Eine Ziegenfarm in Nepal, südlich der Hauptstadt Kathmandu. Die neugierigen Tiere knabbern an Grashalmen, trotten sorglos umher unter der Aufsicht von Mala*. Ihr gehört die Farm im Makwanpur-Distrikt, wo sie und ihre Tochter mittlerweile unabhängig leben können. Lange Zeit war das undenkbar, denn die heute 39-Jährigen war weit von Freiheit entfernt.
„Ich wurde in ein Zimmer gesperrt und zu Sexarbeit gezwungen.“
Die Nepalesin ist 16 Jahre alt, als sie nach Indien verschleppt und an ein Bordell in Mumbai im Westen Indiens verkauft wird. „Ich wurde in ein Zimmer gesperrt und zu Sexarbeit gezwungen. Ich durfte nicht mit meiner Familie sprechen. Ich lebte das schlimmste Leben“, erzählt Mala. Zwei Jahre lang zwingt man sie zu Sex – mit mehreren Männern täglich. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich zunehmend, nicht nur physisch, auch psychisch leidet sie. „Für mich war es Folter“, berichtet sie.
Ihre erste Rettung sind ihre Schwester und ihr Schwager. Die beiden können die gerade mal 18-Jährige aus dem Bordell befreien und nehmen sie bei sich auf, in der riesigen Hafenmetropole am Arabischen Meer. Für die nächsten sieben Jahre arbeitet Mala als Zimmermädchen in Hotels und verdient sich so ihren Lebensunterhalt in Mumbai (Foto ganz oben). Doch auch dort ist sie nicht sicher: Hotelbesitzer und -mitarbeiter missbrauchen sie sexuell.
In der Hoffnung, der ständigen Gefahr zu entkommen, willigt sie in eine Heirat ein. Der Mann ist Inder, ansonsten weiß Mala nicht viel über ihn. Nach der Hochzeit hält er sie in einem Zimmer eingesperrt, weigert sich, sie seiner Familie und seinen Freunden vorzustellen. „Wir hatten keine Heiratsurkunde. Nach drei Jahren ‚Ehe‘ brachte ich meine Tochter zur Welt. Erst nach ihrer Geburt erfuhr ich, dass er bereits verheiratet war und eine Familie in einem Dorf hat“, erinnert sich Mala.
Das Leben für Mutter und Tochter ist nur schwer erträglich, sie können das Haus nicht verlassen. Mala erfährt einen psychischen Zusammenbruch, der sie von nun an teilweise lähmt. „Nach diesem Vorfall kehrte mein Mann nicht mehr nach Hause zurück und ließ mich und unsere Tochter allein zurück, ohne die Möglichkeit, zu überleben“, erklärt sie.
Ohne Zukunft in Mumbai, verlassen Mutter und Tochter schließlich die Großstadt und treten mithilfe von Nachbar:innen die Reise Richtung Nepal an. Weit über 1.000 Kilometer sind es bis zur nordindischen Stadt Gorakhpur nahe der nepalesischen Grenze. Mithilfe einer Plan-Partnerorganisation in Nepal, die sich für Opfer und Überlebende von Menschenhandel einsetzt, kann Mala ihren jüngeren Bruder in ihrer Heimat wiedersehen. Sie zieht zu ihm in den Bezirk Makwanpur, südlich der Hauptstadt Kathmandu.
„Mein Mann ließ mich und unsere Tochter allein zurück, ohne die Möglichkeit, zu überleben.“
Ihr gesamtes Erwachsenleben hat Mala bis dahin in Indien verbracht, einen nepalesischen Ausweis besitzt sie daher nicht. Zudem fehlt ihr ein Behindertenausweis, der ihre körperliche Einschränkung bestätigt, und auch ihre Tochter hat keine Geburtsurkunde, da sie bei ihrer Geburt im Nachbarland nicht registriert worden ist. Doch ohne einen Geburtsnachweis droht sie, der Schule verwiesen zu werden. Malas Arbeit in einer Teppichgarnherstellung bringt wenig ein, sie und ihre Tochter sind auf die Unterstützung ihres Bruders angewiesen.
Dann kommt Mala in Kontakt mit der „Rural Awareness and Development Organisation“ (RADO), einer Partnerorganisation von Plan International. Das Kooperationsprojekt unterstützt die alleinerziehende Mutter mit Lebensmitteln, Geld, und hilft ihr bei den bürokratischen Herausforderungen mit den Behörden. Die administrativen Prozesse sind mühsam und langwierig aber letztlich erfolgreich.
„Ich kann jetzt mit meiner Staatsbürgerschaftsurkunde ein Bankkonto eröffnen, und dank meines Behindertenausweises erhalte ich jeden Monat eine Beihilfe von 2.100 nepalesischen Rupien (etwa 15 Euro)“, erkärt Mala.
„Ich kann jetzt ein Konto eröffnen, und dank meines Behindertenausweises erhalte ich jeden Monat eine Beihilfe.“
Die Idee mit der Ziegenfarm nimmt wenig später Form an, durch ein Programm für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Unterstützung. Mala lernt, wie landwirtschaftliche Betriebe funktionieren und wie sie selbst einen solchen gründen kann. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Unter Anleitung des Projektteams entwickelt sie einen Geschäftsplan und erhält 40.000 nepalesische Rupien (280 Euro) als Startkapital.
Mit 14 Ziegen leben Mala und ihre Tochter nun auf dem Land. Sie sind glücklich hier, und die Mutter ist stolz, ihre Tochter allein aufzuziehen. Endlich eine eigene Einkommensquelle zu haben – das gibt ihr Selbstvertrauen und stimmt sie optimistisch für die Zukunft ihrer Tochter.
Rund 2.000 Straßenkilometer entfernt von dem Ort, an dem die beiden ihre schlimmsten Jahre erlebt haben, kann Mala aufatmen: „Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich sicher“, sagt sie.
*Namen zum Schutz der Person anonymisiert.
Malas Geschichte wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Nepal erstellt.