Das öffentliche Stöhnen, das zur Schau gestellte Unverständnis und die harsche Kritik – all das sind eingespielte Rituale, wenn es gilt, einen Haushalt aufzustellen. Es hat noch nie Jubelstürme gegeben, wenn eine Bundesregierung ihre Vorstellungen von der künftigen Finanzplanung veröffentlicht hat. Natürlich nicht. Nüchtern betrachtet ist Politik nichts anderes als die Verteilung von Geld. Wir alle haben unterschiedliche Vorstellungen von Politik. Politiker:innen sowieso, aber auch Verbände, Vereine, Arbeitnehmer:innen, Unternehmer:innen, Arme, Reiche, Mittelstand. Weil wir alle verschiedene Interessen haben, ist es ausgeschlossen, dass beim Verteilen von Steuergeld alle gleichermaßen zufrieden sind.
Was es aber geben muss, ist ein Grundkonsens darüber, dass der Staat seine Aufgaben weiterhin erfüllt. Diesen Konsens hat die Bundesregierung mit ihrem Haushaltsentwurf nun aufgekündigt. Im kommenden Jahr sollen nach ihrer Vorstellung 2,13 Milliarden Euro weniger für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe ausgegeben werden als in diesem. Sollte dies Realität werden, bedeutete das eine beispiellose Kürzung um fast 30 Prozent innerhalb dieser Legislaturperiode. Eine besonders einseitige Verteilung der Lasten. Denn insgesamt würde der Haushalt im gleichen Zeitraum um etwa 16 Prozent sinken.
„Im kommenden Jahr sollen 2,13 Milliarden Euro weniger für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe ausgegeben werden als in diesem.“
Das alles ist abstraktes Zahlenwerk. Machen wir es konkret: Allein in der Humanitären Hilfe sollen im kommenden Jahr 1,2 Milliarden Euro eingespart werden – ein Minus von mehr als 50 Prozent! Mit diesem Geld könnte man beispielsweise die 1,3 Millionen Rohingya, die aus Myanmar in die Nachbarländer geflohen sind, fast sieben Jahre mit Essen versorgen. Mit 1,2 Milliarden Euro könnte man etwa drei Millionen Familienzelte kaufen – ein lebenswichtiger Schutz für Geflüchtete.
Das alles soll stattfinden in einer Zeit, in der das internationale Hilfesystem ohnehin schon am Kollabieren ist. Ein Beispiel: Im Westen Äthiopiens streicht das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in einem Geflüchtetencamp aus Kostengründen die Lebensmittelversorgung zusammen: von 12,5 Kilogramm Getreide, Linsen, Öl und Salz pro Person und Monat fallen fünf Kilogramm weg – minus 40 Prozent! Man stelle sich das für den eigenen Wocheneinkauf vor.
„Wie in jeder Krise trifft es die Kinder als erste und am heftigsten.“
Jede Unterkunft, die nicht gebaut wird, jede Mahlzeit, die nicht gekocht wird, hat direkte Auswirkungen auf die betroffenen Menschen. Wie in jeder Krise trifft es die Kinder als erste und am heftigsten. Ganz besonders betroffen sind Mädchen und junge Frauen. Denn Krisen verstärken Ungleichheiten. Die Folge: Unterernährung, Kinderarbeit, sexuelle Ausbeutung, Frühverheiratungen, Teenagerschwangerschaften, Flucht über lebensgefährliche Routen. Auf diese Weise haben die Kürzungen auch Auswirkungen auf den Zustand der Welt. Diese werden die internationale Gemeinschaft teuer zu stehen kommen.
Es ist völlig klar, dass Geld nur einmal ausgegeben werden kann. Deutschland steht vor großen Herausforderungen in einer Welt, die immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint: Klima, Energie, Migration, Wirtschaft, Inflation, innere und äußere Sicherheit, die Sozialsysteme. All das gilt es zu bewältigen. Aber man kann nicht das eine tun, ohne das andere zu lassen. Am Ende hängen die Politikfelder zusammen. Deutschland als eine der größten Industrienationen der Welt muss seiner Verantwortung auch international gerecht werden.
Und was macht die Bundesregierung? Sie degradiert die Humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit zu vermeintlichen Luxusgütern für bessere Zeiten. Die geplanten Extrem-Kürzungen aber treffen die verwundbarsten Menschen der Welt. Allein: Sie sind nicht im Regierungsviertel Berlins zu finden. Sie sind dennoch da. Werden die Kürzungspläne Wirklichkeit, gefährden sie das Leben vieler dieser Menschen.
„Die Bundesregierung degradiert die Humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit zu vermeintlichen Luxusgütern für bessere Zeiten.“