Das Virus an sich mag vielleicht nicht diskriminieren. Aber die Gesellschaft tut es – derzeit unter dem Einfluss von Corona sogar noch mehr.
Die Corona-Krise hat die meisten Chancen, die Großstädte für Mädchen und junge Frauen bieten, schlagartig zunichte gemacht: Der Zugang zu Bildung, die Chance auf Jobs und ein eigenes Einkommen, die Bewegungsfreiheit sind durch den Lockdown in vielen Ländern nicht mehr vorhanden.
Andererseits ist das Leben in der Großstadt für Mädchen und junge Frauen auch ohne eine solche Krise eine Herausforderung, besonders in Slums wie Mathare in Nairobi, Kenia: Die Gassen sind oft eng, es mangelt an Strom und ausreichend Beleuchtung in der Nacht, einer Kanalisation, viele Wohnungen haben kein fließend Wasser. Teilnehmerinnen unserer „Safer Cities“-Projekte haben uns berichtet, dass der Weg zu den öffentlichen Toiletten nach Einbruch der Dunkelheit für sie oftmals zu gefährlich ist.
Berichte wie dieser sind Ergebnisse der sogenannten Safety-Walks. Dabei laufen jugendliche Mädchen und Frauen durch ihre Städte und dokumentieren schriftlich und mit Kameras Orte, an denen sie sich nicht sicher fühlen. Die Dokumentation wird dann den Stadträten oder der Polizei präsentiert, zusammen mit Vorschlägen, wie die Situation gebessert werden kann.
Außerdem gründen die Teilnehmerinnen Gruppen, in denen sie sich austauschen können über Ängste und Bewältigungsstrategien. Eine weitere Maßnahme ist die Zusammenarbeit mit Betreibern und Fahrern von öffentlichen Verkehrsmitteln. Denn besonders dort kommt es häufig zu sexueller Belästigung und Übergriffen. Die Mädchen und jungen Frauen erarbeiten Handlungsempfehlungen zur Prävention, aber auch, wie ihnen die anderen Verkehrsteilnehmer in solchen Situationen zur Seite stehen können.
„Für mich steht die Sicherheit von Mädchen an erster Stelle.“
Der 33-jährige Cosmas ist Vater von zwei Töchtern und von Beruf Boda-Boda-Fahrer in Mathare. Er ist einer von vielen Motorrad-Taxi-Fahrern, die im Rahmen des Projekts Safer Cities: Sichere Städte für Mädchen von Plan International weitergebildet wurden.
Jetzt sorgt er dafür, dass alle Mädchen während der COVID-19 Krise über die Risiken bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln Bescheid wissen. „Für mich steht die Sicherheit von Mädchen an erster Stelle, vor Geld. Hier draußen ist es für Mädchen potenziell gefährlich. Viele junge Männer sind gelangweilt und frustriert und stellen eine Bedrohung für sie dar“, sagt Cosmas. „Ich habe als Projektteilnehmer Maßnahmen kennengelernt, wie man Mädchen vor sexueller Belästigung und Vergewaltigung schützt, und wie man dafür sorgt, dass es für sie nicht gefährlich ist, wenn sie öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Ich sehe es als meine Aufgabe an, die Mädchen, mit denen ich zu tun habe, zu beraten, wie sie sich schützen können und welche Wege sie vermeiden sollten.“
Wie im Rest der Welt belastet auch Kenia die Auswirkungen von COVID-19 die Wirtschaft und verschlechtern die Lebensbedingungen der Bevölkerung erheblich. Viele Familien, die in Slums leben, haben durch die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus‘ ihr Einkommen verloren. „Eine meiner größten Sorgen ist es, dass einige Haushalte es sich nicht einmal leisten können, Essen auf den Tisch zu bringen, geschweige denn Gesichtsmasken oder Desinfektionsmittel zu kaufen“, sagt Cosmas. In Mathare herrscht seit längerer Zeit Wassermangel, sodass es sehr umständlich ist, sich die Hände zu waschen und die Hygienestandards einzuhalten.
„Armut ist eine Last, und ohne das richtige Wissen und eine Perspektive beginnen manche Familien, sich untereinander die Schuld für das Unglück zu geben, das ihnen widerfährt.“
Darüber hinaus ist geschlechtsspezifische Gewalt ein Grund für ernste Besorgnis, stellt Cosmas fest. „Paare verbringen während dieser Pandemie im Vergleich zu vorher viel mehr Zeit miteinander, und damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen und Auseinandersetzungen. Armut ist eine Last, und ohne das richtige Wissen und eine Perspektive beginnen manche Familien, sich untereinander die Schuld für das Unglück zu geben, das ihnen widerfährt.“
Die oft sehr kleinen Behausungen bieten nicht genug Platz, dass sich alle Mitglieder des Haushalts den ganzen Tag dort aufhalten. Männer können den so entstehenden Stress noch häufiger als sonst an den Frauen und Mädchen auslassen, dies führt zu einem Anstieg häuslicher Gewalt.
Zugleich können Opfer von Gewalt schlechter Hilfe und Unterstützung finden, wenn sie ihre Häuser nicht verlassen dürfen und die medizinischen Einrichtungen, aber auch die Polizei, durch die Krise überlastet sind. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Übergriffe angezeigt werden, noch einmal: Frauen und Mädchen können nicht unbemerkt den eigenen Haushalt verlassen und zur Polizei gehen.
Informelle Arbeitsverhältnisse oder Tages-Jobs fallen weg, das potenziert die finanziellen Sorgen – zudem haben viele Menschen schlagartig nichts mehr zu tun. In der Folge steigt das Risiko, dass Mädchen und Frauen Gewalt widerfährt – im Haus und auf der Straße oder im öffentlichen Nahverkehr.
Die Stadt zu einem besseren Lebensraum für Mädchen und junge Frauen zu machen, kann nicht allein in ihrer Verantwortung liegen. Sie brauchen junge Männer wie Cosmas, die es als ihre Aufgabe ansehen, Mädchen und Frauen zu unterstützen und für ihre Sicherheit zu sorgen – unter normalen Umständen, aber noch viel mehr jetzt in der Corona-Krise.
Damit Mädchen und junge Frauen diese Unterstützung erhalten, ist es so wichtig, dass wir in unseren Projekten mit Jungen und Männern arbeiten. Wir schulen sie, damit sie zu Fürsprechern für die Rechte von Mädchen und Frauen werden. Die Trainings von Busfahrern oder Boda-Boda-Fahrern wie Cosmas sind ein wichtiger Bestandteil unserer Projektarbeit, um die Städte für Mädchen sicherer zu machen.