(Inhaltswarnung: Sexueller Übergriff/Vergewaltigung)
„Komm“, sagte der Mann zur 11-jährigen Lucy, „ich habe frisch gebackene Mandazis (traditionelles Fettgebäck, Anm. d. Red.) hier drüben. Du musst nur mit mir kommen.“ Obwohl sie wusste, dass sie direkt nach Hause gehen sollte – so wie sie es ihrer Mutter versprochen hatte – ging Lucy mit dem Mann mit. Der Hunger war zu groß. Außerdem liebte sie die knusprigen, frittierten Kuchen und der Mann, der sie ihr anbot, war ein Vertrauter: ihr Stiefvater.
Damals lebte Lucy mit ihrer Mutter und fünf Geschwistern in einem kleinen Dorf im Osten Kenias. Sie war auf dem Weg, Brennholz zu sammeln, als ihr Stiefvater sie rief. Als das Mädchen den Mandazi nahm, stieß ihr Stiefvater sie zu Boden und zog sie hinter einen Busch. Sie schrie – er drohte, sie zu töten. An mehr erinnert sich Lucy nicht.
Ein Nachbar, der die Schreie der 11-Jährigen hörte, fand die beiden und stoppte den Angriff. Lucys Mutter ging sofort zur Polizei, doch ihr Mann war bereits fortgerannt und wurde nie gefunden.
„Ich tue so, als wäre es nie passiert“
Vier Jahre ist es her, dass Lucy vergewaltigt wurde. Viele Operationen musste das Mädchen seitdem über sich ergehen lassen: Sie hatte schwere Verletzungen im Bauchraum. Ihr Stiefvater steckte sie außerdem mit HIV an.
Heute lebt die siebenköpfige Familie in einem kleinen Zimmer in Kibera. An manchen Tagen steht Essen auf dem Tisch, an anderen müssen die Kinder mit einer Mahlzeit am Tag auskommen, die sie in der Schule erhalten. Lucy ist in der siebten Klasse. Sie ist fest entschlossen, die Schule mit guten Noten abzuschließen. Niemand in ihrer Klasse weiß, was mit ihr geschah an dem Tag, an dem ihr Stiefvater ihr Mandazis angeboten hat. „Dann kann ich so tun, als wäre es nie passiert“, sagt sie.
*Name zum Schutz der Identität geändert