Shefalis* Hände sind noch immer mit dem traditionellen Henna verziert, mit dem eine Braut in Bangladesch vor ihrer Trauung bemalt wird. „Meine Hochzeit liegt jetzt einen Monat zurück“, sagt die 14-Jährige. „Ich wollte eigentlich weiter zur Schule gehen und später studieren, aber die Umstände ließen es nicht zu.“
Als Bangladesch im März 2020 erstmals eine Ausgangssperre verhängte, um die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen, wurden auch Schulen und Betriebe geschlossen. „Mein Vater besitzt einen Tee-Stand in Dhaka, wo wir wohnen. Er verdiente gerade genug, um unsere vierköpfige Familie zu ernähren, aber wegen der Pandemie verlor er sein Einkommen.“
„Ich merkte, dass meine Ausbildung zu einer finanziellen Belastung für meine Familie wurde.“
Der dreimonatige Lockdown führte im Land innerhalb kürzester Zeit zu einem Anstieg der Armut: Viele Menschen verloren ihre Arbeit oder verdienten deutlich weniger. „Die Pandemie hat unsere Familie sehr hart getroffen. Wir hatten kein Einkommen, aber unsere Ausgaben hörten nicht auf. Ich merkte, dass meine Ausbildung zu einer finanziellen Belastung für meine Familie wurde.“
Wenn Familien gezwungen sind, sich auf ihr Überleben zu konzentrieren, sind es meist die heranwachsenden Mädchen, die die Auswirkungen als erste zu spüren bekommen : Bildung von Mädchen wird von vielen Familien in Bangladesch häufig als Luxus und nicht als Notwendigkeit angesehen. Schulgebühren, Bücher, Stifte und Schuluniformen kosten Geld, das in finanziellen Notlagen für andere Zwecke genutzt wird. Mädchen werden dann oft aus der Schule genommen, um im Haushalt zu unterstützen, sich um die jüngeren Geschwister zu kümmern – oder verheiratet zu werden.
„Die Regierung hat zwar ein digitales Lernsystem eingeführt, aber auch das Online-Lernen ist für Menschen wie mich nicht zugänglich. Wir haben keinen Computer oder Smartphones im Haus. Ich durfte auch nicht zu meiner Freundin gehen, um mit ihr gemeinsam zu lernen. Wie sollte ich da meine Schulbildung fortsetzen?“, fragt Shefali.
„Wir haben keinen Computer oder Smartphones im Haus. Wie sollte ich da meine Schulbildung fortsetzen?“
Einige Monate nach Beginn der Pandemie begann Shefalis Familie, nach einem geeigneten Ehemann für sie zu suchen. „Ich wusste, dass es keinen anderen Weg gab“, sagt die 14-Jährige. In ihrem Gesicht spiegelt sich Enttäuschung darüber, in welche Richtung sich ihr Leben entwickelt hat.
„Auch mein Bruder musste seine Schulbildung eine Zeit lang pausieren. Er hatte auch nichts zu tun, aber meine Eltern hatten für ihn andere Pläne als für mich. Sie gingen davon aus, dass er wieder zur Schule geht, sobald die Dinge wieder normal laufen. Bis dahin verdiente er Geld für die Familie mit. Ich hingegen wurde darauf vorbereitet, meine neuen Schwiegereltern kennenzulernen.“
Schulschließungen, Unterbrechungen des Versorgungssystems, ungeplante Schwangerschaften, wirtschaftliche Probleme und die Bedrohung durch die Pandemie setzen weltweit Mädchen dem Risiko einer Kinderheirat aus. Trotz erheblicher Fortschritte in den letzten Jahren, hat Bangladesch die fünfthöchste Rate an Kinderehen der Welt. Seit Beginn der Corona-Pandemie steigen die Zahlen – ein Trend, der die Träume von Mädchen wie Shefali zunichtemacht.
„Die Regierung und andere Organisationen wenden sich an uns, um uns finanziell bei der Bewältigung der Krise zu unterstützen“, erklärt Shefali „Aber die Probleme sind tiefer verwurzelt als nur Geld allein. Es geht um meine Zukunft. Die Bildung von Mädchen wird einfach nicht als Notwendigkeit angesehen. Ich musste meine Pläne aufgeben, weil die Armut und die kulturellen Überzeugungen stärker gewichtet werden. Wann immer es eine Krise oder ein Problem gibt, ist es klar, dass die Rechte und Wünsche von Mädchen hintenangestellt werden.“
„Wann immer es eine Krise oder ein Problem gibt, ist es klar, dass die Rechte und Wünsche von Mädchen hintenangestellt werden.“
Plan International setzt sich dafür ein, dass Mädchen einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung haben. Bei unserer Arbeit klären wir darüber auf, welche Vorteile eine Gesellschaft hat, die in Mädchen investiert: Wenn Mädchen Zugang zu Bildung haben und sie darin gestärkt werden, ihre Interessen zu vertreten und für ihre Rechte einzustehen, gestalten sie eine bessere Zukunft für sich selbst und alle um sie herum.
Auch Shefali setzt Hoffnung in die Zukunft: „Ich weiß, dass eines Tages Mädchen in der Lage sein werden, gesellschaftliche Normen infrage zu stellen, für ihr Recht auf Bildung zu kämpfen und ihre Träume zu verwirklichen.“
* Shefalis Name wurde zum Schutz ihrer Identität geändert. Ihre Geschichte wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Bangladesch erstellt.