Deutschlands Entwicklungs- und Außenpolitik wird feministisch

Foto: Plan International

Plan International hat im Kontakt mit Ministerien sowie in Netzwerken an der Erstellung der aktuellen Strategie mitgewirkt. Unsere Expertin für Entwicklungspolitik ordnet die neuen Leitlinien in Berlin ein.

Am 1. März traten Außenministerin Annalena Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze gemeinsam vor die Presse, um ihre feministische Strategie vorzustellen. Vorher hatte das Bundeskabinett die Grundsätze für eine Außen- und Entwicklungspolitik gebilligt, die stärker an den Rechten und Bedürfnissen von Frauen und Mädchen ausgerichtet ist. Am Nachmittag lud Außenministerin Baerbock Politiker:innen, Presse und die Zivilgesellschaft zum offiziellen Launch der „Leitlinien für Feministische Außenpolitik“ ins Auswärtige Amt. Auch Plan International war anwesend, denn wir hatten sowohl im direkten Kontakt mit den Ministerien als auch in unterschiedlichen Netzwerken in den vergangenen Monaten an der Erstellung der Strategien mitgewirkt.

Zwei Frauen stehen vor einer Bühne und lächeln in die Kamera.
Plan-Mitarbeiterin Katharina Kuesters und Lilli aus dem Jugendbeirat waren bei der Pressekonferenz vor Ort Plan International

Feministische Außen- und Entwicklungspolitik – Was ist das? 

Eine feministische Außenpolitik stellt Menschen statt Staaten in den Mittelpunkt ihres Handelns. Ihr liegt die Analyse zugrunde, dass wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Macht weltweit ungleich verteilt ist, daher fragt sie zuerst nach Machtstrukturen und strebt strukturelle und hierarchische Veränderungen an. Sie geht davon aus, dass Geschlechtergerechtigkeit sowie die Gleichstellung aller Menschen die Basis für eine friedliche und sichere Welt sind. Sie will die Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen sowie marginalisierten Gruppen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern – all das in der Überzeugung, dass feministische Werte essenziell sind für eine bessere Welt.

Frauen und Mädchen sind mit 50 Prozent der Weltbevölkerung die größte benachteiligte Gruppe. Als solche werden sie diskriminiert und sind in besonderem Maße Risiken ausgesetzt, während ihre Perspektiven aber weniger beachtet werden. Dabei ist es erwiesen, dass auch andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen davon profitieren, wenn Frauen an Macht teilhaben.

Was bisher geschah – Plans Engagement 

Plan International hatte bereits mit einer Kampagne zum Wahljahr 2021 eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik gefordert. Es war für uns die logische Schlussfolgerung aus unserer Arbeit. Denn wie sollen sonst Kinder – insbesondere Mädchen – geschützt und gefördert werden, wenn sie nicht einbezogen sind? Wie will man den Teufelskreis von Gewalt, Unterdrückung und ungewollten Schwangerschaften durchbrechen, wenn Frauen und Mädchen nicht über ihre Körper entscheiden können? Wie soll inklusiv gearbeitet und die gesamte Gesellschaft unterstützt werden, wenn Frauen und marginalisierte Gruppen keine Führungsrolle übernehmen können? Wie will man effiziente Projekte durchführen, wenn nicht überprüft wird, welche Bedarfe die Betroffenen haben und welche Auswirkungen auf unterschiedliche Altersgruppen und Geschlechter erwartet werden?

Die Antwort ist immer dieselbe: das geht nicht. Es ist nicht möglich, für mehr Sicherheit und Frieden zu sorgen, wenn diese Probleme nicht gelöst werden. Das erkannte auch die neu gewählte Bundesregierung und bekannte sich 2021 im Koalitionsvertrag zu einer „Feminist Foreign Policy“, um die Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit zu stärken und gesellschaftliche Diversität zu fördern.

In den darauffolgenden Monaten begannen sowohl das Außen- als auch das Entwicklungsministerium Prozesse, um neue Strategien zu entwickeln. Hier konnte sich auch Plan International aktiv einbringen. Elementar war dabei aus unserer Sicht eine Beteiligung von Jugendvertreter:innen und jungen Aktivist:innen an dem Diskurs, damit auch die Perspektiven von jungen Menschen Einzug findet. Nun haben beide Ministerien mit der Veröffentlichung ihrer Strategien am 1. März einen weiteren wichtigen Schritt getan. 

Warum wir als Kinderrechtsorganisation eine feministische Politik fordern

Kinder sind von Krisen und Katastrophen besonders hart betroffen. Gleichzeitig werden ihre Stimmen am wenigsten gehört. Eine feministische Politik hört auf die Stimmen der Betroffen, nicht die der Mächtigen. Sie macht die Strukturen, die Ungleichheit erzeugen, sichtbar und eröffnet neue Wege für außenpolitisches Handeln zugunsten des Wohlergehens von Mädchen und jungen Frauen. Das bedeutet, grundlegende Fragen zur Verteilung von Ressourcen und Macht aufzuwerfen und mit Mädchen und Frauen in ihrer ganzen Vielfalt zusammenzuarbeiten, um weltweit Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. 

Herausforderungen bei der Umsetzung

So simpel und nachvollziehbar sich das anhören mag, so schwer ist dies in der Realität umzusetzen. Denn sowohl die Ministerien als auch die Akteure der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit befinden sich nicht in einem Machtvakuum. Wer Machtstrukturen in der Außenpolitik in Frage stellt und in anderen Ländern für bestimmte Werte einsteht, muss sich gleichermaßen fragen, ob man diesen Werten selbst gerecht wird. Dieser neue Ansatz wirft viele Fragen auf, weil nun neue Strukturen geschaffen werden müssen, um diejenigen zu integrieren, die vorher nicht mit am Tisch saßen. 

So ist es nur konsequent, dass die Leitlinien vorgeben, stärker zu prüfen, inwiefern mit von deutschen Steuergeldern finanzierte Projekte überhaupt ihre Auswirkungen auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen berücksichtigen. Es werden zusätzlich auch die eigenen internen Machtstrukturen hinterfragt. In den Leitlinien des Auswärtigen Amts ist zu lesen, dass Beschäftigte mit Behinderung, Alleinerzziehende und Belange von LSBTIQ* (Lesben, Schwule, bisexuelle, trans, intersex und queere Menschen) noch nicht angemessen berücksichtigt sind. Es gehört zur Ehrlichkeit einer feministischen Außenpolitik dazu, sich selbst infrage zu stellen.

Auf der Bühne sitzen sieben Menschen auf Stühlen und unterhalten sich miteinander.
Vertreter:innen verschiedener Organisationen diskutieren die Bedeutung einer feministischen Außenpolitik für Menschen in Krisensituationen. Plan International

Das Unbehagen im Zusammenhang mit Feminismus

Als wesentlicher Akteur bei der humanitären Hilfe und der Entwicklungspolitik ist Plan International Teil eines Sektors, für den dies ebenfalls gilt. So wohlwollend Projekte in der Vergangenheit auch gemeint waren, so muss sich der Sektor auch die Frage gefallen lassen, ob diese Arbeit mitunter paternalistisch oder gar getragen von kolonialistischem Gedankengut sei. Wir wissen, dass unsere Hilfe dann wirkt, wenn diejenigen, die von ihr profitieren sollen, auch direkt eingebunden werden. Ein autoritärer Stil kann dies nicht erreichen. Er dient denjenigen, die durch diese vormundschaftliche Beziehung zwischen ihnen als Gebern einerseits und den von ihnen bedachten Menschen andererseits Kontrolle ausüben und eigene Ziele bedienen.

Außenministerin Annalena Baerbock sprach beim Launch der Feministischen Leitlinien am Nachmittag des 1. März an, wie überrascht sie war, welch ein Auslöser „dieses kleine Wort feministisch“ sei, welches Unbehagen es bei manchen hervorruft. Genau hier dürfte das Unbehagen entstehen: Eine Feministischen Politik fordert von allen Akteur:innen ein Hinterfragen des Status Quo.

Plans Auftrag für die Zukunft

Es ist unser Bestreben, dass Mädchen und Jungen weltweit die gleichen Rechte und Chancen haben und ihre Zukunft aktiv gestalten. In mehr als 75 Ländern arbeiten wir Hand in Hand mit Kindern, Jugendlichen, Unterstützenden und Partnern jeden Geschlechts, um unsere globalen Ziele zu erreichen.

Es ist ein Meilenstein und Bestätigung unserer Arbeit, dass teils sperrige Forderungen nach sogenanntem Gender Mainstreaming, Partizipation und Gender Budgeting ihren Weg in die hohe Politik gefunden haben. In den nächsten Monaten wird es unsere Aufgabe sein, die Perspektive der Kinder und Jugendlichen aus unseren Projekten in der deutschen Außenpolitik weiter zu verankern.

Kampagne des Jugendberaits

Der Plan-Jugendbeirat widmet sich seit einiger Zeit in seiner aktuellen Kampagne der Bedeutung einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik. Mehr über die Hintergründe, Motivation und Arbeitsweise des Jugendbeirats können sie auf deren Webseite nachlesen.

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