Die majestätischen Berge des Himalaja-Gebirges schirmen Nepal nach Norden ab. Im Süden erstreckt sich im Terai-Tiefland die insgesamt 1.758 Kilometer lange Grenze zu Indien. Sie ist für die lokale Bevölkerung in beide Richtungen leicht passierbar – und Schauplatz für Menschenhändler.
Als Kabita 19 Jahre alt ist, wird sie von einem Arbeitsvermittler aus ihrer Region dazu verleitet, ihr Zuhause zu verlassen. In der Annahme, einen gut bezahlten Job zu bekommen, reist sie in das südliche Nachbarland. Dort wird sie zusammen mit einer Gruppe anderer junger Frauen aus Nepal, die ebenfalls dorthin verschleppt worden sind, gefangen gehalten.
Die Frauen dürfen nur eine Mahlzeit pro Tag zu sich nehmen und werden gemeinsam in einem kleinen Raum festgehalten, den sie nicht verlassen können. „Wenn wir die Leute fragten, warum wir dort seien, sagten sie immer, sie hätten uns gekauft und würden uns zum Arbeiten ins Ausland schicken“, erinnert sich Kabita.
„Die Leute sagten, sie hätten uns gekauft.“
Durch eine zufällige Gelegenheit können die Frauen ihren Entführern entkommen, bevor sie weiter ausgebeutet werden – und sie machen sich auf den Weg zurück nach Nepal. Zu Hause angekommen, erstattet Kabita Anzeige bei der Polizei und erhält von dem Agenten, der sie nach Indien gelockt hatte, immerhin etwas Geld zurück.
Der asiatisch-pazifische Raum, einschließlich Indien und Nepal, gilt als ein Hotspot für den internationalen Menschenhandel. Die verbreitete Armut führt dazu, dass sich in vielen Ländern der Region vor allem Mädchen und junge Frauen auf dubiose Jobangebote einlassen, um ihre Familien zu unterstützen.
Einer der Hauptgründe für die hohe Zahl im Bereich Kinder- und Menschenhandel ist das mangelnde Bewusstsein der Mädchen und Jungen, ihrer Eltern sowie der Gemeinden für die Folgen. Viele glauben den Versprechungen von vermeintlichen Arbeitsvermittlern nach Einkommen und neuen Chancen. 35.000 Menschen teilen laut nepalesischer Menschenrechtskommission jährlich dieses Schicksal, doch die Dunkelziffer liegt doppelt so hoch.
Kinder werden häufig sowohl innerhalb Nepals von ländlichen in städtische Gebiete als auch über die offene Grenze zum Arbeiten ins Nachbarland gelockt oder verschleppt. Für die Einreise in das Nachbarland benötigen sie weder Pass noch Visum. Das nutzen Menschenhändler aus, und vor allem Minderjährige erleben fern ihrer Heimat Ausbeutung sowie geringe oder gar keine Entlohnung. Mädchen enden sogar in der Prostitution.
Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt, so steht es im Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen. Er gibt Aufschluss über den Entwicklungsstand eines Landes, zum Beispiel in den Bereichen Bildung oder Lebenserwartung. Nepal rangiert beim HDI auf Platz 143 von 191, Indien auf Platz 132 und Deutschland auf Platz 9.
Unbeeindruckt von ihrer traumatischen Erfahrung und in der Hoffnung, in einem anderen Land Arbeit zu finden, entschied sich Kabita, in einen der Golfstaaten zu gehen – kehrte aber nach zwei entbehrungsreichen Jahren wieder nach Hause zurück. „Ich arbeitete als Hausangestellte, aber ich wurde unwürdig behandelt und musste Tag und Nacht arbeiten“, erzählt die heute 29-Jährige. „Während meines Aufenthalts im Ausland habe ich das größte Leid gesehen. Als ich einmal für einen Urlaub nach Nepal zurückkehrte, fragte ich mich, ob es hier besser für mich sein würde.“
„Während meines Aufenthalts im Ausland habe ich das größte Leid gesehen.“
Nach ihrer Rückkehr erhielt Kabita Unterstützung durch Plan International. Die Hilfsorganisation setzt sich seit Jahren in Nepal erfolgreich für die Beendigung des Kinder- und Menschenhandels ein. Da die Suche nach Arbeit im Ausland oft mit finanziellem Druck zu Hause zusammenhängt, bietet das Projekt Überlebenden des Menschenhandels und gefährdeten jungen Menschen eine Ausbildung an, damit sie gefragte berufliche Fähigkeiten erwerben und Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern knüpfen können.
„Ich befand mich in einer Depression, als ich über meine beruflichen Aussichten nachdachte. Dann erhielt ich Hilfe von Plan International, um einen Lebensmittelladen zu eröffnen. Die Unterstützung, die ich erhielt, war entscheidend für die Expansion meines Geschäfts“, sagt Kabita. Es sei eine Art Wendepunkt in ihrem Leben gewesen. Ihr Lebensmittelladen existiert nun schon vier Jahre und bietet ihr ein stabiles Einkommen. Kabita hat sich in ihrer Gemeinde als angesehene Unternehmerin etabliert.
Marc Tornow hat Nepal seit 1994 mehrfach bereist, dort gearbeitet und Kabitas Geschichte mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.