ Plan International ist seit vielen Jaren in Ägypten, Äthiopien, Burkina Faso, Guinea, Guinea-Bissau, Mali und Sierra Leone gegen FGM/C aktiv. Um nachhaltige Erfolge zu erzielen, wird das Thema in zahlreichen Projekten integriert. Das Ziel ist es, die Menschen davon zu überzeuen, sich von der Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung abzukehren. Es werden etwa Aufklärungsveranstaltungen durchgeführt oder auch Lobbyarbeit auf politischer Ebene betrieben. „Unser Ansatz ist es, die Menschen nicht zu zwingen, sondern sie zu überzeugen und ihnen Alternativen anzubieten - zum Beispiel durch alternative Initiationsriten, also Zeremonien, bei denen die Mädchen nicht beschnitten werden. Aber auch finanzielle Alternativen. Wir sorgen dafür, dass Beschneiderinnen auf andere Weise ein eigenes Einkommen erwerben können.“
Aminata hat sich entschieden, ihren Beruf nicht an ihre Töchter weiterzugeben. Sie sagt: „Je mehr Menschen über weibliche Genitalbeschneidung sprechen, umso deutlicher bemerke ich, dass Beschneidungen weniger nachgefragt werden.“