Die Große Mehrheit der Menstruierenden in Deutschland hat während der Periode mit körperlichen und psychischen Begleiterscheinungen zu kämpfen. 39 Prozent nehmen während der Blutung Schmerzmittel ein, um ihren Alltag zu bewältigen. Das Ergab eine repräsentative Befragung von Plan International, die im Vorfeld des Menstrual Hygiene Day am 28.05. (Weltmenstruationstag) veröffentlicht wurde. Ein weiteres Ergebnis dieser Befragung ist, dass nur knapp die Hälfte der Betroffenen wegen der Periodenbeschwerden medizinische Hilfe suchten. Jede Zweite von ihnen ist mit dem Ergebnis des Ärzt:innen-Besuchs nicht zufrieden, knapp jede Fünte fühlte sich mit ihrem Anliegen nicht ernst genommen.
Frau Prof. Dr. Mechsner, Sie leiten das Endometriose-Zentrum an der Charité in Berlin und beschäftigen sich intensiv mit Menstruationsschmerzen. Wie erklären Sie sich, dass so wenige Frauen ärztliche Hilfe suchen, obwohl eine große Mehrheit von Schmerzen betroffen ist?
Das hängt sicher mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung zusammen. Jungen Mädchen wird vermutlich oft von ihren Müttern oder Schwestern in Bezug auf dieses Thema vermittelt, dass Schmerzen oder andere Beschwerden zum Frausein dazugehören. Wenn es heißt: „Da musst du einfach durch“, dann rechnen Betroffene vielleicht gar nicht mehr damit, Hilfe finden zu können.
Dabei sind die Schmerzen und der Leidensdruck gerade bei Endometriose ja besonders groß.
Das Problem mit Endometriose ist, dass bis zur Diagnosestellung etwa zehn Jahre vergehen. Schätzungsweise zehn bis 15 Prozent der Frauen haben während ihrer reproduktiven Lebenszeit Endometriose. Ich habe kürzlich eine Frau operiert, die jetzt 36 Jahre alt ist. Sie hatte schon mindestens 20 Jahre Schmerzen. Es ist auch nicht so einfach, die Diagnose zu stellen, ob jemand noch „normale“ Menstruationsschmerzen hat oder ob diese schon pathologisch sind. Wir haben einen Antrag zur Früherkennung von Endometriose in Form eines Screening Programmes gestellt. Dazu mussten wir im Vorfeld erläutern, warum das nötig ist und haben Workshops mit niedergelassenen Frauenärzt:innen gemacht. Sie sind diejenigen, die im direkten Kontakt mit den Patientinnen sind. Warum also erkennen sie dieses gravierende Problem nicht? Meiner Meinung nach liegt die Ursache darin, dass sie im Schnitt nur zehn Minuten Zeit für ein Patientinnengespräch haben, wenn sie wirtschaftlich arbeiten wollen.
Und das reicht in den meisten Fällen nicht aus …
Nein, in einer so kurzen Zeit lässt sich nur schwer eine Diagnose stellen. Wir haben mittlerweile immer mehr junge Frauen unter 18 Jahren, die zu uns ins Endometriose-Zentrum kommen. Sie haben schlimmste Schmerzen und reisen von weit her an, weil sie nirgendwo Ansprechpartner:innen finden. Ein Problem ist auch, dass Ultraschalluntersuchungen nicht zu den Routine-Vorsorgeuntersuchungen gehören. Gynäkolog:innen haben nur ein begrenztes Budget, um bei Schmerzen einen Ultraschall zu machen, wenn sie mit den Kassen abrechnen wollen. Ein weiteres Problem ist, dass es viel Zeit bräuchte, um über multimodale Therapien bei Menstruationsschmerzen mit den Patientinnen zu sprechen. Welche Medikamente können und sollten genommen werden? Hilft vielleicht Yoga, Akupressur oder eine Ernährungsumstellung? Ich brauche für all das eine Stunde Zeit. Leider gibt es für die Abrechnung mit den Kassen keine Ziffer „Beratung, Einleitung und Therapiebegleitung bei schweren Menstruationsschmerzen“.
Unsere Befragung hat gezeigt, dass es vielfach an Wissen zur Menstruation und dem weiblichen Zyklus mangelt. Wie kann man diese Wissenslücke schließen und Tabus abbauen?
An der Charité arbeiten wir gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Integrative Medizin mit Frau Prof. Dr. Claudia Witt daran, eine App weiterzuentwickeln, die jungen Frauen alle notwendigen Informationen zu ihrem Zyklus vermittelt – unabhängig von der Familie, vom Umfeld, von Lehrer:innen oder Ärzt:innen. Frauen müssen über ihren Zyklus Bescheid wissen - und erfahren, was sie selbst tun können, um Beschwerden zu lindern. Das Projekt startet im September 2022.
Ich denke, es wird ein Jahr dauern, diese App fertigzustellen. 2023 wollen wir dann mit ungefähr 3.000 bis 4.000 Nutzerinnen unser Pilotprojekt starten. Wir gehen davon aus, dass die meisten Probandinnen unproblematische Beschwerden haben, die sie mit Anleitung im Selbstmanagement behandeln können. Was vielen fehlt und was Frauenärzt:innen ihnen im Moment nicht liefern, sind Informationen, wie der Zyklus genau funktioniert oder welche Hormonschwankungen es gibt. Ich bin persönlich oft erschüttert, wie wenig junge Menschen über den Zyklus wissen.
„Es ist wichtig, junge Frauen und Männer besser über dieses Thema zu informieren.“
Muss nicht auch in den Schulen viel mehr Wissen zu diesem Thema vermittelt werden?
Ja, das muss unbedingt in den Lehrplan der Schulen aufgenommen werden. Ich arbeite gerade an einem Konzept mit der „Ärztlichen Gesellschaft für Gesundheitsförderung“. Das ist ein gemeinnütziger Verein in Hamburg, bestehend aus ehrenamtlichen Ärzt:innen, die an Schulen zu Gesundheitsthemen aufklären. Wir möchten gemeinsam Informationsmaterial zum Thema Menstruation vorbereiten, das die Ärzt:innen dann in den Schulen verwenden können. Es ist wichtig, junge Frauen und Männer besser über dieses Thema zu informieren.
Finden Sie es richtig, dass Schulen in der Mittelstufe während des Sexualkundeunterrichtes über die Menstruation informieren?
Ich frage mich ehrlich gesagt, wie junge Menschen in dem Alter das schon verstehen sollen. Das Thema Menstruation sollte meiner Ansicht nach in der Oberstufe bzw. Abschlussklasse noch mal aufgegriffen werden. Meine beiden Kinder hatten jeweils Biologie-Leistungskurs – da war das leider überhaupt kein Thema mehr.
Müsste nicht mehr zu Menstruationsbeschwerden und dem Umgang damit geforscht werden?
Ja, aber dafür interessiert sich kein Mensch, null Komma null. Da gibt es keine öffentliche Wahrnehmung, es gibt schon kaum eine Wahrnehmung für Endometriose. Für die Erforschung „normaler” Beschwerden interessiert sich die Wissenschaft noch weniger.