Von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt. Durch Kolumbien, Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras und Guatemala. Tausende geflüchtete Menschen sind hier täglich auf dem Weg; das Ziel vor Augen: die Grenze zwischen Mexiko und den USA. Wenn das Geld reicht, nehmen sie den Bus, doch einen großen Teil der Strecke legen sie zu Fuß zurück – oftmals ohne ausreichend zu Essen und zu Trinken. Mit ständigen Gefahren wie sexueller Gewalt, Menschenhandel, Überfälle oder Erpressung, stellt die Reise für viele eine Tortur dar.
Jeden Tag kommen laut der UN zwischen 3.000 und 6.000 Migrant:innen in Mexiko an. Auf der Flucht vor bewaffneten Gruppen und Gewalt in ihren Herkunftsländern hoffen sie hier auf ein besseres Leben. Dabei führt der Weg häufig durch den Darién Gap zwischen Kolumbien und Panama, eines der gefährlichsten Dschungelgebiete der Welt. Allein im Jahr 2023 nahmen eine halbe Million Migrant:innen die Strecke durch den Darién-Dschungel auf sich. Das ist die höchste jemals verzeichnete Zahl und mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr, so das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR).
In Mexiko angekommen, erscheint die Aussicht, nach monatelanger Reise endlich in die USA zu gelangen, zum Greifen nah. Jetzt gilt es noch diese letzte Grenze zu überqueren. Aber für viele fängt dort, so kurz vor den Vereinigten Staaten, ein unsicherer Schwebezustand an. So auch für das junge Paar Lucas* and Delia*, Adrianas* Familie und Dariana* und ihren kleinen Sohn. Sie alle kommen aus Venezuela, sind zwischen 18 und 29 Jahre alt und haben sich – unabhängig voneinander – auf den Weg Richtung Mexiko begeben. Nun stehen sie an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze – und hoffen auf das Beste.
In der Hoffnung, ihrem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen, verlässt Dariana ihre Heimat, durchquert mit ihm etliche Länder in Mittelamerika und hierbei auch den Darién-Dschungel in Panama. „Zweieinhalb Tage lang bin ich durch den Dschungel gelaufen, wo es gefährliche Flüsse und wilde Tiere gab“, erzählt Dariana. „Und ich habe Tote gesehen. Das alles war sehr große Herausforderung.“
„Das alles war sehr große Herausforderung.“
„Wir versprachen uns, dass wir nicht mitten im Dschungel sterben würden.“
Auch für Lucas war der Darién Gap ein schreckliches Erlebnis. Der 24-Jährige hatte Venezuela wegen der wirtschaftlichen und politischen Lage verlassen. Das Gehalt war nicht ausreichend, Inflation und Korruption von Seiten der Regierung machten ein normales Leben kaum möglich. Sein Ausweg führte ihn und Delia daher auch durch den Dschungel. „Man läuft und läuft und läuft und weiß nicht, wann es endet. Und schon nach dem ersten Tag hatten wir kein Essen mehr“, erinnert er sich. „Wir versprachen uns, dass wir nicht mitten im Dschungel sterben würden.“
Wer diesen gefährlichen Abschnitt der Route hinter sich lässt, hat noch ein weites Stück vor sich, bevor die letzte Grenze in Sicht ist. In Mexiko durchquert Dariana mit ihrem Sohn und ihrem Cousin das Land auf Zugdächern. Trotz des Risikos hinunterzufallen und ohne Schutz vor extremen Wetterlagen nutzt sie wie zahlreiche andere Menschen auf der Flucht „the Beast“, ein Netz von Güterzügen, um in den Norden Mexikos zu gelangen. Wie gefährlich dieses Transportmittel ist, sieht Dariana mit eigenen Augen: „Mein Cousin verlor bei einem Zugunfall sein Bein, ich musste allein mit meinem Baby weiterreisen.“
„Wir haben fünf Nächte und vier Tage auf den Zügen verbracht, unter der Sonne, ohne Wasser und hungrig.“
Auch Lucas' und Delias Weg führt auf Zugdächern durch Mexiko. „Die Zugfahrt durch Mexiko war der schwierigste Teil unserer Reise“, erinnert sich Delia. Fünfmal holte die Polizei sie vom Zug und jagte sie in die umliegenden Maisfelder. „Wir haben fünf Nächte und vier Tage auf den Zügen verbracht, unter der Sonne, ohne Wasser und hungrig. Als wir ankamen, waren wir dehydriert.“
Aber auch das Reisen im Zug ist nicht sicher. Auf ihrer Flucht erlebt die 29-jährige Adriana einen gewaltsamen Überfall: An einer Haltestelle steigen vermummte und bewaffnete Männer ein, wollen die Passagiere zwingen, auszusteigen. „Einige Familien stiegen aus, aber die meisten blieben. Alles, was ich tat, war, mein Baby festzuhalten und zu beten“, berichtet Adriana. Schon zuvor hatte man ihr auf der Flucht ihre Kleidung und Dokumente gestohlen.
Nicht nur die Routen von ähneln sich, auch die Schwierigkeiten und Gefahren, Sorgen und Ängste, die sie umgehen oder durchleben müssen, teilen Lucas, Delia, Adriana und Dariana. Nun befinden sie sich alle am gleichen Ort: Ciudad Juárez, an der nördlichen Grenze Mexikos.
Hier wartet nicht die ersehnte Sicherheit. Vielmehr drängt sich die Frage auf: Wie kann ich in die USA einreisen? Auch Dariana muss sich entscheiden: Versucht sie, illegal über die Grenze zu kommen oder stellt sie sich den komplizierten Verfahren der Behörden, um Asyl zu beantragen? Ohne Geld und ohne Zugang zu Informationen schweben viele in Ungewissheit. Hinzu kommen komplexe Asylanträge und langwierige Prozesse. Wer seine Dokumente verloren hat – oder wem sie gestohlen wurden –, den erwarten noch größere Hürden ohne Garantie auf genehmigtes Asyl.
„Ich bin etwas verzweifelt, weil ich kein Telefon oder sonst etwas habe.“
„Ich habe gehört, dass sie Mütter mit Babys in die USA einreisen lassen, aber andere Leute sagen, dass das nicht stimmt, also weiß ich nicht, wie wahr das ist. Ich bin etwas verzweifelt, weil ich kein Telefon oder sonst etwas habe. Ich weiß nicht, was ich tun soll“, erzählt Dariana.
Adriana macht sich Sorgen, ob sie überhaupt legal einreisen kann, weil sie im Darién ausgeraubt wurde und die Papiere ihrer Tochter gestohlen wurden. „Ich möchte legal in die Vereinigten Staaten einreisen, vor allem für die Mädchen, weil sie sich am Maschendraht schneiden und verletzen könnten“, überlegt sie. „Wenn wir illegal einreisen, werden wir aber vielleicht abgeschoben.“
An der Grenze zu den USA versucht Plan International Migrant:innen mit dem Wichtigsten auszustatten: Lebensmittel und Medikamente. Die humanitäre Hilfe umfasst hier aber noch mehr: Geflüchtete Menschen und ihre Familien, die von Gewalt betroffen sind, finden hier in Ciudad Juárez psychosoziale Unterstützung und Hilfsangebote wie Schulungen zur Gewaltprävention. Insbesondere Mädchen, Jugendliche und Frauen sind in diesen Fluchtsituationen am stärksten betroffen, erklärt Dirk Glas aus dem mexikanischen Büro von Plan International.
Gemeinsam mit anderen Organisationen koordiniert Plan International Warnungen für die Grenzgebiete, überwacht die aktuelle Lage und steht im Kontakt mit den lokalen Behörden und den humanitären Länderteams, um rechtzeitig reagieren können. Auch die lokalen Gemeinden in Mexiko werden eingebunden: Die Initiative „Embrace Your Community“ stärkt die Solidarität mit und Sensibilisierung für die Situation der geflüchteten Menschen.
„Wir wollen das Beste für unsere Kinder. Wir wollen nicht, dass sie das durchmachen, was wir durchgemacht haben.“
So individuell die Lebenswege auch sind, so hoffen hier im Norden Mexikos doch alle auf eine bessere Zukunft – vor allem für ihre Kinder. „Wir wollen das Beste für unsere Kinder. Wir wollen nicht, dass sie das durchmachen, was wir durchgemacht haben“, Adriana denkt dabei an alles, was diese Kinder auf der Flucht schon erleben mussten. Für ihren Cousin Arturo* war die Entscheidung zu fliehen nicht leicht: „Niemand will sein Land verlassen. Wir wollen nicht weg, aber wir wollen, dass es unseren Kindern besser geht als uns.“
Die Geschichten von Dariana*, Adriana*, Lucas* und Delia* wurden mit Material aus dem Plan-Büro in Mexiko aufgeschrieben.
*Namen zum Schutz der Identität geändert