Auf rund 2800 Meter Höhe liegt Ecuadors Hauptstadt Quito, die zweitgrößte Stadt des lateinamerikanischen Landes und Startpunkt unserer gemeinsamen Projektreise mit Künstlerin und Aktivistin Enissa Amani und ihrem Content-Assistenten Marcel. Plan International ist bereits seit 1963 in Ecuador tätig. Dort konzentriert sich unsere Projektarbeit vorrangig auf die Unterstützung indigener Bevölkerungsgruppen in ländlichen Gebieten sowie auf von Armut betroffene Familien in den Slums der Großstädte.
Wir verbringen zwei Tage in der Hauptstadt, bevor es am frühen Montagmorgen in einem Van zu unserem ersten Stopp geht: in die Provinz Cotopaxi. Namensgeber der Provinz ist der zweitgrößte Berg Ecuadors und einer der höchsten aktiven Vulkane der Welt. Begleitet werden wir an allen fünf Projektreisetagen von Andrea Durango, Kommunikationsleiterin von Plan Ecuador, Paula Carrion, Social Media Referentin bei Plan Ecuador, sowie Ivette Lopez, Spanisch-Englisch Dolmetscherin.
Wir erreichen die kleine Gemeinde in Cotopaxi, bestehend aus etwa 130 indigenen Familien, bei strahlendem Sonnenschein. Eine Gruppe Jugendlicher, die nicht nur an Plan-Projekten an ihrer Schule, sondern auch an dem Projekt „Movimiento Por Ser Niña" (MPSN, auf Deutsch: Mädchen-Bewegung) teilnehmen, begrüßt uns vor dem Gemeinschaftshaus. Heydi (20), Dora (18), Jennifer (20) und Pauli (18) engagieren sich bereits seit einiger Zeit für MPSN, eine globale Bewegung, die seit 2018 von Plan International gefördert wird. Heute haben sie einen Workshop für die Jugendlichen der Gemeinde über Geschlechterrollen, veraltete Normen, Gleichberechtigung und Intersektionalität vorbereitet. Ein Teil der jugendlichen Teilnehmer:innen nahm anschließend unter Anleitung der vier eine Radiosequenz über Gendernormen für ihre eigene wöchentliche Radioshow bei Radio Cotopaxi auf.
Später am Tag besuchen wir den Radiosender, mit dem Plan Ecuador zusammenarbeitet. Dort trifft Enissa auf einen ecuadorianischen Aktivisten und gibt den jungen Frauen von MPSN ein Live-Interview.
Zuvor geht es jedoch in das Innovation-Lab der Schule der Gemeinde. Dort erfahren vorrangig die älteren Schüler:innen, wie sie Lebensmittel aus der Gemeinde verarbeiten und daraus Produkte herstellen, um sie an die Gemeindemitglieder zu verkaufen. Schritt für Schritt lernen die Jugendlichen die Verarbeitungsprozesse der einzelnen Produkte kennen: Von Fruchtjoghurt, über Avena Polaca (ein regionales Milchgetränk mit Hafer und Vanille) zu frittierten Schweinehaut-Chips – alles verarbeiten sie selbst.
Der zweite Tag startet früh. Von der Kleinstadt Latacunga fahren wir etwa zwei Stunden zu einer weit abgelegenen kleinen Gemeinde in den Hochanden. Die langen Schotterstraßen führen an Feldern und Hügeln vorbei, über denen ein dicker Nebel hängt. In indigenen Gemeinden sagt man, dass Nebel ein Zeichen dafür ist, dass neue Menschen in Frieden und Freundschaft in ihre Gemeinschaft kommen werden. Die Menschen in der Gegend leben hauptsächlich von der Landwirtschaft. Sie bauen vor allem Chocho (Anden-Lupinen), Zwiebeln und Kartoffeln an. Hier in den Hochanden merkt man den Klimawandel besonders stark, da es aufgrund der Höhe sehr trocken ist und es bereits jetzt vermehrt zu Ernteausfällen kommt.
In der Gemeinde werden wir herzlich empfangen. Das Projekt, welches wir an diesem Tag besuchen, läuft in Kooperation mit dem ecuadorianischen Gesundheitsministerium, wird aber komplett durch Plan International finanziert. Vom Dorfplatz geht es zunächst in das Gemeindehaus, wo Anwältin Maricella Yánez von der Staatsanwaltschaft Cotopaxi einen Vortrag über physische und psychische Gewalt hält. Starker Alkoholkonsum, aber auch sehr traditionelle Rollenbilder in der Gemeinschaft sind Probleme, welche zu Gewalt gegen Frauen führen. In Lateinamerika nennt man diese Struktur den „Machismo“. Auch die Zahl der Femizide (Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts) ist in Ecuador hoch, sie werden aber selten geahndet – oft, weil Stillschweigen bewahrt wird. Aber nur wenn Vorfälle gemeldet werden, kann es Konsequenzen für die Täter geben. Maricella appelliert deshalb an die Frauen der Gemeinde, sich an sie zu wenden, sollte es zu Vorfällen kommen.
Um Betroffene niedrigschwellig zu unterstützen, hat Plan International sogenannte „Community Defense Agents“ geschult, an die man sich wenden kann, wenn man Gewalt jeglicher Art erfährt. Sie melden es an amtlicher Stelle oder treten mit Maricella in Kontakt. Einige der Frauen haben ein Telefon und Internetzugang, sodass sie schnell handeln können. Nach dem Mittagessen geht es weiter in ein Projekt in der Gemeinde zu reproduktiven Rechten. Hier wird Selbstbestimmung thematisiert und Kindern und Jugendlichen spielerisch beigebracht, wie wichtig es ist, Grenzen zu setzen. Auch sexuelle Aufklärung wird thematisiert, da Teenagerschwangerschaften ein ernstzunehmendes Problem sind.
Dies zeigt sich auch bei dem nächsten Ziel unserer Projektreise: Nach Cotopaxi besuchen wir die Provinzen Chimborazo und Bolivar. Die Zahl der Frühschwangerschaften sind in der Provinz Chimborazo sehr hoch. 318 Mädchen und junge Frauen zwischen 10 und 19 Jahren sind 2022 in Guamote schwanger geworden - meist gegen ihren Willen. Das hat neben psychischen auch ökonomischen Konsequenzen: Die Mädchen müssen die Schule abbrechen und verlieren ihr Ansehen in ihrer Gemeinde. In Zusammenarbeit mit den Mitgliedern von „Movimiento Por Ser Niña" wurde deswegen ein lokales Gesetz zur Prävention von Teenagerschwangerschaften in Chimborazo erarbeitet und im April 2023 erlassen – ein großer Erfolg für die lokale Gruppe von MPSN. Derzeit arbeiten sie an einem neuen Gesetzesentwurf zum Thema Mangelernährung. Denn auch dies ist ein reales Problem in der Provinz. In Chimborazo besuchen wir die Kommunalverwaltung in der Kleinstadt Guamote, wo wir José (21) treffen, der an dem Plan-Programm „Champions of Change“ teilgenommen hat und an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt war.
„Als Mann möchte ich andere anregen ihr Denken zu verändern und neue Männlichkeit vermitteln. Nur mit Bildung schaffen wir Veränderung", sagt er. José ist einer von vielen Teilnehmer:innen von MPSN, die an diesem Vormittag von ihrer Perspektive und Motivation berichten. MPSN hat durch die Unterstützung von Plan International mittlerweile an großem Einflussvermögen und politischer Mitsprache gewonnen – was eine außerordentliche Errungenschaft und Ansporn für viele weitere Initiativen ist.
Nach dem Besuch in der Kleinstadt geht es wieder raus aufs Land, um ein Entrepreneur-Projekt zur wirtschaftlichen Stärkung und Integration von Jugendlichen in den Hochanden zu besuchen. Die sehr abgelegene Gemeinde besteht aus 42 Familien. Sie leben von der Landwirtschaft und bauen vor allem Kartoffeln und Cebada (ein Getreide) an. Seit zwei Jahren werden die Teilnehmer:innen des Projekts, darunter viele Teenagerinnen, im Unternehmertum geschult. Sie wollen die Produktion von Cebada steigern und sich dadurch selbst und ihre Gemeinde finanziell absichern. Wir dürfen uns den gesamten Produktionsprozess ansehen von der Aussaat, über die Ernte bis hin zur Verarbeitung und der der Verkostung des fertigen Produktes. Im Rahmen des Projekts haben die Teilnehmer:innen gelernt, wie man Businesspläne erstellt und Fähigkeiten in den Bereichen Kommunikation, Produktion und Verkauf erworben. Aber auch die Steigerung des Selbstbewusstseins der Teilnehmer:innen ist ein wichtiges Ergebnis.
Die letzte Gemeinde, die wir gemeinsam besichtigten, liegt in knapp 4.000 Metern Höhe in Simiatug, Bolivar. Sie besteht aus rund 40 Familien, fast ausschließlich indigene. Plan International arbeitet dort schon 15 Jahre lang und hat zwei Projekte implementiert: Ein Sanitärprojekt und ein Projekt zur Prävention von chronischer Mangelernährung. Bestandteil von letzterem ist unter anderem ein monatliches Ernährungs-Training für stillende und werdende Mütter, in dem gezeigt wird, wie man nahrhaft und hygienisch aus lokalen Lebensmitteln kocht und wie man diese bestmöglich miteinander kombiniert, damit alle Nährstoffe abgedeckt sind und sich keine Bakterien bilden.
Kürzlich wurde zudem die Toilette der Schule im Rahmen des Sanitärprojektes renoviert. Es gibt einen Wasserspeicher auf dem Dach für die einzige Dusche des Dorfes, die extra für die Kinder gebaut wurde, damit sie nach dem Sportunterricht duschen können.
Im Anschluss dürfen wir noch einem besonderen indigenen Fest beiwohnen: dem Inti Raymi (deutsch: Sonnenfest). Normalerweise wird es am 21. Juni, dem Tag der Wintersonnenwende und dem Beginn der Erntezeit begangen. Da die Gemeinde uns gerne einen Eindruck von den Feierlichkeiten vermitteln möchte, feiern sie unseren Besuch gemeinsam mit uns im Stil des Inti Raymis.
Am Ende des Tages musizieren einige Männer der Gemeinde und es wird gemeinsam getanzt – ein ganz besonderer Abschluss unserer Projektreise. Leider konnte Enissa aus gesundheitlichen Gründen den Besuch bei einem weiteren Plan-Projekt nicht antreten. Wir trafen sie am Abend wieder, um die Projektreise mit ihr und unseren Kolleg:innen von Plan International Ecuador bei einem gemeinsamen Abendessen im lokalen Plan-Büro abzuschließen.