„Eines Nachts schliefen wir zu Hause, als eine Explosion ein Fenster in unserem Schlafzimmer kaputt machte. Wir hatten große Angst und saßen die ganze Nacht zusammen im Flur. Die ganze Wohnung hat gewackelt“, erzählt Polina (10), die gemeinsam mit ihrer elfjährigen Schwester Nadia aus ihrer Heimatstadt Mykolaiv im Süden der Ukraine fliehen musste. Die Region, die nahe an der Krim liegt, wurde von Februar bis März 2022 belagert und ist seitdem von heftigen Kämpfen und weitreichender Zerstörung betroffen.
Nach dieser schrecklichen Nacht beschlossen die Eltern der Mädchen, ihre Sachen ins Auto zu packen und die Stadt zu verlassen. „Wir sind den ganzen Tag durchgefahren. Eine Nacht mussten wir im Auto schlafen, aber schließlich kamen wir hier an“, erinnert sich Polina an die Ankunft der Familie in Winnyzja, einer Region im Westen der Ukraine, nahe der Grenze zu Moldawien. Sie leben jetzt in einem Zentrum für intern vertriebene Menschen, welches früher mal ein Sanatorium war und heute Erwachsene und Kinder aus der ganzen Ukraine beherbergt.
„Wir kamen im März hierher, mit unserer Mutter, unserer Großmutter, unserem Großvater und unserem Onkel“, erklärt Polina. Sie mag die Ruhe der ländlichen Umgebung, in der sich das Zentrum befindet: „Die Natur ist wunderschön, wie dort, wo meine Großmutter auf dem Land lebt. In meiner Freizeit spiele ich mit meinem Handy, male Bilder und bastele. Mein Lieblingsfach in der Schule ist Informatik. Ich kann gut mit Technik umgehen und möchte später mal mit Computern und IT arbeiten.“
Nadia ist nicht so begeistert von ihrem neuen Zuhause wie ihre Schwester: „Mir gefällt es hier nicht, ich habe Heimweh. Ich versuche, mich abzulenken, indem ich zeichne. Wenn ich groß bin, möchte ich Künstlerin werden.“
„Ich habe Heimweh. Ich versuche, mich abzulenken, indem ich zeichne.“
An der Wand in einem der Räume des Zentrums hängt eine Zeichnung von Polina und Nadia, die auf einer Geschichte basiert, die ihnen von Freiwilligen vorgelesen wurde. Sie handelt von einer Katze, die wie sie auf der Flucht war. Die Katze lebt jetzt in einer Höhle zusammen mit anderen Katzen. Polina erzählt, dass sie für jede der Katzen ein Bett gezeichnet habe, damit sie alle einen Platz zum Schlafen hätten, aber es gäbe auch einen gemeinsamen Ort, an dem die Katzen versuchten, ihr neues Leben zu organisieren.
„Die Herzen um die Höhle herum zeigen, dass sie Ruhe und Frieden gefunden haben. Diese Herzen bewachen die Katzen auch und schützen sie vor dem Bösen um sie herum“, erklärt Polina. In dem kleinen Haus auf dem Bild rechts von der Höhle bewahrt Polina ihre Gefühle über das Erlebte auf. Die verschiedenen Gesichter rund um das Haus stehen für die Emotionen, die sie während ihrer Reise in die Sicherheit empfunden hat.
Plan International arbeitet mit Partnerorganisationen in der Ukraine zusammen, um Kinder und ihre Familien, insbesondere in abgelegenen ländlichen Gebieten, mit Bargeld und Gutscheinen, Nahrungsmitteln, Decken, Winterkleidung, Heizgeräten und Brennstoffen zu unterstützen. Darüber hinaus gibt es Angebote zur psychosozialen Unterstützung, damit die Kinder das Erlebte besser verarbeiten können.
Plan unterstützt auch die Sanierung und den Wiederaufbau von Schulen, damit die Kinder so schnell wie möglich wieder in die Klassen gehen können. „Im Moment haben wir Online-Unterricht, aber ich vermisse meine Schule und meine Freundinnen sehr. Mit einigen von ihnen stehen wir noch in Kontakt, mit anderen nicht mehr“, sagt Nadia.
Kommunikation aufrecht zu erhalten ist ein wichtiges Instrument, um Kindern, die von Konflikten betroffen sind, zu helfen, mit der Angst, Frustration und Hilflosigkeit umzugehen, die sie möglicherweise empfinden. Daher werden in den Projekten Eltern ermutigt, zuzuhören und für Gespräche zur Verfügung zu stehen, ihren Kindern zu versichern, dass sie in Sicherheit sind, und sie wissen zu lassen, dass es in Ordnung ist, traurig, besorgt oder verängstigt zu sein.
Polina will zu ihrem alten Leben zurück, zu ihrer Schule und ihren Freund:innen. „Wir sind schon seit der ersten Klasse befreundet. Diese Erfahrungen haben meine Einstellung komplett geändert. Ich weiß jetzt mehr zu schätzen, was ich habe, aber mein Traum ist es, bald nach Hause zu gehen.“
„Mein Traum ist es, bald nach Hause zu gehen.“