Als Ram Kumari einer Vereinigung für Eltern und Lehrkräfte an der Schule ihrer Tochter beitritt, hat sie keine Ahnung, was dieser Schritt für einen Unterschied machen würde. Ram Kumaris Mitwirken an der sogenannten „Parent Teacher Association“ (PTA) verändert seit 2019 nicht nur ihr Leben, sondern auch den Alltag in ihrem Dorf. „Am Anfang war ich mir über meine Rolle in der PTA nicht bewusst“, erinnert sich die heute 41-Jährige. „Ich folgte einfach der Einweisung – ohne zu verstehen, was damit vor sich ging.“
In einem abgelegenen Teil des Bezirks Bardiya im Westen von Nepal hatte Ram Kumari schon länger die Herausforderungen bei der lokalen Schulbildung erkannt: Viele Eltern in ihrer Gemeinde legten keinen besonderen Wert auf Bildung. Die einen zeigten sich am Unterricht ihrer Töchter und Söhne desinteressiert, die andere dachten, ihre Verantwortung sei beendet, sobald sie ihre Kinder eingeschult hatten. Dementsprechend wussten viele Familien auch nicht, welche Bedeutung gute Bildung für die berufliche Zukunft ihrer Kinder ausmacht.
„Viele Eltern konzentrierten sich auf Noten, vernachlässigten aber wichtige Aspekte wie kritisches Denken und Kreativität ihrer Kinder.“
„Viele Eltern konzentrierten sich ausschließlich auf Noten und Zeugnisse, vernachlässigten dabei aber andere wichtige Aspekte wie Lebenskompetenz, kritisches Denken und Kreativität ihrer Kinder“, erzählt Ram Kumari. Diese verengte Sichtweise auf gute Bildung schränkte unbeabsichtigt die künftigen Fähigkeiten der Schulkinder ein, deren Zukunftschancen in einer sich schnell verändernden Welt schwanden.
Ram Kumaris Schule ist Teil des Projekts „Child, Not Bride“ – „Kind, nicht Braut“ – von Plan International. Im Rahmen des Vorhabens nahmen und nehmen die Mitglieder des PTA-Elternbeirats an Trainings teil. So werden interaktiv Kapazitäten zum Thema positive Elternschaft, Lehren und Lernen außerhalb der Schule sowie Maßnahmen für den Kinderschutz aufgebaut. Die Gemeinde liegt in bergigem Terrain und dort bestehen Risiken für Naturkatastrophen, etwa durch Überschwemmungen oder Erdrutsche – auch das sowie geeignete Schutzmaßnahmen sind Thema im PTA.
„Das ist ein entscheidender Schritt, um eine Bildungsgrundlage für die Zukunft unserer Kinder zu schaffen.“
Die Trainings der PTA-Kräfte und ihr praktisches Mitwirken verbesserten auch Ram Kumaris Fähigkeiten. Die zweifache Mutter lernte schnell dazu – und wurde 2022 einstimmig zur PTA-Vorsitzenden im Dorf gewählt. So koordiniert die engagierte Elternrätin unter anderem die Zusammenarbeit mit dem Schulverwaltungsausschuss und sensibilisiert für die Gefahren von Kinder-, Früh- und Zwangsheirat. Letztere wurden im Rahmen des Projekts als ein Hauptfaktor dafür identifiziert, dass viele Mädchen und junge Frauen die Schule abbrechen.
„Ich glaube, dass die aktive Beteiligung des Elternbeirats der Grundstein für eine qualitativ hochwertige Bildung ist und Eltern, Lehrkräfte und die ganze Gemeinde für den Erfolg der Kinder zusammenbringt“, sagt Ram Kumari. Sie ermutigt andere Eltern aus ihrem Dorf, ebenfalls an den PTA-Treffen teilzunehmen – und mit ihren Kindern über Bildungschancen sowie Zukunftsperspektiven zu sprechen. „Das ist ein entscheidender Schritt, um eine stärkere, unterstützende Bildungsgrundlage für die Zukunft unserer Kinder zu schaffen.“
Unter der Leitung von Ram Kumari entwickelte der PTA-Elternbeirat einen jährlichen Plan zur Durchführung von Aufklärungsveranstaltungen für Eltern und Gemeindemitglieder. Die Veranstaltungen klären über die positive Bedeutung von Bildung – insbesondere von Mädchen – sowie die schädlichen Auswirkungen von Kinderheirat auf. Der Plan umfasste zudem Tür-zu-Tür-Besuche, um an Ort und Stelle eine maximale Reichweite und Wirkung zu erzielen.
„Die Stärkung unserer Gemeinschaft beginnt mit Bildung und Aufklärung.“
„Die Stärkung unserer Gemeinschaft beginnt mit Bildung und Aufklärung“, zeigt sich Ram Kumari überzeugt. „Gemeinsam können wir den Kreislauf der Kinderheirat durchbrechen und eine bessere Zukunft für unsere Mädchen sicherstellen. Jetzt arbeite ich aktiv mit den Lehrkräften zusammen, um akute Schulprobleme anzusprechen und das Lernen der Kinder zu verbessern. Ich berate mich auch mit ihnen über die Fortschritte meiner eigenen Tochter und suche nach Möglichkeiten, ihre Bildung zu fördern“, sagt Ram Kumari.
Im Rahmen des Plan-Projekts werden die beteiligten Personen auch über sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte für junge Menschen informiert. Außerdem wurde das örtliche Gesundheitszentrum hinsichtlich der Bedürfnisse von Menstruierenden reparierte; an der Schule konnte ein Zugang zu sauberem Trinkwasser mit Handwaschgelegenheiten sowie nach Geschlechtern getrennte Toiletten geschaffen werden – allesamt Maßnahmen, die zu einer besseren Lernumgebung für und -erfolg der Kinder beitragen. „Informiert zu sein und sich zu engagieren hat in unserer Schulgemeinschaft einen positiven Unterschied gemacht“, sagt Ram Kumari mit Stolz.
Marc Tornow hat Nepal seit 1994 mehrfach bereist, dort gearbeitet und die Geschichte von Ram Kumari mit Material aus dem örtlichen Plan-Büro aufgeschrieben.